| August 2003: |
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Helena Petrovna Blavatsky, die die Lehre des Esoterikers und "Architekt" des Synarchismus Joseph-Alexandre Saint-Yves d'Alveydre populär machte und auf die jene moderne Form der "organisierten" Esoterik, die New Age-Bewegung zurückgeht, die unmittelbar gegen das Christentum gerichtet ist.
Das Kunstwort "Synarchie" kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie "Zusammenherrschaft". Es fragt sich also, wer da zusammenherrscht oder herrschen soll. Im deutschen Sprachraum kommt das Wort kaum vor. In ernsthaftem Gebrauch war es im Hinblick auf politische Zustände in China. Seit der Sung-Zeit nahmen häufig nichtchinesische Mächte jenseits der Großen Mauer aufgrund ihrer militärischen Überlegenheit erheblichen Einfluß auf die Regierung Chinas, so daß manche Historiker in diesem Zusammenhang von "Synarchie" sprechen.
In der Propyläen Weltgeschichte heißt es dazu: "In der ganzen Sung-Zeit sind weite Teile Chinas auf diese Weise von den Liao und den Chin beherrscht worden; kleinere Landstriche unterstanden zeitweilig dem Po-hai-Staat und den Hsi-hsia. Dann brachten die Mongolen im Jahre 1279 zum ersten Male ganz China unter Fremdherrschaft, bis sie 1368 bis 1370 vertrieben wurden. Im Jahre 1644 errichteten die Manchu im ganzen chinesischen Reich wieder eine fremde Herrschaft, und zwar für einen Zeitraum von fast 300 Jahren, bis 1911. In den letzten tausend Jahren des Kaiserreiches wurden also weite Gebiete Chinas oder ganz China von Nichtchinesen regiert, die innerhalb des chinesischen Teils ihres Herrschaftsbereichs die chinesischen Einrichtungen übernahmen."1
Diese Mächte hatten China zwar durch Waffengewalt unterworfen, waren aber nicht in der Lage, das riesige Land zu regieren und so Vorteile aus ihrer militärischen Überlegenheit zu ziehen. Die Lösung war, daß sie den ausgeklügelten chinesischen Verwaltungsapparat bestehen ließen und nur an entscheidenden Stellen und möglichst unauffällig ihre Vertrauensleute einbauten. Die höchste politische Autorität lag bei den äußeren Siegermächten, die aber nicht als unmittelbare Exekutive in Erscheinung traten. Die hergebrachten wirtschaftlichen und politischen Formen wurden beibehalten. Einfluß wurde genommen über die Religion, die möglichst unauffällige Beeinflussung der herrschenden Glaubensstruktur, Weltanschauung und vorgegebenen "Werte".
Legt man heute die gleichen Maßstäbe an, könnte man etwa "im Westen" ebenfalls von einer Art Synarchie sprechen. Den Handlungsrahmen der Regierungen demokratischer Staaten geben private Finanzkreise vor, die sich international in IWF, Weltbank, Bank für internationalen Zahlungsausgleich und ähnlichen Finanzinstitutionen zusammengeschlossen haben. Welche Rolle die Weltmacht USA dabei spielt, ist dabei offenbar von entscheidender Bedeutung. Wirklich greif- und begreifbar wird das Problem jedoch nur im historischen Zusammenhang, den LaRouche in vorangehendem Essay herstellt (siehe Seite 7-10 dieser Ausgabe).
Einen ausdrücklichen Hinweis auf den Synarchismus finden wir in Heinrich Manns Roman Der Atem, der 1946-47 entstand und 1949 in Amsterdam veröffentlicht wurde. Heinrich Mann schildert darin den "melancholischen Abgesang auf das versunkene Europa" anhand der letzten Tage im Leben der Lydia Kowalski, geb. Gräfin Traun, auch Dame Kobalt genannt, am Tag des Kriegsausbruchs 1939 in Nizza.
Erwähnenswert an der Handlung ist im Grunde nur die Diskussion des Synarchismus, vor allem der Dialog zwischen dem französischen Geheimdienstmann Jammes und dem Bankdirektor Frédéric Conard, das am 1. September 1939, dem Tag von Hitlers Einmarsch nach Polen stattfindet. Conard ist verstört über den Ausbruch des Krieges und noch mehr über Jammes' Eröffnung, "daß er beschlossener Weise [für Frankreich] verloren werden soll". Conard hält dies zunächst für eine Verschwörungstheorie, kann sich nicht vorstellen, daß die französische Regierung beschlossen habe, den Nazis "die volle Aktion zu überlassen; uns, bevor wir es sind, geschlagen zu geben." Jammes entgegnet, nicht Frankreich habe das beschlossen, sondern "eine Clique" - die Synarchie. Er hat noch einiges mehr über die Synarchen herausgefunden, das er Conard berichtet, sobald er sicher ist, daß der Bankdirektor nicht zu der synarchistischen Verschwörung gehört.
Im Lexikon der Weltliteratur wird übrigens später behauptet, der Synarchismus sei "eine Erfindung H. Manns, die symbolisch die Bedrohung des Kontinents durch Monopolkapitalismus und Faschismus anschaulich machen soll"2. Thomas Mann hielt die Überlegungen seines Bruders für das "Produkt eines Greisen-Avantgardismus".
Ausführlichere Hinweise auf den Synarchismus mit deutlich mehr der mystischen Details, die auf den Templer-Orden verweisen, findet man in Umberto Ecos Roman Das Foucaultsche Pendel von 1988. Ihm könnte allerdings eine gewisse propagandistische Absicht die Feder geführt haben.
1877 heiratete der 35jährige Saint-Yves die Gräfin Marie de Riznitch-Keller, eine Verwandte des Schriftstellers Honoré de Balzac, der dem ursprünglichen Orden der Martinisten angehörte. Die einst für ihre Schönheit berühmte Dame war inzwischen weit über 50, so daß man in Paris über den Gigolo witzelte. Doch die Verbindung mit der Gräfin brachte ihm mit einem sehr begehrten Titel und dem beträchtlichem Vermögen, das die Gräfin von ihrem verstorbenen Mann, dem Marquis d'Alveydre, geerbt hatte, auch beste Beziehungen ein. 1880 wurde Saint-Yves vom Vatikan offiziell der Titel "Marquis" zuerkannt.
Saint-Yves konnte sich nun unbeschwert seinen Überlegungen überlassen. Er schrieb angeblich vier Bücher über seine Vorstellungen von einer "harmonischen" Gesellschaft, die er "Synarchie" nannte. Die Bücher veröffentlichte er nicht, angeblich soll er sie sogar vernichtet haben, weil die Gesellschaft für seine Enthüllungen nicht reif gewesen sei. Erst dem Sohn der Gräfin, dem Grafen Alexander Keller, sei eine vergessene Kopie des Buches Mission de l'Inde en Europe in die Hände gefallen, die er dann 1910 beim Verlag Dorbon-Aîné posthum und in begrenzter Auflage veröffentlicht habe. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg - so wird erzählt - habe die Gestapo sich für das Buch interessiert und alle Exemplare, deren sie habhaft werden konnte, beschlagnahmt. Trotzdem sind d'Alveydres Vorstellungen nicht unbekannt geblieben und werden in eingeweihten Kreisen als Arcanum herumgereicht.
Saint-Yves verpackte seine Vorstellungen im Stil der Schönen und Reichen seiner Zeit in esoterische Phantastereien. So soll ihn 1885 ein Eingeweihter aus dem Osten, ein Prinz Hardjij Scharipf, besucht und mit einer Mission beauftragt haben. Saint-Yves' Ideen bildeten den wesentlichen Inhalt der Glaubensstruktur der meisten modernen Okkultisten, speziell der Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) und ihrer "Theosophischen Gesellschaft". Über sie gelangten sie dann an Alice A. Bailey (1880-1949) und über diese vor allem in die heutige New-Age-Bewegung.
Auch Rudolf Steiner (1861-1925) übernahm gewisse politische Vorstellungen der "Synarchie" des Saint-Yves in seine "Anthroposophische Gesellschaft", wo sie dann vor allem in die gesellschaftspolitischen Verstellungen von der "Dreiteiligkeit der Gesellschaft" des anthroposophischen Flügels "Die Kommenden" eingeflossen sind. Einer von Steiners frühen Schülern, Max Heindel (1865-1919), gründete schon 1908 auf der Grundlage der Vorstellungen Saint-Yves' die Rosenkreuzer-Gefolgschaft. Sie und viele andere esoterische Zirkel benutzten Saint-Yves, vor Ende des Zweiten Weltkriegs allerdings meist ohne die Bezeichnung "Synarchismus" zu verwenden.
Die ursprünglichen Synarchisten waren nach d'Alveydre die mittelalterlichen Templer-Ritter. Sie hatten die Kontrolle über das politische, finanzielle und religiöse Leben (Steiners "Dreigliedrigkeit") des mittelalterlichen Europa angestrebt. Zur Zeit Saint-Yves' konkurrierten zahlreiche Neutempler-Orden mit ähnlichen Vorstellungen, von denen einige bis heute existieren. Viele seiner Ideen entnahm er einem speziellen freimaurerischen Templer-Orden, nämlich dem "Ritus der strengen Observanz", der um 1740-1750 von dem Deutschen Karl von Hundt gegründet worden war.
Die Vorstellungen, daß es irgendwo im Osten, vorzüglich in Indien oder Tibet, "Meister" oder "Weise" gäbe, welche die Welt telepathisch über ihre Eingeweihten, Adepten und Schüler regieren, ist nicht ganz neu, wurde aber im Westen zuerst und am nachhaltigsten von Saint-Yves propagiert. Auch Alfred Rosenberg und andere Nazi-Größen hingen derlei Vorstellungen an. Aus diesem Grund sollen NS-Vertreter in Tibet und der Katharer-Burg Monte Segu in Südfrankreich Nachforschungen zum Gralskult angestellt haben, um dort Spuren der oder Zugang zu den geheimnisvollen "Oberen" zu entdecken.
1. Propyläen Weltgeschichte, F.W. Mote: "China von der Sung-Dynastie bis zur Ch'ing-Dynastie", S. 86., in: Digitale Bibliothek, Band 14, S. 8969, Ullstein Verlag.
2. Werklexikon, "Der Atem", S. 1 ff., in: Digitale Bibliothek, Band 13, Wilpert: Lexikon der Weltliteratur, S. 15557, Alfred Kröner Verlag.
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