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Das neueste Bubenstück aus der neokonservativen Ecke ist das Vorhaben des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger, einen Teil der äußerst wertvollen, unersetzlichen Sammlung mittelalterlicher Handschriften des Landes zu versteigern. Der erhoffte Erlös in Höhe von 70 Millionen Euro soll der Entschuldung des im Privatbesitz der Markgrafenfamilie von Baden befindlichen Schlosses Salem dienen und über eine Stiftung dessen weiteren Bestand sichern. Als Begründung für diesen Plan zieht Oettingers Finanzminister Gerhard Stratthaus das Argument herbei, ohnehin sei das Besitzrecht an den Handschriften strittig zwischen Land und Markgrafen, mit einem außergerichtlichen Vergleich sei dann "ein für allemal Ruhe".
Das sehen Verfassungsrechtler anders: Der Heidelberger Professor Reinhard Mußgnug sieht gute Chancen für das Land, in einem Grundsatzprozeß gegen die Markgrafen das Recht auf die Handschriften durchzusetzen. Mit dem Ende der Monarchie 1918, spätestens mit dem Testament des abgedankten Großherzogs von Baden, Friedrich II, aus dem Jahre 1997, das die Handschriftensammlung ausdrücklich nicht den Markgrafen vererbte, sei der Anspruch daran auf das Land - heute das Land Baden-Württemberg übergegangen, argumentiert Mußgnug. Die Sammlung selbst war bis zur großen Säkularisierung 1803 ursprünglich im Klosterbesitz und wurde 1872 von den Markgrafen sogar an das Großherzogtum übereignet, aber mit dem Trick, das Eigentumsrecht weiterhin für sich zu reservieren. Vom Aufwand für den Erhalt der umfänglichen Sammlung sah sich nun die Markgrafenfamilie allerdings entlastet, und auch die Tatsache, daß das Land als Nachfolger des Großherzogs die kostenträchtigen Leistungen für Unterhalt und Sicherung des Bestands nach 1918 übernahm, lief den Interessen der Markgrafen nicht zuwider. Warum die Landesregierung Oettinger jetzt plötzlich den jahrzehntelang praktizierten öffentlichen Anspruch völlig aufgeben will, ist vielen Kritikern ein Rätsel. Offenbar ist der Zusammenhang zwischen Neokonservatismus und Neofeudalismus enger, als man bisher vermutete.
Das Vorhaben von Oettinger und Stratthaus hat nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland starke Kritik ausgelöst. Für besonderes Aufsehen sorgte hier ein Brief von 18 international renommierten Wissenschaftlern amerikanischer und englischer Universitäten an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den diese am 28. September abdruckte. Die Verfasser mahnen: "Nicht zuletzt dank Dostojewski bleibt Baden-Baden, die frühere Residenz des markgräflichen Hauses, weltbekannt als Sitz des heute unbedeutenden Spielkasinos, aber wer hätte gedacht, daß die Regierung von Baden-Württemberg sich als die größte Spielerin von allen erweisen würde?"
"Es ist kaum zu glauben," heißt es in dem Brief weiter, "daß Bücher, die den Dreißigjährigen Krieg, die napoleonischen Kriege, die Säkularisation und sogar zwei Weltkriege überstanden haben, auseinandergenommen und zu Opfern des Marktes werden - und wofür? Um die Würde einer aristokratischen Familie in finanziellen Schwierigkeiten zu erhalten, in anscheinendem Bruch mit dem demokratischen Verfahren, ganz zu schweigen vom öffentlichen Interesse.
Das ganze Mittelalter hindurch und auch noch danach war der Oberrhein jedoch eine Wiege der Zivilisation, ein wichtiger Platz des europäischen Urbanismus, eine Arterie zwischen Nord und Süd, kurz gesagt, eine treibende Kraft Europas. Die Versteigerung der Karlsruher Handschriften wird weltweit als deutliches Signal registriert werden, daß in Deutschland die Vergangenheit zum Verkauf steht - und das zu Schleuderpreisen. Im Verkauf von solchen Schätzen macht die Regierung von Baden-Württemberg nicht nur das demokratische Vorgehen, sondern auch ihre Verpflichtung gegenüber Bildung, Kultur und dem Gemeinwohl zur Farce," heißt es abschließend im Brief der Wissenschaftler.
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