Januar 2004:

Lessing und der Islam

In seinem neuen Buch Jud und Christ und Muselmann vereint... zeigt der Tübinger Professor Karl-Josef Kuschel, daß Lessings Nathan der Weise nicht nur Denkmal eines weisen Judentums ist, sondern auch Plädoyer für einen beispielhaften Islam.

Gotthold Ephraim Lessing
"Kuschels Buch ist nur zu empfehlen. Interessant für den deutschen Leser sind auch manche Hinweise darauf, welche Wirkung der Nathan in der islamischen Welt, von Pakistan bis Indonesien, in letzter Zeit entfaltet hat. Er ist tatsächlich alternativlos, wenn wir mit den Mitteln der Poesie dem 'Kampf der Kulturen' begegnen wollen."

Im Bild der junge Gotthold Ephraim Lessing.

Pünktlich zum Lessing-Jahr 2004 hat Prof. Karl-Josef Kuschel aus Tübingen sein neues Buch vorgelegt: Jud und Christ und Muselmann vereint.... Ihm geht es dabei um den Nachweis, daß Lessings Nathan der Weise nicht nur als großartiges Denkmal für ein weises, menschenliebendes Judentum, sondern vor allem auch als pro-islamisches Drama verstanden werden soll.

Mitte Februar stellte er diese These bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Berlin der Öffentlichkeit vor. Kuschel ging zunächst auf die Entstehungsgeschichte des Nathan ein. Der berühmte Fragmentenstreit von 1778 zwischen Lessing und dem Hamburger Hauptpastor Goeze entzündete sich am Streit um Buchstaben und Geist der christlichen Religion. Lessing hatte die Schrift des Hamburger Theologen Herrmann Samuel Reimarus Von der Duldung der Deisten als Fragmente eines Ungenannten herausgegeben und sich den Unmut des unbotmäßigen Pastors Goeze zugezogen, der gegen Lessing als Verleugner der christlichen Religion wetterte, weil dieser zwischen der Bibel als dem Buchstaben und dem christlichen Glauben als dem eigentlichen Geist der Religion unterschied.

Jenseits dieser "innerchristlichen" Kontroverse gab es noch einen anderen, sehr interessanten Aspekt dieser Geschichte: Reimarus hatte in seiner Schrift den Islam als Religion der Vernunft bezeichnet und den Christen vorgeworfen, keine psychologische Bereitschaft zum Verständnis des Islam aufzubringen. Er ging noch weiter: Die Muslime befänden sich mit dem Glauben an einen Gott in der Kontinuität des jüdisch-christlichen Glaubens. Nicht zuletzt waren es diese für damalige protestantische Ohren unerhört provokanten Behauptungen, die den Groll Goezes gegen Lessing nur noch steigerten. Im Juli 1778 erwirkte Goeze beim Herzog von Braunschweig ein Publikationsverbot gegen Lessing. Dessen Antwort darauf war zweifach: Er publizierte nun von Hamburg aus, und er schrieb den Nathan.

Kuschel wies darauf hin, daß Nathan der Weise seit dem 11. September 2001 inzwischen 24mal auf deutschen Bühnen gespielt worden ist - auch dies unterstreiche, daß Lessings "dramatisches Gedicht" in der deutschen Literatur "alternativlos" dastehe, wenn es um das "Versöhnungspotential" zwischen den drei großen monotheistischen Religionen gehe. Bei Goethes West-Östlichem Divan, Heines Almansor und Rückerts Orientdichtungen gehe es um das Verhältnis Christentum-Islam, das Jüdische spiele hier keine Rolle. Es sei ein großes Glück, daß wir auf den von einigen Seiten angekündigten "Kampf der Kulturen" aus der deutschen Literatur heraus positiv antworten könnten. Allerdings sparte Kuschel nicht mit Kritik an den meisten Inszenierungen, in denen auch noch (oder gerade wieder) zu Beginn des 21. Jh. ein sehr negatives Islam-Bild deutlich geworden sei.

Entweder komme der Sultan als "Terroristen-Mullah im Rollstuhl" auf die Bühne oder als "Schlafanzug-Sultan mit grotesker Operettenmiene". Die "operettenhafte Optik" auf den Islam zeige den Sultan entweder als "Kleinganoven mit großem Herzen" oder als "schnöseligen Angeber mit Bartspitzen und Märchenprinzen-Turban-Kostüm". Sind Muslime also entweder kriminell oder nicht ernst zu nehmen? Die heutigen Theaterinszenierungen des Nathan sind offenbar häufig von solchen primitiv anti-islamischen Klischees geprägt.

Dem setzt Prof. Kuschel den wahren Lessing entgegen. Diesem sei es um eine "kalkulierte strategische Aufwertung des Verachteten" gegangen, nicht einfach um eine naive Idealisierung einer fremden Religion. Intensiv habe Lessing die Schriften des damaligen Orientalisten George Sale studiert, aber auch die Reisebeschreibungen des großen Persien-Forschers Olearius. Vor allem an den Gestalten der Sittah und des Saladin werde die "strategische Aufwertung" von Lessing durchexerziert. Saladins Schwester Sittah wird von Kuschel als "orientalische Minna" bezeichnet, da Lessing sie als politisch versierte, kluge, schlagfertige und weit vorausblickende Frau auftreten lasse. Sie ist Beraterin des Sultans Saladin; sie führt ihm Nathan zu und macht ihm Vorschläge zur "Verhandlungsführung". Saladin selbst wird einerseits als Suchender in Religionsfragen (wie in der berühmten Szene mit Nathan) dargestellt, andererseits als milder Herrscher, der einen Christen begnadigt.

Muß schon der Auftritt einer muslimischen Frau als aufgeklärte, politisch kluge Person eine ungeheure Provokation zu Lessings Zeit gewesen sein, dann muß die Aufregung um den Nathan noch eskaliert sein, als man aus dem Munde dieser Muslimin eine Kritik am Christentum hörte:

Es sei nicht zu übersehen, so Kuschel, daß hier Lessings fanatische (man könnte sagen christlich-fundamentalistische) Gegner im Fragmentenstreit gemeint seien. Ganz deutlich sei die Verlogenheit und der Fanatismus dieser Christen im übrigen in der Person des Patriarchen gezeichnet. Manche wollten in ihm den Pastor Goeze sehen, andere den Braunschweiger Herzog, der Lessings Publikationsverbot angeordnet hatte.

Demgegenüber vertrete Saladin eine Religion der Vernunft, in der die Botschaft der Liebe, die "Selbstgenügsamkeit und Gottergebenheit" höher stehe als Gesetze und Buchstaben.

Zum Schluß wies Kuschel noch auf zwei wichtige Ansätze Lessings hin:

Kuschels Buch ist nur zu empfehlen. Interessant für den deutschen Leser sind auch manche Hinweise darauf, welche Wirkung der Nathan in der islamischen Welt, von Pakistan bis Indonesien, in letzter Zeit entfaltet hat. Er ist tatsächlich alternativlos, wenn wir mit den Mitteln der Poesie dem "Kampf der Kulturen" begegnen wollen.


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