| Dezember 2003: |
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"Wir ...... auf den Stabilitätspakt" könnte die Überschrift von
Offiziell wollte nach den turbulenten Sitzungen der europäischen Finanzminister zu Beginn der vergangenen Woche niemand den Totenschein für den Maastrichter "Stabilitätspakt" ausstellen - aber lebendig ist er auch nicht mehr. Der berüchtigte Stabilitätspakt ist durch erneute Anstrengungen nicht wiederzubeleben, und eine Neuauflage des Pakts dürfte ebenso scheitern.
Europa hat nun eine Chance, zu einer durchdachten, nach klassischen Prinzipien der Nationalökonomie arbeitenden Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückzufinden. Hierfür sollten sich die Politiker aber auf keinen Fall die zwölf Monate Zeit lassen, die ihnen jetzt bis November 2004 durch Aussetzung des Sanktionsmechanismus, wie sie am vergangenen Dienstag von den EU-Finanzministern beschlossen wurde, zur Verfügung stehen. Jede Fortsetzung der monetaristischen Sparpolitik würde nur weitere schwere Schäden an den europäischen Volkswirtschaften anrichten.
Alles Wehgeschrei über das Ableben des Pakts kann den nüchtern denkenden Bürger nicht darüber hinwegtäuschen: Der Stabilitätspakt, womit die relevanten Passagen im Maastrichter Vertrag (u.a. Art. 104) nachträglich - und noch weiter verschärft - festgezurrt wurden, war von Anfang an ein schwerer Fehler. Seine Funktion war stets die, große Infrastruktur- und Industrieprojekte, die ohne öffentliche Anschubinvestitionen nicht in Gang kommen, zu verhindern. Und so kam es, daß alle europäischen Infrastrukturprojekte - vom "Delors-Plan" der Transeuropäischen Netze angefangen - zwar immer wieder diskutiert, verhandelt und auch beschlossen wurden, doch am Ende nur zu einem winzigen Bruchteil tatsächlich finanziert und durchgeführt wurden, denn die rigiden Haushaltskriterien waren stets sakrosankt.
Sinn der Sache war aber umgekehrt, dafür zu sorgen, daß stets genügend Kapital in die verschiedenen Spekulationsblasen - Aktien, Anleihen und Immobilien - floß. Die Maastrichter Sparkriterien waren insbesondere der Garant dafür, daß stets genug europäisches Kapital in den USA angelegt wurde, um das gigantische amerikanische Zahlungsbilanzdefizit zu finanzieren. Dies erforderte bekanntlich Nettozuflüsse aus dem Ausland an die amerikanischen Finanzmärkte von bis zu 2 Mrd. Dollar täglich. Die so von oben her organisierte Kapitalflucht aus Europa konnte nur gelingen, solange attraktive Investitionsmöglichkeiten - z.B. in große eurasische Verkehrsprojekte - nicht oder kaum vorhanden waren bzw. durch das Maastricht-Korsett unterbunden wurden. Mit der Einführung des Euros trat diesem Arrangement noch eine stillschweigende Vereinbarung zwischen der amerikanischen Federal Reserve Bank und der Europäischen Zentralbank hinzu, die eine europäische Währungspolitik zugunsten des Dollars sicherstellte. Die Weltwirtschaftskrise hat dazu geführt, daß dieses ruinöse Arrangement einfach nicht länger aufrechtzuerhalten war: Der Maastrichter Pakt wurde von der Geschichte überrollt.
Der amerikanische Präsidentschaftskandidat und Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche sieht noch vor Weihnachten eine schwere Dollarkrise kommen, denn das Ende des Stabilitätspaktes wird die seit Monaten laufende Dollarabwertung weiter beschleunigen. Deshalb, so LaRouche, müßten ganz neue Vereinbarungen zwischen USA und Europa getroffen werden, die in Richtung eines neues internationales Abkommen im Stile von Bretton Woods gehen müssen, wie es LaRouche seit Jahren vorgeschlagen hat.
Ohnehin, das belegen die relevanten Statistiken, fließen die Gelder längst nicht mehr wie früher in die Wall-Street-Blase. Inzwischen haben viele europäische Investoren das Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft und die Regierung Bush verloren. Die "Erfolgsmeldungen" der US-Regierung über die wirtschaftliche und finanzielle Lage, rechtzeitig zum amerikanischen Erntedankfest präsentiert, sind einfach zu grotesk geraten, um geistig einigermaßen stabile Investoren noch zu beeindrucken.
Sie holen ihr Geld, wenn möglich, lieber nach Europa zurück, denn in ihren Büchern hat die Dollarabwertung bereits jetzt große Löcher aufgerissen. Bei Anlagen in den USA werden keine beeindruckenden Renditen mehr erzielt, und selbst wenn es sie noch gäbe, würden sie durch die Dollarabwertung aufgefressen. Da europäische Investoren zum Jahresende ihre Bücher abschließen müssen - und sie sollen ja möglichst schön aussehen - werden sie sich in den verbleibenden Wochen dieses Jahres von verlustbringenden Dollaranlagen trennen, um so mehr, wenn weitere Abwertung droht.
Der verstärkte Kapitalrückfluß nach Europa, dürfte auch den Spielraum für Zinssenkungen in Europa ausweiten, was - zumindest theoretisch - die Bedingungen für Investitionen in die Realwirtschaft verbessert.
Der ideale Rahmen hierfür wäre eine entsprechend angelegte Vereinbarung zwischen EU und USA - ein "Neues Bretton Woods" eben, in dem nicht nur die Wechselkurse spekulationsfrei fixiert würden, sondern auch die Kreditschöpfung für industrielle Entwicklung und den Infrastrukturausbau auf dem ganzen eurasischen Kontinent mit amerikanischer Beteiligung. Ist dies nun ein frommer Wunsch oder kann so etwas verwirklicht werden?
Es kann verwirklicht werden, wenn die verantwortlichen Politiker Europas sich jetzt nicht in eine wochen- und monatelange verfehlte Debatte hineinlocken lassen, ob und wie man den Stabilitätspakt "reformieren" solle. So hätten monetaristische Kreise es wohl gern. Statt dessen brauchen wir ein Kooperationsabkommen zwischen den EU-Regierungen über breit angelegte Programme zur Finanzierung produktiver Projekte und zum schnellen Abbau der Arbeitslosigkeit. Spätestens bis zum Frühjahr 2004 könnte das unter Dach und Fach sein. Die jetzt am 25. November beschlossene Prüfung der Einhaltung der Brüsseler Einsparauflagen durch Deutschland und Frankreich im November 2004 könnte beiseitegelegt werden. Vielmehr würde man vereinbaren, im Herbst 2004 eine erste Überprüfung der seit dem Start des Investitionsprogramms im Frühjahr gemachten konkreten Fortschritte anzusetzen.
Parallel zu diesen Bemühungen würden ab Januar 2004 Verhandlungen zwischen EU und USA sowie weiteren wichtigen Wirtschaftsmächten wie China, Rußland, Indien, Japan und Brasilien aufgenommen, die ein internationales Abkommen mit dem Arbeitstitel "Bretton Woods II" zum Ziel hätten.
Auch ohne Ausbrechen einer offenen Dollarkrise steht ein solches Vorgehen auf der Tagesordnung, und warum muß der deutsche Finanzminister immer warten, bis seine Kollegen in Rom und Paris einen Vorstoß zu einer anderen Politik machen?
Mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau verfügt Deutschland über eine Institution, die ihren Wert als Kreditgeber für langfristig angelegte Ausbau- und Investitionsprojekte hierzulande und international seit Jahrzehnten beweist. Zusammen mit positiven Erfahrungen, die Frankreich mit seiner auf Jean Monnet zurückgehenden "indikativen Wirtschaftsplanung" gemacht hat, liegen also in Europa bereits wesentliche Komponenten dessen vor, was im Rahme einer eurasischen Gesamtausrichtung finanztechnisch gemacht werden müßte.
Die USA selbst haben, worauf LaRouche tagtäglich in seinem Vorwahlkampf hinweist, in den Institutionen des Rooseveltschen New Deal ebenfalls hervorragende Erfahrungen mit der Finanzierung und Organisation großer Projekte zur Infrastrukturentwicklung und zur Industrialisierung.
Völlig fehl am Platze sind dabei Leute wie Umweltminister Trittin, die den Atomausstieg mit Riesentorten feiern. Eine Industrienation mit angestrebten Wachstumsraten von acht und mehr Prozent im Jahr braucht mehr und vor allem sichere und billige Energie, und die steht derzeit nur mit der inhärent sicheren HTR-Nukleartechnik bereit. Deutschlands Forscher sollten nicht an neuen Windkrafträdern basteln, sondern unverzüglich die Arbeiten an der Technik des Hochtemperaturreaktors - und zwar hier im Lande - wiederaufnehmen und weiterhin aktiv teilnehmen an der Entwicklung der Kernfusion, der Energiequelle der Zukunft.
Und wenn der Transrapid auch noch anderswo in Deutschland und Europa fahren würde und nicht nur als Münchner Flughafenzubringer (ab 2009), dann wäre für jedermann sichtbar, daß Deutschland auch eine verkehrspolitische Zukunft hätte. Jetzt, nach dem lange überfälligen Scheitern des Stabilitätspaktes, hat Deutschlands Politik eine große Chance, die es nutzen kann und nutzen muß. Wenn nicht, droht der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft ein Krisenjahr 2004, das mit dem Krisenjahr 1932 viel Ähnlichkeit hätte.
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