Oktober 2006:

Bundesverfassungsgericht stoppt Ratifizierung der EU-Verfassung

Zweiter Senat des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Zwei EU-Mitgliedstaaten (Frankreich und die Niederlande) haben die EU-Verfassung in einer Volksabstimmung abgelehnt, in acht Ländern liegt sie auf Eis, weil der Ratifizierungsprozeß unterbrochen wurde. Auch Deutschland gehört jetzt dazu.

Nebenstehendes Bild zeigt den zweiten Senat des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Im Mai 2005, nachdem Bundestag und Bundesrat dem EU-Verfassungsvertrag zugestimmt hatten, zog der CSU-Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler mit seiner Verfassungsbeschwerde die Notbremse. Die Gründe (z.B. Entmachtung des Bundestags, Aushöhlung der Grundrechte, Verlust der "existentiellen Staatlichkeit") hat der von Gauweiler beauftragte Jurist Prof. Schachtschneider damals in einem ausführlichen Interview mit der Neuen Solidarität dargelegt.

Beide Parlamentskammern forderten daraufhin das Bundesverfassungsgericht auf, die Klage als "unbegründet" zurückzuweisen, aber das Gericht ist dieser Aufforderung nicht gefolgt. Bundespräsident Köhler erklärte verbindlich, er werde den Verfassungsvertrag nicht unterzeichnen, bevor nicht in Karlsruhe über die Klage entschieden worden sei.

Dann gingen eineinhalb Jahre ins Land, bis der Verfassungsrichter Siegfried Broß als Berichterstatter des Zweiten Senats in einem Brief vom 17. Oktober 2006 dem Abgeordneten Gauweiler mitteilte, das Bundesverfassungsgericht werde vorerst nicht über seine Klage entscheiden: "Angesichts der anhaltenden Diskussion über die Fortführung des europäischen Verfassungsprozesses nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden und der Absicht der Europäischen Union, während des deutschen Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2007 einen Fahrplan vorzulegen, wie ein - möglicherweise veränderter - Vertrag unter neuem Namen bis 2009 in Kraft treten kann, sehe ich für eine Entscheidung über die anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag für eine Verfassung für Europa gegenwärtig keine Priorität".

Broß fügte hinzu, warum das Verfassungsgericht kein Urteil fällen wolle, solange die Diskussion in der EU nicht abgeschlossen sei: "Eine Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte das Bundesverfassungsgericht in die Rolle eines Mitgestalters des europäischen Verfassungsprozesses führen, die mit seiner Funktion als Träger der Letztentscheidungskompetenz unvereinbar ist."

Damit ist der Ratifizierungsprozeß in Deutschland bis auf weiteres unterbrochen. Der Verfassungsvertrag liegt genauso auf Eis wie in Dänemark, Großbritannien, Irland, Polen, Portugal, Schweden und in der Tschechischen Republik.

Für die Bundeskanzlerin Merkel mag das peinlich sein, weil Deutschland im kommenden Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und Angela Merkel dies nutzen wollte, um die säumigen Ratifizierer auf Trab zu bringen. Das muß sie sich nun aus dem Kopf schlagen. Peter Gauweiler begrüßte die Aussetzung seiner Verfassungsbeschwerde: "Ein guter Tag für alle, die diesem juristischen Monstrum mit großer Skepsis begegnet sind." Mit dem Ratifizierungsstopp in Deutschland sei der EU-Verfassungsvertrag "endgültig gescheitert".

Der Europasprecher der SPD-Bundestagsfraktion Michael Roth widersprach: Die Suspendierung des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht stelle "keineswegs eine Entscheidung über die Zukunft des EU-Verfassungsvertrages dar". Gauweilers Interpretation sei "eine bewußte Verzerrung der Aussage des Gerichts".

Die CDU-Fraktion sorgte für einen Eklat, als sie eine Veranstaltung des "Parlamentarischen Forums Europas Verfassung" , bei der Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine (Die Linke) über die EU-Verfassung diskutieren sollten, kurz vorher absagte, da sie "gegen die Ziele des Forum gerichtet" sei.

Der Abgeordnete Dieter Dehm von der Fraktion "Die Linke" hingegen freut sich über die Suspendierungsentscheidung: "Damit hat auch das höchste deutsche Gericht deutlich aufgezeigt, daß der Versuch gescheitert ist, den Verfassungsvertrag gegen die Bürgerinnen und Bürger durchzupeitschen."

Die Freude sollte aber niemanden zur Untätigkeit verleiten. Denn solange als oberstes Gesetz in der EU der Maastrichter Vertrag gilt, ist das schon Katastrophe genug. Die Blockierung der EU-Verfassung in Deutschland sollte aber Ansporn sein, politisch noch entschiedener gegen das Maastrichter "Euro-System" vorzugehen.


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