| August 2002: |
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Mit Lothar Späth hat Stoiber einen New-Economy-Politiker in sein "Kompetenzteam" berufen, der vielleicht etwas von "zerstörerischer Kreativität", aber nichts von wirklicher Wirtschaftspolitik versteht.
Vielleicht ist das eine Chance für Stoiber, die Wahl zu verlieren, denn die deutschen Anleger, besonders die Kleinanleger dürften etwas ungehalten sein über Späths Buch "New Economy Revolution", das er vor zwei Jahren auf den Markt warf.
Mit diesem Mann erhalte der Aufschwung ein Gesicht, sagte Edmund Stoiber, als er im Mai Lothar Späth als Fachmann für Wirtschaftsfragen in sein "Kompetenzteam" berief. Ein Gesicht - aber was für eins?
Die harten Realitäten des anhaltenden weltwirtschaftlichen Abschwungs, von denen Deutschland nicht verschont bleibt, sorgen gerade dieser Tage serienweise für Katastrophenmeldungen an den Finanzmärkten und in Unternehmensbilanzen. Vor allem trifft dies Unternehmen der "Neuen Ökonomie", und interessanterweise steht hier der Name Späth ganz oben auf der Liste derjeniger, die seit Jahren den Neuen Markt der Internet- und Computerbranche als das vorgebliche neue Paradies, die neue ära des Kapitalismus gepriesen haben.
Als der NEMAX noch zehnmal so hoch stand wie heute, also vor zwei Jahren, veröffentlichte Späth das Buch New Economy Revolution - Neue Werte, neue Unternehmen, neue Politik. Diese Sammlung von Beiträgen führender Vertreter dieser "neuen Werte", von Rolf-Ernst Breuer (Deutsche Bank) über Herbert Henzler (McKinsey) und Erwin Staudt (IBM) bis Rezzo Schlauch (Grüne) und Guido Westerwelle (FDP), wurde mit einem Vorwort Späths eingeleitet. Dort hiess es gleich zu Beginn, das Internet sei tragende Kraft des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft, und Späth schrieb weiter: "Die New Economy im globalen Zeitalter bietet kaum mehr Platz für die traditionelle nationale Wirtschaftspolitik, die Werte der Unternehmen bestehen immer mehr in Menschen und Konzepten, weniger in Maschinen, Gebäuden, Produktionsanlagen und traditionellen Bilanzwerten. Konjunkturelle Fragen treten hinter prinzipiellen strukturellen Fragestellungen zurück."
Auf die besagten "strukturellen Fragestellungen" kam Späth auch in einem Interview mit der Super-Illu im vergangenen Jahr zu sprechen, als er sagte, "unwirtschaftliche" Ostbetriebe gehörten eingestampft: "Manchmal ist zerstörerische Kreativität hilfreich - damit auf den Trümmern des Alten Neues aufgebaut werden kann."
Das Geld für diese und weitere gezielte Firmenübernahmen hatte Späth aus dem mit 3,5 Milliarden DM gut angefüllten Topf, den ihm die Berliner Treuhandanstalt ab 1991 grosszügig bereitstellte. Nach Abzug der Abfindungen und Sozialleistungen für die 26000 entlassenen Zeissianer blieb noch reichlich Kapital, das Späth in den massiven Ausbau neuer Arbeitsplätze hätte investieren können und (so wie die Treuhand-Hilfsfonds eigentlich gedacht waren) sollen. Das aber tat er nicht, sondern er machte damit Devisengeschäfte, zum Beispiel mit spanischen Peseten, wobei er Renditen von 20 Prozent erzielte, wie er später, ganz stolz auf seine "Cleverness", erzählte.
Und auch heute noch agiert die Jenoptik AG kräftig auf dem Finanzmarkt mit Kapitalvergabegeschäften an Unternehmen der New Economy, die sie über die speziell hierfür gegründete DEWB (Deutsche Effecten- und Wechsel-Beteiligungsgesellschaft) AG abwickelt. Die DEWB ist eine der drei unternehmerischen Säulen von Jenoptik, und Späth lässt sie als "die grösste bankenunabhängige Venture Capital-Gesellschaft in den neuen Bundesländern" anpreisen.
Einer der grössten Aufträge, den Jenoptik - das nebenbei im grossen Umfang auf den Billiglohnmärkten in Asien produziert - im Osten Deutschlands selbst ausführte, ist die Errichtung der Produktionsanlage FAB 3 für Microchips der amerikanischen Firma AMD in Dresden. Ob diese als Musterbeispiel für den übergang ins dritte Millennium gepriesene Fabrik, die nach Investitionen von 2,3 Mrd. Dollar vor zwei Jahren die Produktion aufnahm, eine Zukunft hat, ist allerdings wegen der schweren akuten Probleme der amerikanischen Mutterfirma AMD, die gerade dieser Tage Schlagzeilen machen, fraglich. Würde Lothar Späth ein Kollaps der Firma AMD mitsamt ihren 1800 Arbeitsplätzen in Dresden überhaupt beunruhigen? Oder wäre dies für ihn wieder einmal ein Fall "zerstörerischer Kreativität" der New Economy?
Ohnehin muss man an Späths Vermögen, die Realität wahrzunehmen, zweifeln, wenn man die flotten Sprüche hört, die er z.B. in einem Vortrag im Mai 2000 in Passau von sich gab. Den seiner Meinung nach grossen Unterschied zwischen der angeblich erfolgreichen amerikanischen Wirtschaftspolitik und der deutschen Misere beschrieb Späth anhand des folgenden Beispiels: "Der Amerikaner kommt vom Kundengespräch zurück und sagt: ,Der Kunde will den absoluten Schwachsinn, aber ich habe mich erkundigt - er ist zahlungsfähig.' Wenn Sie Unternehmer werden wollen, müssen Sie immer so anfangen: ,Wo ist der zahlungskräftige Kunde?'" An Schwachsinn herrscht sicherlich kein Mangel, aber ob noch genügend zahlungskräftige Kunden vorhanden sind, falls Späth nach einem Wahlsieg Stoibers das Wirtschaftsministerium übernimmt? Späth ist ja, wie er wiederholt erklärt hat, der Meinung, es sei ganz eindeutig, wo man Autos zu produzieren habe, wenn der Stundenlohn in Wolfsburg 50 Mark (25 Euro) und in Asien 1 Mark (0,50 Euro) betrage. Es sei auch billiger und einfacher, Chips vom Produzenten in Singapur nach München zu bringen, als von München nach Passau, hat Späth in dem oben erwähnten Passaür Vortrag vor zwei Jahren behauptet. Globalisierungsexperimente dieser Art würden für die deutsche Wirtschaft um ein Vielfaches teurer als das Projekt Treuhand-Späth-Jena, das den Steürzahler von 1991 bis 1994 immerhin 3,5 Mrd. DM kostete.
Was Stoiber sich dabei gedacht hat, ausgerechnet Späth in sein "Kompetenzteam" zu berufen, ist nicht so ganz klar, und ob ihm diese Berufung am Ende nicht mehr ärger als Nutzen verschafft, wird sich zeigen. Späth zumindest mag schon an einen Posten in einer künftigen Grossen Koalition gedacht haben, als er vor knapp zwei Wochen den Entwurf der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform als "revolutionär" lobte und den amtierenden Kanzler Schröder aufforderte, die Empfehlungen des SPD-Mitglieds Peter Hartz als "Chefsache" noch vor der Wahl zu verwirklichen.
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