August 2002:
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Das ganze System stimmt nicht mehr

BüSo-Gesundheitsbroschüre Eine Ausgabe der Themenhefte, die zu tausenden in der Bundesrepublik verbreitet wurden und die auf die Problematik im Gesundheitsbereich aufmerksam machte.

Die Autorin des Artikels, Regina Lauber aus Karlsruhe, Logopädin und Krankenschwester, kandidiert auf der Landesliste Baden-Württemberg für die BüSo bei der Bundestagswahl 2002. Sie stellt einige ihrer politischen Konzepte und Forderungen vor.

Die Lage im Gesundheitswesen hat sich inzwischen so weit zugespitzt, daß von Kürzungsbeschlüssen Betroffene nur noch mit großangelegten, gutorganisierten Protesten ihre Interessen durchsetzen können. Ohne solchen massiven Widerstand z.B. der Heilmittelverbände hätten sich bereits 1996 einschneidende Veränderungen im Gesundheitswesen ergeben, als der damalige Gesundheitsminister Seehofer es den Krankenkassen ermöglichen wollte, Heilmittel aus dem Leistungskatalog herauszunehmen. Das hätte den Ruin der ganzen Berufsgruppe von Physiotherapeuten und -therapeutinnen, Krankengymnasten und -gymnastinnen, Ergotherapeuten und -therapeutinnen, Logopädinnen und Logopäden bedeutet. Die Proteste gipfelten am 3. Dezember 1996 in einer gemeinsamen Großdemonstration in Bonn, an der auch zahlreiche Patientenverbände und Patientengruppen teilnahmen.

Da bei uns in Deutschland die finanzielle Situation der Krankenkassen in direktem Zusammenhang mit der Beschäftigtenzahl steht, war leicht vorauszusehen, wie sich die Seehofer-Reformen in der Praxis auswirken würden. In Zeiten sinkender Konjunktur und hoher Arbeitslosenzahlen sinken zwangsläufig auch die Einnahmen der Krankenkassen, was sie aus wirtschaftlichen und Konkurrenzgründen gezwungen hätte, Heilmittelanwendungen nicht mehr zu finanzieren. Die Folgen für Kranke sind nicht schwer vorzustellen. Viele chronisch Kranke können nur durch regelmäßige Heilmittelanwendungen ihre Arbeitskraft erhalten (und damit auch Versicherungsbeiträge einzahlen) oder eine vorzeitige Pflegebedürftigkeit verhindern, die dem Sozialsystem letztendlich noch höhere Kosten verursachen würde.

Im Bereich der Logopädie wurden dann Ende 2000 die Heilmittel-Richtlinien mit dem Katalog "Maßnahmen der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie" freigegeben, was auf heftigsten Widerstand stieß. Denn nach dem Wortlaut der Abschlußfassung bestand die konkrete Gefahr, daß nur noch Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie logopädische Leistungen hätten veranlassen können. Dies hätte aufgrund der geringen Anzahl an Phoniatern den Zusammenbruch der logopädischen Versorgung zur Folge gehabt. Dagegen wurde vom Logopädenverband mit großer Unterstützung der Mitglieder eine Beanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit durchgesetzt, so daß die Verordnungsberechtigung unmißverständlich für alle relevanten Facharztgruppen erhalten blieb. Dabei handelt es sich um Neurologen, Internisten, Hausärzte, HNO-Ärzte, Kinderärzte und auch Zahnärzte und Kieferorthopäden. Es gab noch zahlreiche weitere Einsprüche gegen die Neufassung der Heilmittel-Richtlinien, besonders auch gegen die Nichtaufnahme der logopädischen Diagnostik, die aber kein Gehör fanden.

Im Frühjahr 2001 wurde die Leistungsbeschreibung "Maßnahmen der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie" zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Sprachtherapie Gegenstand der Vertragsberatungen. Die Verhandlungen gestalteten sich von Anfang an schwierig, da juristisch die Inhalte der Heilmittel-Richtlinien Priorität gegenüber den Rahmenempfehlungen haben. Ein besonderer Streitpunkt war wieder die Befunderhebung. Den Logopäden und Sprachtherapeuten ging es dabei um fachliche Kompetenz einerseits, denn nur mit einer Anfangsdiagnostik, die auch Zeit beansprucht, kann eine wirksame Behandlung erfolgen. Auf der anderen Seite geht es beim Punkt der Befunderhebung auch um wirtschaftliche Aspekte. Durch die selbständige Befunderhebung war es es bisher bei niedergelassenen LogopädInnen nicht erforderlich, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Durch die Streichung der Befunderhebung als Abrechnungsposten hätten viele selbständig arbeitende Kolleginnen für zum Teil Jahre Rentenversicherung nachzahlen müssen. Daneben sollte eine Vor- und Nachbereitungszeit auch nicht mehr abrechenbar sein. Das würde die Professionalittät der logopädischen Arbeit sehr in Frage stellen, da gerade in diesem Gebiet die Behandlung sehr individuell am einzelnen Patienten ausgerichtet werden muß.

Wenn sich im wirtschaftlichen Bereich nicht eine grundlegende Änderung ergibt, ist weiterhin mit ähnlichen Bürokratie- und Einsparmaßnahmen zu rechen, immer mit der unausgesprochenen Unterstellung, daß die Beschäftigten im Gesundheitswesen nur ihre Pfründe sichern wollen. Was es auf lange Sicht kosten wird, im Bereich von medizinischer Forschung, Vorsorge und Behandlung nicht genügend zu investieren, wird von den "Kosteneinsparern" mit ihrer Bürokratie, größtenteils ohne medizinische Fachkenntnis, nicht zur Kenntnis genommen, weil sonst ganz klar würde, daß das gesamte System nicht mehr stimmt.

Meines Wissens hat keine der politischen Parteien in Deutschland außer etwas veränderten Sparvarianten eine Perspektive, wie in der Gesundheitspolitik eine grundsätzliche Verbesserung zu erreichen wäre.

Unsere größte Ressource und unser größter Reichtum sind die Menschen. Damit sie gesund heranwachsen und kreativ leben und arbeiten können, ist eine andere Wirtschaftspolitik notwendig, die produktiv und nicht virtuell ausgerichtet ist. Aus diesem Grund kandidiere ich zur Bundestagswahl für die BüSo.


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