Elisabeth Hellenbroich zieht Bilanz.
Die Schwelle der Hoffnung überschreiten lautet der Titel eines Buchs über Papst Johannes Paul II., das 1994 erschien. Der Titel bringt das Kennzeichnende des fast 27 Jahre währenden Pontifikats dieses außergewöhnlichen Papstes zum Ausdruck: das paulinische Prinzip "Glaube, Hoffnung und Liebe", das Johannes Brahms zum Thema seiner berühmten "Vier ernsten Gesänge" erhob.
Danach gestaltete der Papst sein Amt. Er legte die Grundlagen für einen tiefgreifenden ökumenischen Dialog zwischen den Religionen, vor allem zwischen den drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, und er baute mit dem 1995 veröffentlichten Dokument Ut unum sint Brücken der Verständigung zwischen den christlichen Kirchen des Westens und den christlich-orthodoxen Glaubensbrüdern.
Zu den Höhepunkten seines Pontifikats gehörte die Pilgerreise des Papstes ins Heilige Land im März 2000, zu deren Stationen ein Besuch in Jordanien und Israel gehörten. Bei einer Begegnung mit dem damaligen israelischen Staatspräsidenten Ezer Weizmann im Präsidentenpalast in Jerusalem verwies der Papst in einer Ansprache auf die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen. Den Frieden im Nahen Osten machte er zu einer persönlichen Angelegenheit:
"Wir wissen, daß sich der Frieden im Nahen Osten nur aus gegenseitigem Verständnis und Achtung zwischen allen Völkern dieser Region - Juden, Christen und Muslime ergeben kann ... In dieser Hinsicht ist meine Pilgerfahrt eine Reise der Hoffnung; Hoffnung, daß das 21. Jahrhundert zu einer neuen Solidarität unter den Völkern der Welt führen wird in der Überzeugung, daß Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden nur dann erreicht werden können, wenn sie für alle durchgesetzt wird."
Sehr ergreifend war seine Ansprache in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, wo er erneut bekräftigte, was sich leitmotivisch durch sein Pontifikat zog: Das Böse kann nur mit dem Guten und mit der Kraft der Liebe überwunden werden. An den Anfang stellte er den altehrwürdigen Psalm:
"Ich bin worden wie ein zerbrochen Gefäß.
Denn ich höre, wie mich viele schelten,
Schrecken ist um und um;
sie ratschlagen miteinander über mich
und denken, mir das Leben zu nehmen.
Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche:
Du bist mein Gott!
[Psalm 31, 13-15]
An dieser Stätte der Erinnerungen empfinden Verstand, Herz und Seele ein starkes Bedürfnis nach Stille. Stille zum Erinnern, Stillschweigen, in dem wir versuchen, etwas Besinnung in die Erinnerungen zu bringen, die uns überfluten, Stille, weil es keine Worte gibt, die stark genug wären, um die grauenhafte Tragödie der 'Shoah' zu beklagen ...
Ich bin nach Yad Vashem gekommen, um den Millionen Juden die Ehre zu erweisen, denen alles genommen wurde, besonders ihre Würde als Menschen, und die im Holocaust ermordet worden sind. Über ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen, aber die Erinnerung bleibt."
Erinnerung, so betonte der Papst, sei notwendig. Aber es müsse eine Erinnerung mit einer "Zielsetzung" sein, welche gewährleistet, daß das Böse nie mehr die Oberhand gewinnen kann: "Wir erinnern uns, aber ohne jedes Verlangen nach Rache oder als Ansporn zum Haß. Nur eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit für alle kann eine Wiederholung der Verfehlungen und grauenvollen Verbrechen der Vergangenheit verhindern."
Seine Reise auf den Spuren des Heiligen Paulus ein Jahr später, 2001, war ein Meilenstein auf dem Weg der Wiederannäherung zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen sowie zwischen Muslimen und Christen. Gegen Huntingtons "Kampf der Religionen und Kulturen" bekräftigte der Papst die paulinisch-cusanische Idee des "Friedens unter den Religionen", der Liebe und des Dialogs unter den Völkern.
Frieden und Dialog unter den Kulturen ist nur möglich, so die Botschaft des Papstes damals, wenn sich die Religionen auf ihr gemeinsames geistiges Erbe konzentrieren, und wenn sie die Verteidigung des Gemeinwohls, den Kampf für Gerechtigkeit und wirtschaftliches Wohlergehen in den Mittelpunkt der Zusammenarbeit stellen.
"Raphaels Schule von Athen, die im Vatikanischen Museum zu sehen ist, macht den Beitrag der Schule von Athen auf die Kunst und Kultur der Renaissance deutlich. Es war eine Epoche, in der das Erbe des klassischen Athens sich mit der Kultur des christlichen Roms verband ... Platon hob hervor, es sei notwendig, den Geist der Jugendlichen zu erziehen, damit er das Gute und die Prinzipien des göttlichen Rechts erkenne. Wie viele griechische Philosophen und Schriftsteller, angefangen mit Sokrates, Aischylos und Sophokles, forderten ihre Zeitgenossen auf, 'in Übereinstimmung mit der Tugend' zu leben."
Historisch bedeutsam war auch der Besuch in der syrischen Hauptstadt Damaskus, wo er als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche die Omajjaden-Moschee besuchte. Gegenüber dem Großmufti drückte der Papst die Hoffnung aus, daß die Führer der moslemischen und christlichen Gemeinschaft den Dialog vertiefen werden. Er hoffe, daß die Jugend nicht die Religion dazu mißbrauche, Haß und Gewalt zu rechtfertigen.
Dieser Papst machte sich während all der Jahre seines Pontifikats zum Anwalt eines Friedens zwischen Arabern und Juden. Er ließ keine Gelegenheit aus, zu betonen, daß nur "ein gerechter Frieden die Voraussetzungen für die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung, auf die die Völker Anspruch haben, legt." Er wurde zum "moralischen" Gewissen der Welt, als er leidenschaftlich und mutig gegen die Präventivkriegspläne des amerikanischen Präsidenten George W. Bush auftrat, und ließ bis zum letzten Moment nichts unversucht, diesen barbarischen Krieg im Irak, der in seinen Worten immer eine "Niederlage" für die Menschheit darstelle, abzuwenden.
Im Mittelpunkt des Wirkens von Papst Johannes Paul II. stand die christliche Theologie der Liebe, der leidenschaftliche Kampf für die Würde des Menschen und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.
Seine wichtigsten Enzykliken über die soziale Frage sind Laborem exercens (1981), Sollicitudo rei socialis (1987) und zum 100. Jahrestag der wegweisenden Soziallehre Leos XIII. Centesimus annus (1991).
In Sollicitudo rei socialis übte der Papst herbe Kritik am Neoliberalismus, sprach von "ungerechten Strukturen der Sünde" in der Gesellschaft, die ihren Ausdruck darin fänden, daß ein Großteil der Menschheit in bedrückender Armut und Unterentwicklung zubringe.
Dies schrieb er, als die Welt noch in zwei Blöcke aufgeteilt war, und bezog sich auf die berühmte Enzyklika Populorum progressio Pauls VI., der den Satz "Entwicklung ist ein neuer Name für Frieden" prägte. Der Krieg sei einer der schlimmsten Feinde einer allseitigen Entwicklung der Völker. Dagegen gelte es, eine Welt zu verteidigen, die von Sorge um das "Gemeinwohl der ganzen Menschheit" geleitet ist. Wahre und echte Entwicklung sei die, an der alle Nationen dieser Welt teilhaben.
Die Entwicklung bedürfe eines Maßstabs, schrieb der Papst: "Dieser leitet sich ab vom Menschen, der das Zentrum der Ökonomie ist. Danach ist die besondere Natur des Menschen die, daß er von Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen worden ist (Gen. 1,26)." Der Papst sprach von einer "Zivilisation der Liebe" im Gegensatz zu den "Strukturen der Sünde" - die im Gegensatz zum "Gemeinwohl" stünden. Dazu gehören die "Gier nach Profit" und das "Verlangen nach Macht" mit der Absicht, den anderen seinen Willen aufzuzwingen. "Solidarität ist nicht das Gefühl von Mitleiden", sondern die "beständige Entschlossenheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, d.h. für das Wohl aller und eines jeden, weil wir für alle verantwortlich sind. Die Übung von Solidarität ist notwendig für das Wohl des Nächsten, aber auch im internationalen System auf der Grundlage der Gleichheit aller Völker."
In einem Kommentar im Corriere della Sera schrieb der Journalist und Biograph Messori 2001: "Gegen den Hochmut der Welt setzt er Demut. Gegen Verschlossenheit Offenheit; Mißtrauen beantwortet er mit Vertrauen. Auf Kleinheit antwortet er mit Großmut."
Als er im Oktober 1978 als Papst Johannes Paul II. sein Pontifikat in Rom antrat, erklärte er vor der versammelten Menschenmenge "Fürchtet euch nicht!" Er hat diesen Aufruf wiederholt gebraucht, auch in dem Buch An der Schwelle der Hoffnung, wo er schrieb: "Fürchtet euch nicht... habt keine Angst vor seiner (Gottes) Liebe, habt keine Angst vor der Schwäche des Menschen und auch nicht vor seiner Größe! Der Mensch hört nicht auf, groß zu sein, auch nicht in seiner Schwäche. Fürchtet euch nicht, Zeugen für die Würde eines jeden Menschen zu sein, vom Moment seiner Zeugung an bis zu seinem Tode!"
An einer anderen Stelle zitierte er aus dem Korintherbrief des Hl. Paulus: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe (1. Kor. 13,13)."
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