Einen wertvollen Beitrag leisteten Zhang Yushu (Beijing), einem der bedeutendsten Übersetzer Chinas und Horst Thomé (Stuttgart) zur Verständigung der Kulturen untereinander, mit dem kürzlich veranstalteten internationalen Schiller-Symposium.
Der Studentenchor der germanistischen Fakultät der Universität Renmin singt Beethovens Vertonung der "Ode an die Freude". Es berichtet Elisabeth Hellenbroich.
Veranstaltet wurde das Internationale Schiller-Symposium von Zhang Yushu (Beijing), einem der bedeutendsten Übersetzer Chinas und "Doyen der chinesischen Germanisten" (wie Wolf Lepenies in der Welt in einem Kommentar am 25.10. schrieb), und Horst Thomé (Stuttgart) in Zusammenarbeit mit der Deutschlandabteilung und dem Deutschland-Forschungszentrum der Renmin-Universität China, dem Volksliteratur-Verlag, der Deutschabteilung der Beijing Foreign Studies University, dem chinesischen Germanistenverband und dem Goethe-Institut Beijing. Das Symposium wurde durch die Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert und unterstützt von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und dem Deutsch-Ostasiatischen Wissenschaftsforum e.V., die mit entsprechenden
Vertretern an dem Symposium teilnahmen.
Neben deutschen Experten (darunter Rüdiger Safranski, Otfried Höffe, Helmut Koopmann, Christoph König, Wolfgang Riedel, Norbert Miller, Georg Braungart und Horst Thomé) nahmen von chinesischer Seite 20 junge Germanistinnen und Germanisten von Universitäten und Fremdsprachenhochschulen in Beijing, Shanghai, Nanjing, Chongjing, Xi'an und Guangzhou mit Vorträgen über Friedrich Schiller, dessen Leben und Werk an dem dreitägigen Symposium teil.
Die Schiller-Gedenkfeier war von Darbietungen klassischer Musik umrahmt. So präsentierte der Studentenchor der Universität eine sehr bewegende Darbietung von Beethovens "Freude schöner Götterfunken". Ein weiterer Höhepunkt war die Präsentation der "Werke Friedrich Schillers" in sechs Bänden in chinesischer Sprache, die vom Chefredakteur des Volksliteraturverlags Beijing Guan Shiguang vorgestellt wurden. Jeder Band dieser Neuausgabe besitzt ein ausführliches Vorwort des Herausgebers, der an diesem Werk in Zusammenarbeit mit zwei weiteren Übersetzern arbeitete; jedes Werk wird von ihm einzeln vorgestellt und kommentiert, um den chinesischen Lesern ein besseres Verständnis der Schillerschen Werke und Gedanken zu ermöglichen; außerdem umfaßt die Ausgabe eine Einführung in das Leben und Werk Friedrich Schillers sowie ein Nachwort von Zhang Yushu.
Innerhalb von drei Jahren gelang es Prof. Zhang, dieses umfangreiche Werk zu vollenden. Die neue chinesische Schiller- Ausgabe stellt somit einen Meilenstein in der wechselvollen Rezeptionsgeschichte von Friedrich Schiller in China dar.
In der Ausgabe der Kulturzeitschrift Ibykus Nr. 91 zum Gedenken des Schillerjahres gab Professor Zhang ein Interview, in dem er auf das Schiller-Symposium hinwies. Zu seinem Projekt der Übersetzung des schillerschen Gesamtwerks meinte Professor Zhang, ihm gehe es darum, seinen Landsleuten ein neues Schiller-Bild zu präsentieren.
Angesichts eines um sich greifenden Materialismus habe er festgestellt, daß sich "schleichend, aber doch merklich" die Bewertungsmaßstäbe änderten: "Man lacht über die Ehrlichen und das Ehrliche, das als Synonym für blöde und schwachsinnig dargestellt wird. Man lebt nur, um zu genießen, zur Befriedigung der Sinnesfreuden. Daher brauchen wir den reinigenden Idealismus Schillers, mit seinem Karl Moor, der auf das ,tintenklecksende Säkulum' und das schlappe Kastraten-Jahrhundert schimpft", meinte er weiter.
Schiller sei nicht veraltet, lebe voller Vitalität, sei ganz aktuell und in keiner Weise überholt, sagte Zhang. "Gerade in der modernen Zeit muß man sich an den bleibenden Wert der Meisterwerke der großen Geister erinnern, in unserem Fall an das unvergängliche Erbe der Werke Schillers. Vor allem junge Chinesen, die sich verirrt und frustriert fühlen, weil die alten, abgöttisch angebeteten Vorbilder und der himmelhoch gepriesene, von der Realität aber verdrängte Moralkodex nicht mehr funktionieren, befinden sich tastend auf der Suche nach den neuen Idealen, die im Wirrwarr der zahlreichen einheimischen und importierten Irrlehren verborgen oder entstellt unerkennbar liegen. Da ist Schiller für die heutigen jungen Chinesen ein ermutigendes Vorbild, nicht nur durch seine glänzenden Werke, sondern auch durch seine unbeugsam unbeirrbar für das Erhabene kämpfende und mit Übelständen ringende Lebensgeschichte."
Im Rahmen der Schiller-Gedenkfeier wurde Prof. Zhang durch Horst Thomé eine Festschrift mit dem Titel Wenn Freunde aus der Fremde kommen. Eine westöstliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu zum 70. Geburtstag überreicht, die zugleich als dritter Band der Reihe "Deutsch-ostasiatische Studien zur interkulturellen Literaturwissenschaft" in Bern erschien.
Die vom japanischen Goethe-Experten Naoji Kimura und Horst Thomé betreute und herausgegebene Festschrift umfaßt 18 Beiträge deutscher, chinesischer, koreanischer und japanischer Autoren. Das sehr einfühlsame Geleitwort schrieb Erwin Wickert, der frühere deutsche Botschafter in Beijing, der dort u.a. Prof. Zhang Yushu und dessen Lehrer, den bedeutenden Lyriker Feng Zhi, kennengelernt hatte.
Was den großen Erfolg von Zhang als Übersetzer ausmache, sei in erster Linie dessen "leidenschaftlicher Wille, ein Werk zu schaffen, das von seiner Person zeugt und über ihn hinweg lebt und bleibt", schrieb Wickert. "Zhang Yushu hatte seinen Ruf als Übersetzer und Interpret von Heine und Zweig begründet, aber einen bedeutenden Teil seiner Tätigkeit nahm bald die organisatorische Verbindung zu Germanisten in der Bundesrepublik Deutschland ein, die er auch auf Japan und Südkorea ausdehnte. Schon vor der Jahrhundertwende hatte Zhang Yushu sich entschlossen, das in China verfälschte Schiller-Bild zu korrigieren, wobei Schillers Ansicht der sittlichen Werte eine entscheidende Rolle spielt. Zhang Yushu sieht eine große soziale, geistige und politische Aufgabe darin, diese Werte auch der heutigen chinesischen Gesellschaft zu vermitteln."
"Mit gemischten Gefühlen ging ich an das Übersetzen heran", schreibt er, "denn einerseits fühlte ich mich von dieser erhabenen Mission und dieser edlen Pflicht beflügelt, andererseits schreckte ich vor der gigantischen Aufgabe zurück, die ich mir gestellt hatte. Ich weiß ganz genau, daß eine schlechte Übersetzung einen großen Dichter noch in Verruf bringen kann, weil die Leser natürlich nicht nach dem Werk im Originaltext werten, sondern eben nach der Übersetzung."
Er habe sich daher drei Kategorien, i.e. drei Stufen für die Qualität von Übersetzungen festgelegt: 1. originalgetreu, 2. verständlich, 3. vornehm und elegant und zugleich so zu übersetzen, "daß nur das mit gleicher oder beinah gleicher Würde, Kraft und Anmut Nachgebildete übersetzt heißen kann." Nun gehöre aber die chinesische Sprache im Gegensatz zu anderen Sprachen zu einem anderen Kulturraum, mit einem anderen Kulturursprung und einer anderen kulturellen und historischen Entwicklung. "Daher ist es für die chinesischen Übersetzer besonders schwer, ein literarisches Werk aus einer europäischen Sprache ins Chinesische zu übersetzen."
Um den Schwierigkeiten beim Übersetzen zu begegnen und den chinesischen Sprachschatz zu verbessern, "fing ich vor zwei Jahren an, klassische Gedichte der Tang- und Song Zeit auswendig zu lernen. Jeden Morgen lernte ich zwanzig Minuten Gedichte auswendig, wie ein Schulkind. Daneben las ich klassische Romane wie die Drei Reiche - es handelt sich dabei um die Geschichte der späten Han-Dynastie, den Kampf der Warlords im 3. Jahrhundert um die Herrschaft über China - und den Roman Streitende Reiche - dabei geht es um die Geschichte der östlichen Zhou-Dynastie im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus, den Kampf der Fürsten um die Hegemonie, ungefähr in der Zeit, als Konfuzius geboren wurde. Auch die alten Annalen wurden meine tägliche Lektüre. Nur um mein Sprachgefühl im Chinesischen zu verfeinern."
Wer einen Blick auf die Fülle an Themen wirft, die auf dem Schiller-Symposium dargelegt wurden - Themen wie "Friedrich Schillers Begegnung mit dem Geist der chinesischen Poesie", "Das Naive und Sentimentalische bei Schiller", "Schillers Wilhelm Tell und dessen Entstehungsgeschichte", "Der Briefwechsel Goethe-Schiller als Kulturerbe der deutschen Klassik", "Schiller oder die Freiheit als Problem", "Schillers Don Carlos und seine Rezeption in Verdis Don Carlo", "Notwendigkeit in Wallenstein", "Wilhelm von Humboldts Schiller: Zur Geschichte der poetischen Wissenschaft", "Arkadien hinter uns und Elysium vor uns? Schillers Weg zur Freiheit über die Schönheit mit Rück- und Ausblick - eine Betrachtung nach zwei Jahrhunderten und aus chinesisch-konfuzianischer Sicht" - , dem wird klar, daß dieses Schiller-Symposium zweifellos zu den interessantesten Ereignissen im Schillerjahr 2005 gehört.
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