November 2001:
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Matteo Ricci - Vorbild für eine engere Zusammenarbeit zwischen China und dem Westen

Matteo Ricci und der chinesische Kaiser Der 400. Jahrestag der Ankunft des Jesuitenpaters Ricci in Beijing ist Anlaß für internationale Konferenzen zur Förderung des Austauschs zwischen europäisch-christlichem und chinesischem Gedankengut.

Am 24.-25. Oktober wurde auf Initiative des Italienisch-Chinesischen Instituts in der Gregoriana-Universität in Rom ein internationaler Kongreß zum Thema "Matteo Ricci: Für einen Dialog zwischen China und Okzident" veranstaltet. Experten aus Italien und China, Politiker (u.a. Dr. Giulio Andreotti) und Vertreter der Kirche wie Kardinal Etchegarray waren zusammengekommen, um die Arbeit eines der bedeutendsten Sinologen Europas und Wegbereiters zwischen China und dem Okzident, des italienischen Jesuitenpaters Matteo Ricci (1552-1610), zu würdigen. Von den führenden Gelehrten Chinas geschätzt und von Kaiser Wang Li begünstigt, war Ricci 1601, vor genau 400 Jahren, für die letzte Phase seiner bis zu seinem Tode 1610 währenden, 28 Jahre langen Mission nach Beijing (Peking) gekommen.

Mit den Ideen der europäischen Renaissance vertraut, war Ricci der erste Sinologe, der im 17. Jahrhundert Europa über sein umfassendes Werk -- darunter die von ihm herausgegebene erste Monographie Chinas Histoire de L'expedition chretienne au royaume de la Chine (Geschichte der christlichen Expedition im chinesischen Kaiserreich) -- einen systematischen Einblick in die Geschichte, Geographie, Kultur und Wirtschaft Chinas vermittelte.

Daß es sich bei dem Kongreß in Rom nicht nur um eine akademische Veranstaltung handelte, zeigte die sehr politischen Rede, die Papst Johannes Paul II. der Konferenz zukommen ließ und die vom Vorstandsmitglied des Instituts Cesare Romiti verlesen wurde.

Vor dem Hintergrund der immer "unruhigeren" Weltlage, so die politische Botschaft des Papstes, sei es ihm eine dringende Herzensangelegenheit, sich für eine Wiederaufnahme des "Dialogs" zwischen dem Vatikan und der Regierung in Beijing einzusetzen, um zusammen mit China an der Erhaltung des Friedens in der Welt mitzuwirken. Der Papst sprach von seiner "Hoffnung" auf einen "Neubeginn" der Beziehungen, einer Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und der Volksrepublik China. Diese wurden zu Beginn der 50er Jahren abgebrochen, und seitdem unterhält der Vatikan nur eine diplomatische Vertretung in Taiwan. Er verbinde dies mit dem aufrichtigen Wunsch, gemeinsam mit China, das wie die katholische Kirche "zu den ältesten Institutionen der Menschheit" gehöre, für das Wohl des chinesischen Volkes und der Menschheit zu arbeiten.

Der Papst sprach von der großen "Sympathie", die die Kirche für das chinesische Volk empfinde. Er verwies im besonderen auf die sozialen und wirtschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre in China: "Besonders hervorheben möchte ich die Initiativen, die China in der jüngsten Vergangenheit im sozialen Bereich in der Wirtschaft und Erziehung eingeleitet hat -- vor allem der Einsatz der gegenwärtigen Regierung für den sozialen Fortschritt, die soziale Gerechtigkeit und den Fortschritt im Lande."

Es gehe heute darum, zwischen den Völkern die "Bande der Sympathie, Freundschaft und Solidarität" zu knüpfen, erklärte der Papst. "In diesem Rahmen hätte eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik China sicher positive Auswirkungen für die ganze Menschheit."

Die italienische Presse wertete die Rede des Papstes als "historischen Durchbruch", denn -- ähnlich wie bei seiner Reise nach Syrien, Griechenland und Israel im Zusammenhang mit der Geschichte der Kreuzzüge -- bat der Papst um "Vergebung" für die "Irrtümer", denen die katholische Kirche als Resultat "geschichtlich komplexer" Situationen in China verfallen sei. Dies spielt an auf den Ritenstreit im 18. Jahrhundert, auf die politische Eskalation im 19. Jahrhundert, als viele christliche Missionare sich offen mit den kolonialen Unterdrückern Chinas verbündeten (z.B. im Boxeraufstand), sowie auch implizit auf die seit den 50er Jahren anhaltenden Spannungen zwischen Beijing und dem Vatikan.

In einer ersten Reaktion auf die Rede des Papstes erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Sun Yuxi, es sei zwischen Beijing und dem Heiligen Stuhl bereits in den letzten Jahren zu diplomatischen Kontakten gekommen. Die chinesische Regierung sei zu einer Verbesserung der Beziehungen zum Vatikan bereit; dieser müsse allerdings die Beziehungen zu Taiwan abbrechen und das "Ein-China-Prinzip" anerkennen, und er dürfe sich nicht unter dem Vorwand der Religion in Chinas innere Angelegenheiten einmischen.

Der "Weise des Westens"

Der Papst wies in seiner Rede auf ein internationales Symposium hin, das - von der internationalen Presse kaum registriert - am 14.-17. Oktober in Beijing unter dem Titel "Begegnungen und Dialog" stattgefunden hatte. Dort hätten Experten über den kulturellen Austausch zwischen China und dem Westen am Ende der Ming-Dynastie und am Beginn der Qing-Dynastie diskutiert, unter besonderer Berücksichtigung des Werks von Matteo Ricci in China.

Dieser "Weise des Westens", der sich auf chinesisch Li Madou nannte, erwarb sich eine ausgezeichnete Kenntnis der chinesischen Sprache und konfuzianischen Literatur. Er war "ein Pionier, ein wertvolles Bindeglied zwischen dem Westen und Osten, zwischen der europäischen Renaissancekultur und der chinesischen Kultur und zwischen der alten und wunderbaren chinesischen Zivilisation und der europäischen Welt."

Die Wirkung Riccis bis auf den heutigen Tag liege in seiner Fähigkeit zur "Inkulturation", jenem Vermögen, welches die Voraussetzung für einen erfolgreiche Dialog der Kulturen sei. Dank dieser Fähigkeit sei es Ricci schon vor 400 Jahren gelungen, eine "chinesische Terminologie für die katholische Theologie und Liturgie zu schaffen". Ricci habe sich ganz der Geschichte Kultur und Tradition des chinesischen Volkes geöffnet. Er konnte die alte konfuzianische Tradition interpretieren und erklären und sei dadurch in der Lage gewesen, eine "Neubewertung der chinesischen Klassiker" vorzunehmen. Somit habe er die Grundlage für eine weitsichtige Inkulturation gelegt, welche die Kenntnis der alten Philosophie mit den neuen Ideen des Christentums verknüpfe.

Die historischen Ereignisse

Matteo Ricci wurde 1552 im italienischen Macerata als erstes von 13 Kindern geboren. Nach dem Studium der Jurisprudenz trat er 1571 in den Jesuitenorden ein. Bis 1576 studierte er Philosophie, Physik, Geometrie, Astronomie u.a. bei dem berühmten Wissenschaftler Clavius am Römischen Kolleg. Nach einem Aufenthalt im portugiesischen Coimbra und im indisch-portugiesischen Macao wurde Ricci 1583 erstmals von den chinesischen Behörden die Einreise, später auch die Niederlassung als Missionar in China gewährt. Dort blieb er bis zu seinem Tod 1610, von den größten chinesischen Gelehrten der Ming-Zeit und dem Kaiser Wan Li als heiliger und weiser Mann geschätzt.

Ricci verfertigte die erste Weltkarte für China, die viele Male nachgedruckt und verfeinert wurde. Er schrieb etwa 20 Abhandlungen. Darunter waren diverse literarische Werke in chinesischer Sprache, u.a. die Traktate Paradoxa, Über die Freundschaft und Über die Gedächtniskunst, mit denen sich der große Kenner der chinesischen Sprache, Literatur und Philosophie die Herzen der Chinesen eroberte. Er verfaßte ein Wörterbuch, worin er die Grundlagen für das Erlernen der richtigen Akzente und Tonhöhen der chinesischen Sprache schuf.

In Zusammenarbeit mit dem berühmten Gelehrten Feng Yung Ching gab er 1603 in Beijing (wo er 1601 angekommen war) einen Katechismus unter dem Titel Die wahre Lehre vom Himmelsherrn heraus. Außerdem schrieb er diverse Abhandlungen über "Messungen", die Konstellationen. Mit seinem Schüler Paul Hsü Kuang-ch'i, einem hohen kaiserlichen Beamten, übersetzte er Euklids Werke ins Chinesische. Mit der Hilfe des Freundes Feng Ying Ching, einem großen Kenner der klassischen Werke des Konfuzius (551-479 v.Chr.), übersetzte er ab 1591 die vier Bücher des Konfuzius ins Lateinische.

Ricci sah in Konfuzius einen der größten Lehrer der Menschheit, der - anders als im Buddhismus und Taoismus - die Prinzipien der Harmonie im Zusammenleben der Menschen in Einklang mit den Gesetzen des Himmels und der heiligen Ordnung der Natur zusammenbrachte. "In euren alten Büchern ist das göttliche Herzensgesetz aufgezeichnet. Nehmt euch ein Beispiel an den alten begnadeten Schriftstellern, an den idealen Königen und Kaisern... und an dem Edlen Khung-tse" (Konfuzius), sagte Ricci den chinesischen Gelehrten. "An ihm wird offenbar, daß die Seele von Natur aus christlich ist. Denn das Herzensgesetz stimmt überein mit der Lehre Christi, der nicht gekommen ist, es aufzuheben, sondern es zu erfüllen."

Nach seiner Tätigkeit in Zhaoqing (1583-89), dem Aufenthalt in Shaozhou (1589-95), gefolgt von seiner Arbeit in der berühmten Stadt Nanjing (1595-1601), wirkte Ricci in seinem letzten Lebensjahrzehnt von 1601-10 in Beijing. Dort erfreute er sich der besonderen Wertschätzung des jungen Kaisers Wan Li, dem er viele Geschenke mitbrachte, darunter Karten, Globen, Meßinstrumente, Ölgemälde und ein Clavichord, das viel Aufmerksamkeit unter den Hofmeistern des Kaisers erregte. Der Kaiser bat Ricci, seine Hofmeister in der Mathematik und der europäischen Musik zu unterweisen. Ricci berichtet in seinem Spätwerk über die große Begeisterung der Chinesen für die europäische Musik; er komponierte acht chinesische Motetten für die musikalische Unterweisung der kaiserlichen Beamten.

Ricci und Leibniz

Zu den größten Bewunderern Riccis gehörte der große Philosoph, Wissenschaftler und Diplomat Gottfried Wilhelm Leibniz. In seinem leider unvollständig gebliebenen Spätwerk Abhandlung über die chinesische Philosophie (1716) preist Leibniz Ricci als denjenigen Denker, der es vermocht habe, eine Übereinstimmung zwischen den Grundprinzipien des Konfuzianismus und dem Christentum aufzuzeigen.

Leibniz - der auch in direktem Kontakt mit Zar Peter dem Großen stand - erkundigte sich über China bei den Jesuitenpatres Grimaldi und Bouvet, die in China als Verwalter der kaiserlichen Sternwarte tätig waren (Grimaldi traf er 1689 in Rom). Leibniz engagierte sich nicht nur für die Entwicklung Eurasiens, in seinem Spätwerk setzt er sich auch sehr kritisch mit der "reduktionistischen" Auslegung des Konfuzianismus durch einige französische Patres auseinander. Diese hatten erklärt, der Konfuzianismus sei eine naturalistisch-pantheistische Philosophie, welche der Lehre des Christentums diametral entgegenstehe.

Leibniz stellt dem eine faszinierende Synthese der Grundprinzipien des Konfuzianismus und der christlichen Philosophie entgegen. In seinem Werk schreibt er, daß die Chinesen mit den Begriffen Li für Urprinzip und Ki für die Wirkursache des Li (Schöpfung) der christlichen Philosophie und Theologie noch näher stünden als die Philosophie der alten Griechen. Konfuzius, so Leibniz, spreche vom Li als der festgesetzten Ordnung des Himmels, als Ursprung:

"Sich gegen den Himmel (Shang Ti) versündigen, heißt gegen die Vernunft handeln, den Himmel um Verzeihung bitten, sich bessern. Was wir Vernunft nennen, nennen sie Gesetz des Himmels... Ich finde das alles ausgezeichnet und in vollkommener Übereinstimmung mit der natürlichen Theologie... liegt doch in diesen Lehren, insofern sie uns ins Herz geschrieben, das ganze reine Christentum... Abgesehen nur von der Offenbarung und der Gnade."


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