Mai 2004:
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Das verborgene Feuer der Revolution

Das Land Baden-Württemberg erinnert mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und einer Ausstellung, die seit einigen Wochen im Schloß Bruchsal zu sehen ist, an einen seiner berühmten Söhne, den genialen Kopf des legendären Bundschuh, Joß Fritz

Das verborgene Feuer der Revolution
Die Ausstellung Joß Fritz - das verborgene Feuer der Revolution ist noch bis 12. Mai im Schloß Bruchsal, von Mitte Juni bis September im Museum Pforzheim zu sehen. Ein schönes, ausführliches Buch mit dem gleichen Titel von Thomas Adam kostet € 18,- und ist im Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher erschienen (ISBN 3-89735-192-7).

Joß Fritz wurde um 1470 in Untergrombach, das heute zu Bruchsal gehört, als Sohn eines leibeigenen, doch wohlhabenden Bauern des Bistums Speyer geboren. Es waren unruhige Zeiten: Der Kaiser war schwach, und weltliche wie kirchliche Herren suchten ihre Macht und persönliche Stellung auszubauen. Dazu wurden rücksichtslos Abgaben und Steuern erhöht und die Rechte der Untertanen und das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden beschnitten. Politische Willkür und wirtschaftliche Ausbeutung waren an der Tagesordnung. Hinzu kam ein regelrechter Krieg unter den oberen Ständen; Kaiser, Fürsten und Ritter lagen beständig miteinander in Fehde, es herrschte allgemeine Rechtlosigkeit.

Beim Basler Konzil (1431-49) wurde ein letzter entscheidender Versuch unternommen, das Reich zu reformieren. Nikolaus von Kues hatte in seiner berühmten Reformschrift De concordantia catholica eine umfangreiche Reform des Reiches und der Kirche vorgeschlagen. Diese Ideen wurden in der Reformation Kaiser Sigmunds, einer Reformschrift aus dem Jahre 1439, die sich direkt an den gemeinen Mann wandte, wieder aufgegriffen. In einer großen Reichsreform sollte die Zentralmacht des Kaisers gestärkt und die Territorialmacht des Adels und der Geistlichkeit zurückgedrängt werden, und alle Handelsgesellschaften, die damals schon die großen Bedrücker waren, sowie die Zünfte sollten beseitigt werden. Der einzelne habe die Pflicht zum Widerstand, denn "wann die großen slafen, so muesen aber die klainen wachen, da es ja doch gen mues".

Wie sehr es damals in Europa brodelte, wird an der Anzahl der Erhebungen deutlich: Zwischen 1450 und dem Ausbruch des großen Bauernkriegs in Deutschland im Jahre 1524/25 kam es zwischen Finnland und Ungarn zu 130 großen Bauernaufständen. Doch kein Ereignis beflügelte den bäuerlichen Widerstand so sehr wie die Schweiz: 1499 wurde der Schweiz im Frieden von Basel die politische Unabhängigkeit vom Habsburger Joch zugestanden, von da an wurde die Losung "Frei sein wie die Schweiz!" zum Kampfruf.

Der Bundschuh

Der Bundschuh, der gebundene Schuh, war das Kennzeichen des "Mittelstandes", Bauern und Bürger trugen ihn, während die Herren in Stiefeln und die unteren Schichten barfuß gingen. Joß Fritz wählte sich ihn zum Symbol, und binnen kurzer Zeit wurde der Bundschuh das gefürchtete Symbol des Widerstandes bei der Obrigkeit.

1501 begann Joß Fritz seine Werbung im Bistum Speyer. Der Anlaß war eine neue Grundsteuer, die der Bischof erlassen hatte. Schon 1493 hatte dieser die Allmende an sich gerissen, die freie Nutzung von Wäldern, Wiesen und Flüssen untersagt und die Bauern gezwungen, ihren Viehbestand zu verringern. Schlechte Ernten führten zu Hungersnöten, und unter der geschwächten Bevölkerung wütete die Pest. In dieser Lage hatte der Bischof die Stirn, neue Steuern zu erheben. Joß muß ein begnadeter Organisator gewesen sein; binnen weniger Wochen hatte seine Bewegung an die 10000 Anhänger gewonnen. Joß dachte von vornherein an keine örtliche Erhebung, er schickte seine Werber bis in die Rheinebene, die selbst entlegene Orte zum Anschluß bewegen sollten. Eine Botschaft ging an die Eidgenossen. Am 22. April des Jahres 1502 wollte er an verschiedenen Orten im Aufstandsgebiet zugleich losschlagen. Die Losung lautete: "Nichts als die Gerechtigkeit Gottes".

Die Werbung für die Bewegung war so einfach wie wirkungsvoll: Kam ein Bundschuher mit anderen zusammen, ließ sich leicht das Gespräch auf die desolate Lage richten, und stieß man auf Unzufriedene, lenkte man sacht das Gespräch auf den Bundschuh und lotete aus, wie ernst es dem Angesprochenen war, um ihn schließlich für die Verschwörung zu werben. Jeder Mitverschworene wurde nun selbst zum Werber für den Bundschuh. So wuchs die Bewegung schnell und ließ sich selbst in entlegenere Gegenden tragen. Doch dieser Vorteil stellte gleichzeitig die offene Flanke der Bewegung dar - sie war anfällig für Verrat.

Zum vereinbarten Termin sollten die Burg Obergrombach und die Stadt Bruchsal, die Hauptstadt des Hochstifts Speyer und Bischofssitz, mit Waffengewalt eingenommen werden. Wer sich nicht bedingungslos den Aufständischen anschloß, dem wollte man "stracks den hals abstechen". Das mag nun manchen an die blutrünstigen Schauergeschichten erinnern, die man jahrhundertelang über die revoltierenden Bauern verbreitete. Tatsächlich aber zeigt ein solches Vorgehen nur, daß es den Aufrührern wirklich ernst war. Sie wollten nichts Geringeres als eine Revolution, und bei einem solchen Vorhaben gab es nur Sieg oder Tod. Sollte der Aufruhr fehlschlagen, würden die Anführer allesamt hingerichtet werden. Also blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als diejenigen, die sich gegen sie stellten, sofort auszuschalten.

War Bruchsal eingenommen, wollte man sich nach Süden Richtung Pforzheim wenden. Das Bauernheer sollte nirgendwo länger als 24 Stunden verweilen, sondern immer zu neuen Kämpfen aufbrechen, bis schließlich alles der Verschwörung unterworfen war. Joß Fritz dachte sich das Heer des Bundschuh als ein bewegliches Sammlungszentrum, dem die Verschworenen von überallher zuströmen sollten und das in ständiger Mobilisierung, in ständiger Vorwärtsbewegung war. War der Aufstand erst einmal im Gang, so war Joß überzeugt, würden die Bauern und Bürger überall "aus Liebe zur Freiheit" seiner Bewegung aus freiem Willen und ohne Zwang zuströmen.

Wenige Tage vor dem vereinbarten Datum zum allgemeinen Aufruhr wurde der Plan verraten. Der Landsknecht und Mitverschwörer Lukas Rapp offenbarte den Plan dem Markgrafen und ließ sich seinen Verrat fürstlich bezahlen. Das Strafgericht war exemplarisch: Zehn Hauptverschwörer wurden enthauptet, dann in vier Teile zerhauen und ihre Gliedmaßen an den Landstraßen aufgehängt. Ihr Eigentum wurde eingezogen, ihre Kinder des Hochstifts verwiesen. An die hundert Mitverschwörer behielten zwar ihr Leben, das war jedoch alles, ihr Hab und Gut wurde eingezogen. Anderen wurden die Schwurfinger abgehackt, bevor sie des Landes verwiesen wurden. Joß konnte entkommen.

Auch wenn die Erhebung zerschlagen wurde, ein entscheidender Schritt war getan: Der Bundschuh erhob zum ersten Mal keine lokalen Forderungen mehr, sondern wollte den Umsturz und den Neubau der Volksordnung. Alle Landesobrigkeit sollte abgeschafft, alle Abgaben und Dienste aufgehoben, alle geistlichen Güter aufgeteilt werden. Eine zentrale Forderung betraf den Schuldendienst: Wucher sollte verboten sein, die Zinsen höchstens fünf Prozent betragen, die man zugleich als Tilgung verstanden wissen wollte. Lediglich zwei Gewalten wollte man uneingeschränkt anerkennen: den Kaiser und den Papst, sämtliche Zwischeninstanzen sollten abgeschafft werden.

Es ging also um nicht weniger als um eine allgemeine Bauernbefreiung, ferner um die Neugestaltung des gesamten politischen, wirtschaftlichen und religiösen Lebens. Die Kurfürsten traten unter dem Eindruck des Bundschuh zusammen und versuchten noch einmal, die Reichsreform in Gang zu bringen. Der gemeine Mann sei so "mit Fronden, Diensten, Atzung, Steuern, geistlichem Gericht und anderm also merklich beschwert, daß es in der Länge nicht zu leiden sein wird", lautete ihre Einsicht, doch dabei blieb es, es änderte sich nichts.

Zehn Jahre später tauchte Joß wieder auf - als Kopf einer ähnlich mächtigen Bewegung in Lehen, unweit von Freiburg. Die Forderungen blieben im Wesentlichen die gleichen, man verlangte, was allgemein als "göttlich, ziemlich und billig dünkte". Im Herbst des Jahres 1513 sollten zahlreiche Orte und schließlich Freiburg eingenommen werden. Wieder wurde der Plan verraten, dieses Mal von einem Bauern, der sich so Erleichterung für einen Totschlag verschaffen wollte. Die Obrigkeit griff schnell zu; eine große Zahl von Verschwörern wurde verhaftet und gerichtet. Welchen Zuspruch der Bundschuh in der Bevölkerung genoß, wird daran deutlich, daß der Freiburger Rat sein scharfes Vorgehen mehrmals vor den Zünften rechtfertigen mußte.

Der "Hauptsächler" Joß Fritz konnte wieder entkommen. Wieder wurden seine engsten Freunde und Mitarbeiter hingerichtet. Doch sein Mut blieb ungebrochen. Ein "Führer des Volks durch und durch, mit süßer Rede angetan, wohl wissend, wo den armen Mann der Schuh drückt und wo selbiger von Juden und anderen Wucherern, von Advokaten und Beutelschneidern, von Fürsten, von adeligen und geistlichen Herren allzusehr mit Lasten und Fronden beschwert worden", so wird er in den Berichten über die Verhöre seiner Mitverschworenen beschrieben. Tief getroffen von der allgemeinen Not und der Menschenschinderei der Herren, mit einem weichen und mitfühlenden Herzen, aber zäher Tatkraft und einem unbeugsamen Willen ausgestattet, wirkte er weiter für das, "was dem gantzen land nützlich" sei.

Der Bundschuh am Oberrhein

Nun bemächtigten sich die Bänkelsänger und Dichter seiner Gestalt, in zahlreichen Gedichten und Volksliedern wurde der legendäre Führer des Bundschuh besungen. Joß selbst wurde von der Obrigkeit für vogelfrei erklärt, er wanderte nun rastlos umher, unermüdlich für seine Idee werbend. Zweimal hatte er versucht, eine regionale Bewegung aufzubauen - wollte er den Bundschuh doch noch zum Sieg führen, so mußte er versuchen, von vornherein ein viel größeres Gebiet zu umfassen. Nun baute er eine Organisation auf, die so weit gefächert war, daß sie nicht zerschlagen werden konnte, selbst wenn wieder ein Mitverschworener seinen Mund nicht halten konnte oder ein Werber an den Falschen geriet. Der Bundschuh wurde zu einem dezentralen Geheimbund umgeformt, in dem nur Joß und sein Vertrauter, Stoffel von Freiburg, sowie einige ihrer hauptverantwortlichen Werber den ganzen komplexen Apparat überblickten. Die übrigen waren lediglich in einige Teile der Bewegung eingeweiht.

Die Werbung für den Bundschuh muß ungeheuer erfolgreich gewesen sein; nach wenigen Monaten vereinte er in mindestens hundert Dörfern Angehörige der unterschiedlichsten weltlichen und geistlichen Herrschaften. Vom Südschwarzwald und den Nordvogesen, von Zabern im Westen und Bretten im Nordosten bis nach Horb im Württembergischen und weit ins Elsaß hinein, mit einem besonderen Schwerpunkt rund um Straßburg, konzentrierten sich die Bundschuher. Das Programm zum Umsturz wurde allgemeiner, grundsätzlicher, alle örtlichen Belange wurden fallengelassen. Nur den Kaiser und den Papst wollte man noch anerkennen, alle Renten, Zinsen, Dienste und Gülten (Grundsteuern) wollte man abschaffen.

Nun offenbarte sich das organisatorische Genie des Joß Fritz. Bald tauchte er in Basel, bald im Schwarzwald, bald im Elsaß auf, unermüdlich für seinen Bundschuh wirkend. Nur gelegentlich traf er sich mit seinen wichtigsten Werbern, um sich vom Fortgang der Bewegung unterrichten zu lassen und Weisungen zu geben. Anfang September des Jahres 1517 wollte man zugleich an verschiedenen Orten losschlagen. Doch schon Anfang August wurde die Gegenseite gewarnt, wiederum in der Beichte, in den ersten Septembertagen ging der Obrigkeit mit Michel von Dinkelsbühl einer der zentralen Werber ins Garn. Damit war der Bundschuh in seinen Hauptzweigen aufgedeckt.

Das war ein unerwarteter Schlag, erneut war die Saat zertreten. Die Territorialherren trafen sofort Gegenmaßnahmen, doch auch die Bundschuher waren gewarnt, so daß nur wenige gefaßt und gerichtet wurden. Auch Joß konnte wieder entweichen. Er, der unermüdlich für eine bessere Zeit wirkte, der immer wieder mitansehen mußte, wie seine Pläne verraten und seine besten Freunde und Weggefährten hingerichtet wurden, blieb seiner Idee treu. Noch beim Ausbruch des eigentlichen Bauernkrieges im Schwarzwald soll er, jetzt "mit einem alten grauen Bart" angetan, dabei gewesen sein. Er beschwor die Schwarzwaldbauern, sein Werk weiterzuführen, denn "er könne oder möge nicht sterben, der Bundschuh habe denn zuvor seinen Fortgang erlangt". Wann und wo er starb, ist nicht bekannt.

Joß schwebte von vornherein eine allgemeine Erhebung der Bauern im Reich vor, und es ist sein Verdienst, daß er die Bauern von örtlichen Beschwerden und Belangen auf die allgemeine Drangsal, die überall im Reich herrschte, hinlenkte und dazu brachte, sich für die Beförderung des Gemeinwohls zu erheben. Die Forderungen des Bundschuh sollten einige Jahre später im großen deutschen Bauernkrieg wiederaufgegriffen werden.


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