| Oktober 2002: |
| Pfad: |
Allerspätestens mit der Rede von Vizepräsident Dick Cheney am 26. August sollte eigentlich für jeden unmißverständlich klar sein, daß an dem Entschluß, den Irak anzugreifen, nicht mehr zu zweifeln ist. Cheney sagte, die Bush-Administration erachte die Frage von UN-Waffeninspektoren im Irak für irrelevant, denn wie schon in der Vergangenheit werde Saddam Hussein mit Lug und Trug Waffeninspektoren hinters Licht führen. Worauf es allein ankomme, sei der Sturz des irakischen Regimes mit allen verfügbaren Mitteln - wobei er ausdrücklich die "Präventivkrieg"-Doktrin ins Zentrum seiner Ausführungen stellte.
Wenn man genau liest, was Präsident Bush am 4. September bei der Vorankündigung seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 12. September ausführte, dann wird man sehen, daß er - wenn auch in gewundeneren Formulierungen - genau das gleiche sagt. Deshalb darf man sich fragen, was denn der Zweck eines "Ultimatums" für ein "militärisch abgesichertes Inspektionsregime" an Saddam Hussein sein soll, das Bush am 12. September in seiner UN-Rede wahrscheinlich stellen wird?
Bundeskanzler Schröder hat das in seinem bemerkenswerten New York Times-Interview vom 5. September treffend auf den Punkt gebracht. "Wie kann man jemanden [Saddam Hussein] unter Druck setzen, wenn man sagt: Selbst wenn du unseren Forderungen nachgibst, werden wir dich vernichten?" Schröder stellte ebenfalls richtig fest, daß in der Frage des "Regimewechsels" der amerikanische Präsident "sich so stark exponiert hat, daß es schwer vorstellbar ist, wie er davon herunterkommen sollte".
In der Tat, wenn man anschaut, was die Bush-Administration tut, dann wird schnell deutlich, wohin die Reise geht. Am 4. September traf sich Präsident Bush mit den demokratischen und republikanischen Führern des US-Kongresses - einziges Thema Irak. Parallel dazu informierte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld rund 50 Senatoren in geheimer Sitzung über die Irak-Politik der Administration. Am gleichen Tag wurde das Treffen des Präsidenten mit dem britischen Premier Tony Blair am 7. September in Camp David angekündigt. Es wurde auch angekündigt, daß Bush telefonische "Konsultationen" mit den Staatschefs Frankreichs, Rußlands und China - den anderen ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates - führen werde. Blair wird nach seinem Treffen mit Bush nach Schottland fliegen, um die britische Königin zu informieren und dann nach Moskau zwecks Gesprächen mit Präsident Putin reisen.
Es gibt ernsthafte Leute, die meinen, Bush und Blair veranstalteten zur Zeit ein brutales, aber raffiniertes diplomatisches Pokerspiel: Auf den Irak werde massivster Druck mit Kriegsdrohungen ausgeübt. Aber wenn der Irak nachgebe und ein hartes Inspektionsregime akzeptiere, werde der Krieg im allerletzten Moment doch noch vermieden. Man möchte hoffen, daß es so wäre. Leider sprechen die Tatsachen eine andere Sprache, denn Washington geht es ja gar nicht um ein Inspektionsregime für mit höchster Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr existierende irakische Massenvernichtungswaffen, sondern um den Sturz der Regierung in Bagdad und um die geopolitische "Großbereinigung" der Gesamtlage im Nahen und Mittleren Osten.
Nun hat die Londoner Financial Times am 30. August einen sehr hilfreichen Artikel mit der Überschrift "Langer Kriegsaufmarsch hat mehr mit Politik als mit Logistik zu tun" veröffentlicht. Sein Autor Dan Roberts weist auf das scheinbare Paradox hin, daß Regierungsmitglieder wie Cheney oder Rumsfeld "die diplomatische Temperatur mit immer kriegerischeren Reden anheizen", gleichzeitig aber Experten, "die nach physischen Zeichen für einen Aufmarsch suchen, wenig finden". Der simple Grund sei, daß "große Teile der logistischen Vorbereitungen schon getroffen sind".
Roberts zitiert den früheren UN-Waffeninspekteur Terrence Taylor, der jetzt am Institut für internationale und strategische Studie (IISS) arbeitet: "Die Kombination aus existierenden Stützpunkten, erhöhter Lufttransportkapazität und vorbereiteter Seetransportkapazität bedeutet definitiv, daß der Aufmarsch viel schneller gehen kann als beim ersten Golfkrieg vor einem Jahrzehnt." Weiter zitiert die Financial Times den Militärexperten Jonathan Eyal vom britischen Royal United Services Institute (RUSI): "Das Pentagon hat die letzten zehn Jahre daran gearbeitet, die für den Aufmarsch benötigte Zeit zu reduzieren. Anders als im letzten Golfkrieg sind heute nur Wochen anstatt Monate erforderlich." Laut RUSI könne eine substantielle US-Streitmacht innerhalb von etwa zwei Wochen an den Grenzen des Irak versammelt werden. Da Luftschläge wahrscheinlich mindestens zwei Wochen andauerten, bevor Bodentruppen gegen den Irak eingesetzt würden, könnten beide Phasen parallel ausgeführt werden. "Wenn sie einen Krieg anfangen wollten, könnten sie das nächste Woche tun", zitiert die Financial Times Eyal.
Auf diese Gefahr hat Lyndon LaRouche wiederholt hingewiesen, der in einer öffentlichen Erklärung vom 30. August fragte: "Planen gewisse Kreise in den Vereinigten Staaten oder Scharon-nahe Kreise in Israel die Inszenierung einer großen Terror-Provokation, um den Irak-Krieg durchzusetzen?"
In dieser Hinsicht ist die Einschätzung bedeutsam, die wir am 27. August von einem ehemaligen hochrangigen US-Diplomaten erhielten, der 25 Jahre im diplomatischen Dienst war und Schlüsselpositionen in State Department innehatte. "Meine Freunde in den Nachrichtendiensten hatten in letzter Zeit nur eine Botschaft für mich: ,Die gegenwärtige Lage in und um den Irak ist eine Neuauflage von Vietnam 1964.'" Damals ermächtigte der US-Kongreß nach dem angeblichen "Tongking-Zwischenfall" - der in Wirklichkeit in der Form nie stattgefunden hatte - Präsident Lyndon Johnson zur massiven Ausweitung der militärischen Präsenz in Südvietnam.
Ein europäischer strategischer Analyst meinte hierzu, daß er die Einschätzung des amerikanischen Ex-Diplomaten voll teile. Leider sei es für Geheimdienste nicht schwierig, bezüglich des Irak eine militärische Provokation im Stile des "Tongking-Zwischenfalls" zu inszenieren. Auch die Inszenierung eines größeren terroristischen Anschlags - durch geheimdienstlich gesteuerte Terroristen oder direkt durch Elemente aus dem Geheimdienstmilieu - sei durchaus denkbar. Das gelte vor allem für die Zeit um den ersten Jahrestag des 11. September.
Vergessen wir nicht, daß, wie es LaRouche formulierte, der 11. September "kein Angriff von außen gegen die Vereinigten Staaten war, sondern ein Angriff aus dem Innern. Eine Fraktion innerhalb des Sicherheitsapparates der USA unternahm einen Staatsstreichsversuch gegen den Präsidenten, um ihn auf den Kurs des ,Krieges der Zivilisationen' zu zwingen."
Aber auch hier dürfte der Bush-Administration eine fatale Fehlkalkulation unterlaufen: Die amerikanische Bevölkerung dürfte ob der systematisch geschürten "patriotischen" Kriegshysterie die rasante Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Lebensbedingungen nicht vergessen. Gleichzeitig aber dürfte der Krieg gegen den Irak das Weltfinanzsystem und die Weltwirtschaft, die sich bereits im rasanten Sinkflug befinden, noch schneller und noch tiefer in den Ruin treiben.
Auch darauf hat Bundeskanzler Schröder in seinem bemerkenswerten New York Times-Interview hingewiesen. Er sei "insbesondere darüber besorgt", daß es bei der Irakkriegs-Debatte "so wenig Diskussion über die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Weltwirtschaft" gebe, da doch "Erschütterungen in der Weltwirtschaft" drohten. Alleine der Anstieg des Ölpreises hätte "enorme Folgen" nicht nur für die industrialisierten Länder, sondern vielleicht mehr noch für die Schwellenländer. Auch wenn Schröder sich recht vorsichtig ausdrückt, sind seine Warnungen doch völlig korrekt.
Man muß davon ausgehen, daß mit dem Beginn des amerikanischen Angriffs auf den Irak, von dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in nächster Zukunft auszugehen ist, eine völlig neue geschichtliche Ära beginnt und die politischen, militärischen und finanziell-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend verändern werden - in jedem Staat und bei den Beziehungen der Staaten untereinander.
Zurück zur Internationale Politik-Hauptseite: