Mai 2006:

Eulenspiegel: Der Colbert-Report

Stephen Colbert beim Presse-Dinier im Weißen Haus
Diesmal kam's knüppeldick für George W. Bush: Im Weißen Haus, beim Pressedinner trat der Komödiant Stephen Colbert vor sichtlich amüsierter Mannschaft der Korrespondenten, aber ohne sichtlich amüsiertem Gastgeber auf. Was vor Jahren nur wir uns zu sagen trauten (erinnert sei zum Beispiel an die Massenvernichtungswaffen und den Präsidenten Hwo), sprach er unter Beifall aller geladenen Gäste, fünf Meter entfernt vom "mächtigsten Mann der Welt" aus.

Eulenspiegel: Stoßen Sie mit mir an auf meinen amerikanischen Kollegen Stephen Colbert - er hat sich letzten Samstag in Washington selbst übertroffen. Als Narren hatte man ihn für das Dinner der Korrespondenten des Weißen Hauses engagiert, doch er legte einen Narrenauftritt hin, wie man ihn sonst nur in den Dramen von Shakespeare und Puschkin oder in den Geschichten von Boccaccio oder Rabelais findet: Kaum fünf Meter neben dem Präsidenten sagte er ihm ins Gesicht, was die Mehrheit der Amerikaner denkt. George W. war not amused, sein Gesicht wurde lang und länger. Also Vorhang auf für Stephen Colbert und seine denkwürdige Rede beim Dinner der Korrespondenten des Weißen Hauses am 29. April 2006:

Vielen Dank, meine Damen und Herren. Bevor ich beginne: Ich wurde gebeten, eine kurze Durchsage zu machen. Die Fahrer von 14 schwarzen, gepanzerten Geländewagen werden gebeten, ihre Fahrzeuge zu entfernen. Sie blockieren 14 andere schwarze, gepanzerte Geländewagen.

Mann, was für eine Ehre! Das Dinner der Korrespondenten des Weißen Hauses. Hier zu sitzen - am gleichen Tisch mit meinem Helden, George W. Bush; diesem Mann so nahe zu sein! Ich glaube, ich träume! Jemand sollte mich zwicken. Aber ich habe einen festen Schlaf. Vielleicht reicht das nicht. Jemand sollte mir ins Gesicht schießen. Schade, der, der das könnte, ist heute gar nicht hier...

Übrigens, wenn jemand etwas bestellen möchte: Sprechen Sie einfach nur langsam und deutlich in die Tischnummer vor Ihnen. Jemand vom Geheimdienst bringt Ihnen dann gleich Ihren Cocktail.

Mein Name ist Stephen Colbert, und heute ist es mein Privileg, den Präsidenten zu feiern. Wir sind nicht sehr verschieden, er und ich. Wir sind keine von diesen hirnlastigen Leuten von der Besserwissertruppe. Keine Mitglieder der Faktinista. Wir kommen direkt aus dem Bauch - nicht wahr, Sir? Da liegt die Wahrheit, hier unten im Bauch. Wußten Sie übrigens, daß es mehr Nervenenden im Bauch gibt als im Gehirn? Sie können das nachschlagen! Ich weiß, jetzt wird jemand sagen: "Ich habe es nachgeschlagen, und es stimmt nicht!" Aber nur, weil er in einem Buch nachgeschlagen hat! Beim nächsten Mal müssen Sie in Ihrem Bauch nachschlagen.

In meiner Fernsehshow Colbert Report rede ich jeden Abend unmittelbar aus dem Bauch heraus - okay? Ich gebe den Leuten die Wahrheit, ungefiltert durch rationale Argumente. Ich nenne es 'Die faktenfreie Zone' - Fox News, denkt dran, ich hab' ein Copyright auf diesen Titel!

Ich bin ein einfacher Mann mit einfachem Gemüt. Ich habe einfache Überzeugungen, nach denen ich lebe. Erstens: Ich glaube an Amerika. Ich glaube, daß es existiert. Mein Bauch sagt mir, daß ich darin lebe. Ich spüre, daß es sich vom Atlantik zum Pazifik erstreckt, und ich bin ganz fest davon überzeugt, daß es 50 Bundesstaaten hat. Ich bin schon gespannt, was die Washington Post morgen daraus machen wird.

Ich glaube an die Demokratie. Ich glaube, die Demokratie ist unser größter Exportschlager. Jedenfalls bis China herausfindet, wie man sie für 3 Cent das Stück aus Plastik herstellen kann ...

Ich glaube, daß die beste Regierung diejenige ist, die am wenigsten regiert. Und nach diesem Maßstab haben wir eine ganz famose Regierung geschaffen - im Irak...

Und ich glaube an diesen Präsidenten. Ich weiß, dieser Mann hat Umfragen zufolge nur noch eine Zustimmungsrate von 32 %. Aber Leute wie wir scheren uns nicht um Umfragen. Wir wissen, Umfragen sind bloß eine Sammlung von Statistiken, die ausdrücken, was die Menschen in der Wirklichkeit denken. Und es ist doch bekannt, daß die Wirklichkeit liberale Vorurteile hat.

Also Herr Präsident, achten Sie nicht darauf, wenn die Leute sagen, das Glas ist halbleer. Denn 32 % bedeutet, es ist zu zwei Dritteln leer. Immerhin ist immer noch was im Glas. Ich würde es aber nicht trinken. Das letzte Drittel ist normalerweise abgestanden.

Ich glaube nicht, daß dies ein Tiefpunkt der Regierung ist. Ich glaube, es ist nur eine Ruhe vor dem Comeback. Es ist wie in dem Film Rocky. Der Präsident ist in diesem Fall Rocky Balboa, und Apollo Creed sind in diesem Fall - alle übrigen Menschen auf der Erde. Es ist die zehnte Runde... Jedesmal, wenn er zu Boden geht, rufen alle: "Bleib liegen, bleib liegen!" Bleibt er liegen? Aber nein, wie Rocky kommt er wieder hoch, und am Ende - nun ja, im ersten Film verliert Rocky.

Achten Sie nicht auf die Umfragen, daß 68 % mit der Arbeit, die dieser Mann macht, nicht zufrieden sind. Ich frage Sie: Bedeutet das nicht logischerweise, daß 68 % mit dem zufrieden sind, was dieser Mann nicht tut? Denken Sie mal drüber nach! Ich hab's noch nicht getan.

Ich stehe zu diesem Mann. Ich stehe zu ihm, weil er für etwas steht. Er steht nicht nur für etwas, er steht auch auf etwas - z.B. Flugzeugträgern, Trümmern und kürzlich überschwemmten Städten. Und das vermittelt die eindeutige Botschaft, daß, was auch immer mit Amerika geschieht, es wird immer wieder auftrumpfen - mit den bestinszenierten Fotos der Welt...

Ich mag diesen Kerl einfach. Er ist ein guter Kerl. Offensichtlich liebt er seine Frau, er nennt sie seine bessere Hälfte. Und die Umfragen zeigen, daß Amerika der gleichen Meinung ist. Sie ist wirklich eine Lady und eine wunderbare Frau. Ich habe nur einen Kritikpunkt. Es tut mir leid, Madame, aber Ihre Initiative für's Lesen - ich war nie ein Fan von Büchern. Ich traue ihnen nicht. Wer ist die Britannica, daß sie mir sagt, der Panamakanal sei 1914 gebaut worden? Wenn ich sagen will, daß er 1941 gebaut wurde, dann ist das als Amerikaner mein gutes Recht! Ich halte zum Präsidenten. Laßt die Geschichte entscheiden, was geschehen ist und was nicht.

Das Größte an diesem Mann ist, daß er standhaft ist. Man weiß, wo er steht. Er glaubt am Mittwoch noch das gleiche wie am Montag - egal, was am Dienstag geschehen ist. Die Ereignisse können sich ändern - dieser Mann wird es niemals tun. Und so begeistert ich darüber bin, daß ich hier mit dem Präsidenten zusammen bin, so empört es mich, daß ich hier von den liberalen Medien umgeben bin, die Amerika zerstören, mit Ausnahme von Fox News. Fox News bringt beide Seiten jeder Geschichte: die Sicht des Präsidenten - und die des Vizepräsidenten.

Aber ihr übrigen, was denkt ihr euch dabei, wenn ihr über Abhörmaßnahmen der NSA oder geheime Gefängnisse in Osteuropa berichtet? Diese Dinge sind doch aus gutem Grund geheim - sie sind so deprimierend...

Aber erinnern wir uns an die Regeln. Es läuft so: Der Präsident trifft Entscheidungen, er ist der Entscheider. Der Pressesprecher gibt diese Entscheidungen bekannt, und ihr Leute von der Presse tippt diese Entscheidungen ab. Entscheiden. Bekanntgeben. Abtippen. Ihr schickt es nur durch das Rechtschreib-Korrekturprogramm und geht nach Hause. Kümmert euch um eure Familie. Liebt eure Frauen. Schreibt den Roman, den ihr schon lange schreiben wolltet - den über den unerschrockenen Reporter in Washington, der den Mut hat, gegen die Regierung aufzustehen. Sie wissen schon - frei erfunden!

Warum sollen die denn auch eure Fragen beantworten? Ihr seid doch mit nichts zufrieden. Alle fordern personelle Veränderungen. Also macht das Weiße Haus personelle Veränderungen. Und dann schreibt ihr: "Ach, die verteilen nur die Sitze auf der Titanic neu." Das ist doch eine schreckliche Metapher. Diese Regierung sinkt nicht. Sie steht vor einem neuen Höhenflug. Wenn sie überhaupt auf irgendeinem Deck die Sitze neu verteilt, dann auf der Hindenburg...

Nun, wen haben wir denn hier, heute Abend? Ich sehe General Moseley, Stabschef der Airforce. General Peter Pace, Vorsitzender der Stabschefs. Die unterstützen Rumsfeld noch. Ihr seid ja auch noch nicht im Ruhestand, stimmt's? Die unterstützen Rumsfeld also noch.

Ich habe übrigens eine Theorie, was man mit diesen pensionierten Generälen machen kann, die all diesen Ärger machen. Laßt sie nicht in Ruhestand gehen! Wozu haben wir Entlassungssperre. Ich habe Zinni und diese Leute bei Wolf Blitzer gesehen. Wer noch stark genug ist, in diesen Shows aufzutreten, der kann auch vor einer Reihe mit Computern stehen und Leute in den Krieg schicken...

Joe Wilson ist hier, Joe Wilson gleich hier in der ersten Reihe, der berühmteste Ehemann seit Desi Arnaz. Und natürlich hat er seine reizende Ehefrau mitgebracht - Valerie Plame. Oh mein Gott, was habe ich da gesagt!! Es tut mir leid, Herr Präsident, ich wollte sagen, er hat seine reizende Ehefrau mitgebracht - Joe Wilsons Ehefrau! Patrick Fitzgerald ist heute nicht hier? Da habe ich ja nochmal Glück gehabt.

Und wie könnte ich den Mann der Stunde vergessen, den neuen Pressesprecher Tony Snow... Er hat den zweithärtesten Job in der Regierung - gleich nach dem Botschafter im Irak.

Herr Snow, Sie treten in wirklich große Fußstapfen. Scott McClellan konnte nichts sagen wie kein anderer. McClellan wollte unbedingt in den Ruhestand treten. Er dachte, er müßte mehr Zeit mit Andrew Cards Kindern verbringen.

Herr Präsident, ich wünschte, Sie hätten das nicht so schnell entschieden, ich wollte mich nämlich selbst um den Job bewerben. Ich glaube, ich wäre ein fabelhafter Pressesprecher geworden. Ich habe nichts als Verachtung für diese Presseleute übrig. Ich weiß, wie man mit diesen Clowns umgeht. Ich habe sogar einen Bewerbungsfilm mitgebracht...

Es folgte das Video einer halbfiktiven Pressekonferenz, bei der Colbert als Regierungssprecher den Fragen der Reporter - darunter LaRouches Mitarbeiter William Jones - ausweicht, ihnen das Mikrofon abschaltet oder auf andere Weise stört. Schließlich ruft er Helen Thomas auf, die dienstälteste Reporterin, die Bush tatsächlich schon einmal die Frage stellte: "Alle öffentlich angegebenen Gründe für den Irakkrieg haben sich als falsch herausgestellt. Meine Frage ist, warum wollten Sie diesen Krieg?" Als Colbert ihr das Mikrofon abschalten will, versagt die Technik. Die Fragen werden immer lauter. Colbert flüchtet, von der ehrwürdigen Frau Thomas verfolgt, bis nach New York. Der Film endet, als Colbert in sein Auto steigt, um sich von seinem Chauffeur nach Hause fahren zu lassen. Der Chauffeur dreht sich um - es ist Helen Thomas.

Mit einem Hoch auf die Zunft der Narren grüßt Sie

Ihr Eulenspiegel


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