Mai 2002:
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Mehr Lohn ist nicht alles!

Industrieroboter Glauben Sie es nicht, wenn jemand sagt, (unters Volk gestreute) Kaufkraft löse einen Beschäftigungsschub aus! Jeder Euro im Konsumgüterbereich "verpufft" zur Hälfte im System, gemessen an Investitionen in Forschung und Entwicklung, dem sogenannten Investitionsgüterbereich. Bei Investitionen in die New Economy ist das Verhältnis noch viel ungünstiger.

Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen im Metallbereich und nach dem eindeutigen Ergebnis der Urabstimmungen bei der IG-Metall stehen die Zeichen nun also auf Streik. Und da seit dem letzten großen Metallerstreik vor sieben Jahren die Lagerhaltung der Industrie aus Kostenersparnisgründen noch weiter abgebaut wurde, sind die Firmen gegen Arbeitsunterbrechungen und Störungen bei Materiallieferungen noch anfälliger als damals. Die Metaller können also mit relativ geringem Aufwand, mit gezielten Streiks, die Industrie großflächig paralysieren. Die Forderung nach Lohnerhöhung ist berechtigt, und wäre von der Arbeitgeberseite rechtzeitig ein Angebot deutlich über vier Prozent gekommen, hätte sich der Streik vermeiden lassen. Lohnerhöhungen zu fordern, löst aber nicht die eigentlichen Probleme der deutschen Wirtschaft, und die Gewerkschaften machen sich und anderen etwas vor, wenn sie mit dem Kaufkraftargument die Erwartung auf einen konjunkturellen Schub nach vorne wecken.

Was Deutschland zum raschen Abbau der Arbeitslosigkeit braucht, sind groß angelegte Investitionsprogramme der öffentlichen Hand, die einen Rahmen für rasch wachsende Aufträge des Mittelstands und der großen Industrie im Umfang von mehreren zehn Milliarden Euro jährlich setzen. Als Faustregel kann gelten, dass jede einzelne Milliarde Euro bei Infrastrukturprogrammen zwischen 20000 und 30000 Arbeitsplätze absichert. Jede einzelne Milliarde zusätzlicher Konsumausgaben der Bevölkerung sichert dagegen nur etwa die Hälfte an Arbeitsplätzen.

Es liegt also eigentlich auf der Hand, dass Gewerkschafter öffentlichen Infrastrukturprojekten gegenüber dem Kaufkraftargument den Vorrang geben müssten, eben weil der Arbeitsmarkteffekt sichtbar höher ist. Im übrigen kann man vermuten, dass die bei erfolgreichem Streik erhöhten Löhne bei vielen Metallarbeiterfamilien weitgehend dazu dienen werden, angelaufene Schulden zu vermindern und aktuelle Preissteigerungen bei Benzin und Gas auszugleichen. Von wirklich erhöhtem Konsum kann man deshalb kaum sprechen.

Und wie schon in den vergangenen Jahren wird die Bundesregierung (die alte wie die neue, nach der Wahl) über Steuererhöhungen und Abwälzen sozialer Bundeskosten durch erhöhte "Selbstbeteiligung" der Bürger die Arbeitnehmer kräftig schröpfen und so das erstreikte Geld schnell wieder aus der Brieftasche ziehen. Da weder der amtierende Kanzler Schröder noch der Herausforderer Stoiber das Maastrichter System der Einsparpolitik infrage stellen, sind weitere tiefgreifende Haushaltskürzungen nach der Wahl bereits vorgezeichnet. Die Metaller müssten dann im kommenden Frühjahr erneut streiken, um diesen neuen Geldabfluss nach Berlin wieder auszugleichen. So gewinnt die Gewerkschaftspolitik keine sinnvolle Perspektive.

Neubau statt Umbau

Was die Gewerkschaften neben der laufenden Tarifpolitik schaffen müssen, ist das Engagement nicht für eine "gerechte Gestaltung der Globalisierung" (so lautet der aktuelle Slogan des DGB), sondern für ein neues, kalkulierbares System der Weltfinanz- und -wirtschaftspolitik. Richtigerweise enthielt der offizielle DGB-Aufruf zum 1. Mai den Satz: "Wir brauchen Regeln für die Finanz- und Kapitalmärkte, damit Wirtschaftskrisen nicht ganze Länder in Armut und Abhängigkeit stürzen." Richtig ist aber auch, dass einige kleine Modifizierungen, wie sie die neuerdings von Gewerkschaftsseite so stark protegierte Bewegung Attac vorschlägt, am grundsätzlich produktionsfeindlichen Charakter der hochspekulativen heutigen Finanz- und Kapitalmärkte nichts ändern. Zusammenbrüche von Großfirmen wie Philipp Holzmann und Pleitenwellen wie jene, die derzeit den produktiven Mittelstand heimsuchen, lassen sich mit der Tobin-Steuer weder verhindern noch "gerecht gestalten". Verhindern lässt sich das nur durch ein entschiedenes Eingreifen des Staates in den außer Kontrolle geratenen, allzu "freien" Markt. Wer - wie es für eine Industrienation wie Deutschland angebracht ist - industrielle Arbeitsplätze sichern und neu schaffen will, braucht eine langfristig abgesicherte Perspektive für stetig fließende Kredite in die produktive Wirtschaft. Mit dem derzeit vorherrschenden Banken- und Kreditsystem ist das nicht zu machen.

Rettung der Betriebe oder Banken?

Die Stahlarbeiter von der Ruhr, die im März 1997 vor der Frankfurter Hauptzentrale der Deutschen Bank demonstrierten, waren schon an der richtigen Adresse: Die Bankiers müssen ihre Haltung grundsätzlich ändern. Wenn Bankiers lieber Kinopaläste als Stahlfirmen finanzieren, lieber Call Centers als produktiven Mittelstandsbetrieben Kredite einräumen, kommt Deutschland nicht von seiner hohen Arbeitslosigkeit herunter und wird auch kaum genügend Ausbildungsplätze für die Jugend schaffen. Auf freiwillige Einsicht der an der Produktion desinteressierten Bankiers zu setzen, ist vor dem Hintergrund der verheerenden Entwicklungen der letzten Jahre verfehlt. Was Not tut, ist eine bindende Übereinkunft von Regierungen der wichtigsten Industrienationen sowie zwischen Produzenten- und Verbraucherländern im Energiebereich, zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern zur Gründung einer neuen, stabilen und gerechten Weltwirtschafts- und -währungsordnung. Das Neue Bretton Woods, um das es hier gehen muss, schließt Spekulation mit Währungen aus, erschwert spekulative Aktienbewegungen und begründet ein neues Bankensystem, in dem Kreditvergabe an produktive Projekte in den Bereichen Infrastruktur, Landwirtschaft und Forschung einen absoluten Vorrang erhält. Kredite werden dann nicht - wie es heute üblich geworden ist - kurzfristig und zu horrenden Zinsen, sondern im neuen System langfristig und zu niedrigen Zinsen vergeben. Für Altschulden wird im Rahmen eines umfassenden geordneten Bankrottverfahrens eine Lösung gefunden werden, die dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 für Deutschland ähnelt.

Der Gesamtrahmen hierfür wird durch nationalbankähnliche Einrichtungen gesetzt, die in und zwischen den am Neuen Bretton Woods beteiligten Ländern begründet werden. Die Entscheidung über maßgebliche Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbleibt bei den souveränen Nationalregierungen und -parlamenten. Überstaatliche Agenturen wie das Kriteriensystem von Maastricht, das Entscheidungen der Regierungen, die im Interesse ihrer eigenen Nationen lägen, untersagt, wird es künftig nicht mehr geben. Mit diesen Maßnahmen ist gesichert, dass Schritte zum raschen Abbau der Arbeitslosigkeit und zur raschen wirtschaftlichen Entwicklung in den beteiligten Ländern eingeleitet werden können.

Dies sind, in groben Zügen skizziert, Forderungen, die sich die deutschen Gewerkschaften zu eigen machen sollten. Das soll kein Ersatz für Lohnpolitik sein, sondern eine Ausweitung des bisherigen Horizonts der Gewerkschaftsarbeit. Und da Streiks, vor allem größere, ihre ureigene politische Dynamik entwickeln, sollten weitergehende wirtschaftspolitische Forderungen in die laufende Diskussion unter den Streikenden eingebracht werden. Da die Bundestagswahl nicht weit entfernt ist, werden auch mehr Politiker als sonst im eigenen Interesse auf solche Forderungen - wenn sie entschieden vorgebracht werden - eingehen und sie unterstützen.

Die Metaller als größte Industriegewerkschaft könnten hier viel bewirken. Sie müssten sich nur mobilisieren. Man muss nur bei manchen Metallgewerkschaftsführern, die bis zur Wahl gegenüber der rot-grünen Regierung jedes böse Wort vermeiden wollen, den Rost, der sich bei ihnen angesetzt hat, abschmirgeln. Weiterblickende Metaller werden im Wahlkampf nicht Rot oder Grün, sondern die BüSo unterstützen, deren Programm bereits das enthält, was hier skizziert wurde.


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