Dezember 2002:
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Eine Pflichtlektüre für Erzieher und Politiker

Stop Teaching Our Kids To Kill
Die deutsche Übersetzung von "Stop Teaching Our Kids To Kill" von Dave Grossman und Gloria DeGaetano ist jetzt unter dem Titel "Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht?" im Verlag Freies Geistesleben erschienen.

Beobachtern unserer Bewegung ist Prof. Grossman bereits bekannt. Die BüSo-Vorsitzende Helga Zepp-LaRouche führte mit ihm kurz nach den Massaker an der Schule in Erfurt ein Interview. Helga Zepp-LaRouche hatte damals zu einem internationalen Verbot von Gewalt verherrlichenden Filmen, und Computerspielen aufgerufen.

In ihrem Buch befassen sich Grossman und DeGaetano mit der sog. medieninduzierten Kriminalität. Deren Existenz wird heute, vor allem natürlich von Medienvertretern, noch immer geleugnet, obwohl, wie die Autoren berichten, gerade in den USA schon seit Anfang der 70er Jahre verschiedene vom US-Gesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studien immer wieder bestätigten, daß z.B. das Anschauen gewalthaltiger Fernsehprogramme auch zu mehr Aggressivität und Gewalt in der Realität führte. Und im Juli 2000 hatten amerikanischen Ärzte, Kinderärzte, Psychologen und Kinderpsychiater - vertreten durch ihre Verbände - dem US-Kongreß die folgende aufschlußreiche Erklärung vorgelegt:

"Weit über tausend Studien weisen übereinstimmend auf eine kausale Verknüpfung zwischen Mediengewalt und aggressivem Verhalten mancher Kinder hin. Die Verantwortlichen des Gesundheitswesens ziehen aus mehr als dreißigjähriger Forschung den Schluß, daß ein Betrachten von Gewaltdarstellungen zur Unterhaltung besonders bei Kindern zur Zunahme aggressiver Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen führen kann. Die Wirkungen sind meßbar und dauerhaft. Darüber hinaus kann längeres Betrachten von Gewalt in Medien zu emotionaler Abstumpfung gegenüber Gewalt im realen Leben führen. Vorläufige Studien weisen darauf hin, daß die negativen Auswirkungen interaktiver elektronischer Medien (Gewalt in Computerspielen) signifikant stärker sein könnten als die der durch Fernsehen, Filme und Musik hervorgerufenen."

Aus Untersuchungen zum Fernsehen gehe u.a. hervor: "Seit 1982 [bis 1990] hat sich die Gewalt im Fernsehen um 780% erhöht, und im selben Zeitraum haben Lehrer von einem Anstieg der Gewalttätigkeiten in Pausenhöfen um fast 800% berichtet."1 Und der amerikanische Epidemiologe Dr. Brandon Centerwall kam als Ergebnis seiner sehr gewissenhaften Nachforschungen Anfang der 90er Jahre zu dem Schluß: Wenn die "Fernsehtechnologie niemals entwickelt worden wäre, gäbe es heute pro Jahr 10000 Morde weniger in den Vereinigten Staaten, 70000 Vergewaltigungen weniger und 700000 Körperverletzungen weniger".

Für Eltern ist es heute weit wichtiger, die Auswirkungen der Computerspiele als die des Fernsehens zu verstehen, vor allem, da die meisten Erwachsenen sich zwar täglich mit dem Fernsehen, aber wohl kaum mit Computerspielen beschäftigen, während es gerade in Deutschland, wo sehr viele Haushalte mit Computern ausgestattet sind, kaum noch ein Kind geben dürfte, das noch nie Computerspiele gespielt hat, und viele Kinder auch sehr gefährliche Spiele konsumieren. Oberstleutnant Dave Grossman ist Psychologieprofessor an der US-Militärakademie in West Point, Vorsitzender des Department of Military Science, Militärhistoriker und Army-Ranger.

Er reist in aller Welt umher und macht medizinischem Personal, Angehörigen der US-Polizei und des US-Militärs, die mit tödlicher Gewalt zu tun haben bzw. sie selbst ausüben müssen, die psychologische Wirkung des Tötens bewußt. Er hilft ihnen mit dem Töten umzugehen und es zu verhindern. Grossman war auch Gutachter in verschiedenen Prozessen gegen Jugendliche, die sog. Schulmassaker in den USA begangen hatten - er ist also ein Fachmann, dessen Beiträge vor allem über die Gewaltcomputerspiele in diesem Buch sehr aufschlußreich sind.

Wie Grossman berichtet, werden Ego-Shooter-Computerspiele beim US-Militär eingesetzt, um das Töten zu trainieren. Es sind eigentlich Schießsimulatoren, und zwar sehr effektive. Als die Technik noch nicht so ausgereift war, so Grossman, habe die Armee einfachere Simulatoren und erst später coputergestützte Schießsimulatoren benutzt. Beim Schießen an Simulatoren werde die Hemmschwelle gegen das Töten abgebaut, die Treffsicherheit erhöht und das Töten als eine Art Reflexreaktion antrainiert. So sei es möglich, auch unter Streß in Gefahrensituation zielsicher zu treffen. Wie effektiv diese Art des Trainings bereits schon war, zeige der Vietnamkrieg. "Die Einführung von Simulatoren ist unbestreitbar verantwortlich für den Anstieg der erfolgreich tötenden Soldaten von 15 bis 20% im Zweiten Weltkrieg auf 95% im Vietnamkrieg. Im Falklandkrieg lag dieser Wert für die argentinischen Soldaten, die mit zivilen Zielscheiben übten, bei 10 bis 15%. Dagegen erreichten die mit modernen Methoden trainierten britischen Soldaten über 90%", schreibt Grossman.2

Und heute wird diese Technik in Form der Ego-Shooter-Spiele auf Kinder und Jugendliche losgelassen. In der effektivsten Trainingsform als größter Spielespaß werden dazu auch noch Spielekonsolen mit einer nachgemachten Plastikpistole anstatt der Maus und anderem Zubehör für zu Hause verkauft. (Diese Technik gab es sonst nur in Spielhallen.) Wie Grossman berichtet, prahlen Spielehersteller sogar damit, ihre Spiele seien so wie Militärsimulationen. So heißt es z.B. in einer Werbung für Spielezubehör für das Spiel "WingMan Force": "[WingMan Force] basiert auf exakt der gleichen Technologie, die für Flug-, Medizin- und Militärsimulationen eingesetzt wird. Durch die Verwendung von hochpräzisen Stahlkabel-Motoren kannst du die detaillierte Welt deiner besten Spiele wirklich fühlen... Psychiater sagen, daß es wichtig ist, etwas zu fühlen, wenn man tötet."3

Man kann bei diesen Spielen das Schießen und Töten aus der Perspektive des Schützen fast wie in der Realität erleben, und ist zudem selbst aktiv und nicht nur passiver Zuschauer wie etwa beim Fernsehen. Wie effektiv diese Art des Schießtrainings sein kann, zeigen Jonesboro, Paducah, Littleton und Erfurt. Alle Täter hatten mit Ego-Shootern wie "Doom" - die Ursprungsversion von "Doom" war ein Übungsspiel für die US-Armee - oder "Counterstrike" trainiert. Hinzu kommt: Je perfekter die Realität heute in Spielen simuliert werden kann - und die Simulationen nähern sich stetig mehr der Realität an - , je schneller tritt der Effekt ein, daß der Spieler Realität und Spiel nicht mehr auseinanderhalten kann. Und diese einer Gehirnwäsche vergleichbare Wirkung ist um so verheerender bei kleineren Kindern, die Realität und Fantasie ohnehin nicht richtig auseinanderhalten können, was für alle Kinder bis etwa 9 oder 10 Jahre gilt. Der Effekt der Gehirnwäsche und Konditionierung durch solche Spiele kann bei solchen Kindern besonders verheerend sein, weil sie sich kaum dagegen wehren können.

Grossman schreibt: "Überall in Amerika erfahren wir die bitteren Folgen dieses 'Trainings' [Schießtrainings]. Zum Beispiel, wenn immer mehr Kinder ihre Freundinnen oder Lehrer erschießen oder andere Menschen, denen sie irgendetwas nachtragen. Eine erschreckende Entwicklung dabei ist, daß diese Kinder es nicht bei dem beabsichtigten Ziel belassen, sondern weiterfeuern, so daß aus einer einfachen Verärgerung ein Massenmord wird. Entscheidend ist, daß diese Spiele unsere Kinder tatsächlich beeinflußen, und wir uns nicht hinter einer Unmenge von Entschuldigungen verstecken können, wenn Kinder ,ausflippen'. Denn wenn sie es tun, dann genau so, wie diese Spiele es ihnen beigebracht haben: Sie töten jede lebende Person vor ihnen, bis sie keine Kugeln oder keine Ziele mehr haben... Der 14-jährige Michael Carneal, der in eine Schule in Paducah ging und das Feuer auf eine sich gerade auflösende Betgruppe eröffnete, hat seine Füße während seines Angriffs nicht bewegt. Er hat nie zu weit nach rechts oder links, niemals zu hoch oder zu tief geschossen. Er hat einmal auf alles geschossen, was auf seinem 'Bildschirm' auftauchte."4 Carneal schoß achtmal, traf achtmal, fünf Kinder in den Kopf, drei in den Oberkörper. Drei waren tot, ein Kind wurde schwer getroffen und ist jetzt gelähmt. Er wollte seine Freundin töten, warum er noch auf weitere Kinder schoß und sie tötete, konnte er später nicht erklären.

Was können wir tun?

Neben entsprechenden Gesetzen, die es ermöglichen, effektiv gegen die Herstellung und Verbreitung von Gewaltmedien vorzugehen und Strafverfolgungsbehörden, die auch bereit sind, die Gesetze anzuwenden, müssen heute vor allem die Eltern ihre Kinder vor dem negativen Einfluß der Medien schützen und ihnen helfen, damit umzugehen. Das ist die eigentliche Medienerziehung, die geleistet werden muß. Hierzu geben Grossman und Gloria DeGaetano, die auf eine jahrelange Erfahrung als Erziehungsberaterin zurückblicken kann, wertvolle Hinweise und Hilfestellungen.

Sie fordern, Kinder sollten grundsätzlich von Mediengewalt ferngehalten werden, insbesondere Kleinkinder, weil sie sie als wirkliche Gewalt wahrnehmen. Kleinkinder sollten eigentlich von den Medien überhaupt ferngehalten werden, weil sie die Inhalte noch gar nicht verstehen können und das unbewegliche Starren auf den Bildschirm ihrem Bewegungsdrang und dem aktive Erfahren der realen Umgebung - durch Krabbeln, Tasten, Schmecken - zuwiderläuft. Diese Tätigkeiten haben für die gesunde geistige Entwicklung der Kindern große Bedeutung hat.

Später im Kindergarten- und Schulalter müsse der Medienkonsum von den Erwachsenen ausgesucht und begrenzt werden. Etwa ab dem 9. Lebensjahr fassen die Kinder das Geschehen auf dem Bildschirm mit einer ähnlichen Distanz auf wie Erwachsene. Doch auch ab diesem Alter müßten Eltern ihre Kinder weiter bei deren Medienkonsum begleiten, Grenzen setzen und sich mit ihnen über das Gesehene bzw. Gespielte auseinandersetzen.

Grossman und DeGaetano empfehlen, Kinder sollten sich frühestens im Alter von zehn Jahren mit Video- oder Computerspielen beschäftigen, am besten erst ab zwölf. Auf diese Weise erreiche man, daß diese Spiele "weniger oft zu Reizabhängigkeit und dem Verlangen nach gewaltverherrlichenden Videospielen als Mittel zur Unterhaltung führen". Und man brauche Alternativen zum Medienkonsum, vor allem Lesen und Vorlesen. Lesen sei besonders gut geeignet, da es die geistigen, kognitiven Fähigkeiten entwickle.

Kinder nicht in die moderne Verwahrlosung vor dem Bildschirm abzuschieben, das ist die große Herausforderung heute. Und das dürfte leider gerade in den USA, wo in 90% der Familien beide Eltern, teilweise sogar in mehreren Jobs arbeiten müssen, um das Einkommen zu bestreiten, nicht einfach sein. Hier in Deutschland sieht es etwas besser aus. 65% der Mütter sind berufstätig, der größte Teil davon erfreulicherweise nur teilzeitmäßig - mehr als die Hälfte der berufstätigen Mütter arbeiten weniger als 20 Wochenstunden.5 Man kann also hoffen, daß Eltern in Deutschland mehr Zeit aufwenden, um sich um ihre Kinder zu kümmern.

Das wäre dringend notwendig, denn wir haben es bei uns mit einer vergleichsweise sehr hohen Konzentration an Mediengeräten (Fernsehen, Videogeräte, Radio, Computer) pro Haushalt zu tun. Mehr als ein Viertel der über Zehnjährigen besitzen einen eigenen Computer. Und mehr als 30% der Kinder und Jugendlichen verfügen über einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer, was an sich schon ein Unding ist. Was sie sehen und wieviel Zeit sie vor dem Bildschirm verbringen, entzieht sich so der elterlichen Kontrolle. Heutige Eltern haben eine große Verantwortung zu tragen. Sie müssen in gewisser Hinsicht weit mehr für das seelische Wohlergehen ihrer Kinder kämpfen als früher.

Das Buch "Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht" kann dazu eine Menge Ratschläge geben - auch wenn man nicht in jedem Aspekt die Weltsicht der Autoren teilen muß. Es enthält zudem wertvolle Informationen und Erkenntnisse über die Medien und deren Wirkweise und ist durchaus als Pflichtlektüre für Erzieher und Politiker zu empfehlen.


Anmerkungen:

1. Phil Phillips, "Saturday Morning Mind Control", Verlag Oliver-Nelson Books, Nashville 1991, S. 54.

2. "Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht", S. 87

3. ebenda S. 88

4. ebenda S. 89

5. Quelle: Mikrozensus 2001


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