Oktober 2004: (Teil 2)
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No future für Deutsch?

Größe und Zerfall einer Kultursprache

Friedrich Schiller-Denkmal in Marbach
Schiller und Humboldt haben sich in poetischer, bzw. wissenschaftlicher Weise um die deutsche Sprache verdient gemacht. Hier das Schiller-Denkmal am Geburtsort Schillers, Marbach am Neckar.

Sprache ist der "geistige Haushalt einer Nation," sagt Wilhelm von Humboldt, an ihr lassen sich die geistigen Veränderungen unserer Zeit ablesen. Und das ist der Grund, warum wir uns mit ihr beschäftigen wollen.

Von den Vorzügen der deutschen Sprache

Das Deutsche besitzt so große Vorzüge in der Wortbildung, dem grammatischen Bau und der Betonung, daß es immer wieder eine direkte Tochter des Sanskrit und die jüngere Schwester des Alt-Griechischen genannt wurde. Unser Wortschatz gehört zu den umfangreichsten der Welt und beruht auf durchgängig deutschen Wurzeln. Die Massen von fremden Wörtern, die über die Jahrhunderte ins Deutsche geströmt sind, wurden von der Sprache aufgenommen und einverleibt. Der Wortreichtum rührt aus den Gesetzen der Wortbildung her. Wir können durch Vor- und Nachsilben und durch Zusammensetzungen vielfältige neue Begriffe gewinnen. Einmalig ist die Art, Verben mit Präpositionen zu verschmelzen:

halten: weghalten, hinhalten, durchhalten, vorhalten, abhalten, aushalten, zuhalten, unterhalten, anhalten, herhalten, einhalten.

Alle neuen Wörter bezeichnen Tätigkeiten, die mit halten nur noch in zwei Fällen etwas zu tun haben. Doch wir können aus dem Wort halten noch mehr machen, wenn wir es mit einfachen Vorsilben verbinden: behalten, verhalten, erhalten, enthalten, gehalten.

Wir können bekannte Wörter zusammensetzen und so ganz neue Begriffe bilden: Mauer-blümchen, Groß-eltern, bettel-arm, wohl-bekannt, wort-reich, Zusammen-hang, lieb-äugeln.

Ein weiteres Merkmal, das das Deutsche von allen anderen Sprachen unterscheidet, ist der Rahmenbau:

Der Verlust der Hochsprache soll den Menschen von dem Staat, dem er sich zugehörig fühlt und durch den er am Konzert der Nationen teil hat, abkoppeln und ihn damit aller geschichtlicher und kultureller Vergangenheit berauben. (Humboldt)

Der Satzrahmen verknüpft Inhalt und Form vielfach miteinander und versinnbildlicht die Einheit des Gedankens. Das Deutsche kennt zahlreiche Möglichkeiten des Rahmenbaus:

Helga Zepp-LaRouche stellte ihr Programm zur Lösung der Weltwirtschafts- und -finanzkrise dem Publikum vor.

Ich habe an der Montagsdemonstration in Leipzig teilgenommen.

Bei uns ist der Sommer viel zu kurz.

Die früher so bekannte und gefeierte Pianistin kennt heute keiner mehr.

Die Satzklammer macht aus dem deutschen Satz ein inhaltliches und formales Satzgefüge, der Satz wird eine gedankliche Einheit. Die Informationsvermittlung bleibt bis zum Ende offen, so daß wir der ganzen Aussage aufmerksam zuhören müssen. Der amerikanische Germanist H. Taine hat diese Eigenschaft folgendermaßen charakterisiert:

"Diese Bauart ist der Ausdruck des tiefwurzelnden Empfindens für den 'Zusammenhang', das enge Verflochtensein der Teilstücke des Gedankens. Die sprachliche Verflochtenheit des Satzes ist das Sinnbild für die geistige Einheit des Gedankens. Der Deutsche will seinen Denkschritt nicht zu Ende bringen, bevor er nicht alle Teilstücke des Gedankens greifbar vor sich hat. Sein wesentliches Denkbedürfnis ist augenscheinlich, sich des Zusammenhangs bewußt zu werden."

Alle diese Merkmale wie Wortbildung und Satzklammer sind uns nicht mehr bewußt. Sie passen auch nicht mehr in unsere Zeit. Das, was dieser Amerikaner sagt, das war einmal, das ist uns zu kompliziert. Wir wollen nicht lange Sätze hören, wir wollen Informationen in handlichen Einheiten, kurz und einfach. Unsere Konzentrationsspanne ist kurz, unser Sprachstil zeigt das überdeutlich.

Dummdeutsch und BSE

Auf allen Gebieten erlebt, erleidet muß man schon sagen, das Deutsche tiefgehende Veränderungen. Am offensichtlichsten sind sie im Wortschatz. Es gibt kaum einen Satz, in dem nicht wenigstens ein anglo-amerikanisches Wort vorkommt.

Von der BahnCard und den ServicePoints der Deutschen Bahn bis zu den LuckyPäcks, die die Deutsche Post in small, medium und large anbietet - Englisch ist allgegenwärtig. Und so, wie die Werbung aussieht, wird in den Chefetagen der großen Banken und Konzerne auch gesprochen:

"Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-denken haben muß. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile aus einer collection miteinander combinen muß. Aber die audience hat das alles von Anfang an supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit, eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladysches haben will, searcht nicht bei Jil Sander."

Hier spricht keine Jugendliche. So redet eine gestandene Frau, die zur wirtschaftlichen und kulturellen Elite unseres Landes zählt: Jil Sander war das in einem Interview im FAZ-Magazin. Ihre Sprache ist typisch für das Dummdeutsch, das in der deutschen Business-Elite getalked wird. Von Ron Sommer bis Jürgen Schrempp, die Top-Manager, von denen viele nur Top-Loser sind, weil sie in dem Größenwahn, möglichst schnell zum Global Player aufzusteigen, ihre Firmen systematisch ruiniert haben, spricht man Englisch. Bei Lufthansa, der Bundesbahn, Telekom, DaimlerCrysler, selbst bei Kulturbetrieben wie Bertelsmann findet die "Unternehmenskommunikation", wie man sich hochtrabend ausdrückt, auf englisch statt. Die Sprache der Konzernchefs hat auch schon einen Namen: BSE - bad simple English.

Dahinter verbirgt sich knallharte Politik. Sprache ist auch ein Herrschaftsinstrument, die linguistische Unterwürfigkeit zieht politische und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich. Die Globalisierung wäre ohne die Dominanz der englischen Sprache nicht so rasant verlaufen, denn mit der Sprache wird angelsächsisches Wirtschaftsdenken übernommen. Die Firmenpolitik wird nach den Interessen der Anteilseigner ausgerichtet, während die Belange der Beschäftigten keine Rolle mehr spielen, eben so, wie das im angelsächsischen Raum schon lange der Fall ist. "Shareholder value" nennt sich das auf neudeutsch. Die Sprachenpolitik der Global Players ist ein wichtiger Bestandteil dieser ökonomischen Politik.

Wir machen dafür gerne die Globalisierung verantwortlich, doch so einfach ist das nicht. Diese Entwicklung wurde uns nicht von außen aufgezwungen, sie ist ein frei gewählter Prozeß der Selbstentmündigung. Wir reden jede Dummheit nach, die sich irgendein "Trendsetter" ausgedacht hat und arbeiten damit an der Aushöhlung unserer Muttersprache mit.

Wir erleben solch einen Prozeß nicht zum ersten Mal. Im 18. Jahrhundert war Französisch tonangebend in Deutschland. Der oberste Stand, jeder, der auf sich hielt, parlierte auf französisch, Deutsch wurde als Bauernsprache verachtet. Regenten wie Friedrich der Große beherrschten die Sprache ihrer Untertanen nur mangelhaft und waren stolz darauf. Die damalige Elite setzte sich durch die französische Sprache und französische Kultur von den unteren Schichten ab, wie die heutige Führungsschicht durch das Anglo-Amerikanische.

Der große Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb ein Gedicht, das auch auf unsere Zeit gut paßt:

Auf die Nachahmer der Franzosen

Wenn der Franzosen Schaum die teutschen Häupter ehren
Und unsere Nation das Joch zu tragen lehren
Von denen, die ihr Land auch selbsten unwert acht,
Wenn, was in Frankreich alt, bei uns die Mode macht,
Wenn ihre Grillen uns Gesetze geben sollen,
Wenn wir die Kleider selbst aus Frankreich holen wollen,
Wenn auf der Teutschen Kopf muß stehn ein fremder Hut,
Wenn man fast nichts bei uns mehr ohne Larve tut,
Wir andrer Affen sein und sie uns äffen müssen,
Wenn keiner wird gehört, er muß französisch wissen,
In Frankreich aber man auf uns ein Sprichwort macht
Und lobt das teutsche Geld, wenn man des Teutschen lacht,
Wenn manche Höfe sich der teutschen Sprache schämen,
Franzosen an den Tisch und gar zu Rate nehmen,
Bis die Franzosen selbst uns kommen auf den Leib
Und eine lange Pein lohnt kurzen Zeitvertreib;
Was ist es Wunder dann, daß auf der teutschen Erden
Die Untertanen auch zuletzt französisch werden!
Bei Herren wird der Schad am allergrößten sein:
Der Bürger lernt Franz'sch weit leichter als Latein.

Leibniz droht den Regenten, daß ihre Französelei sie sehr schnell ihre politische Macht kosten könne. "Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere Haupt- und Heldensprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu Grunde gehen sollte, ...weil die Annehmung einer fremden Sprache gemeiniglich den Verlust der Freiheit und ein fremdes Joch mit sich geführet."7 Mit der sprachlichen Eigenständigkeit geht auch die politische verloren, das hat Leibniz richtig erkannt.

Er stritt dafür, daß die Deutschen den umgekehrten Weg einschlagen sollten. Das Deutsche müsse zur Wissenschaftssprache werden, forderte er. Das gelinge aber nicht, wenn "der Gelehrte sich des Lateins oder anderer fremder Sprachen in dergleichen fast allein und insoweit zu viel beflissen, so daß es den Deutschen nicht am Vermögen, sondern am Willen gefehlt, ihre Sprache durchgehend zu erheben."8 (Hervorhebung im Original, d. Verf.

Uns fehlt es nicht am Vermögen. Deutsch war bis zum Zweiten Weltkrieg die führende Wissenschaftssprache. Uns fehlt es am Willen, sie zu erhalten, wir geben sie einfach auf.

"In den 30er Jahren [des 20. Jahrhunderts] mußten US-amerikanische Chemiker generell Lesefähigkeiten in deutscher Sprache nachweisen, weil die deutschsprachigen Fachveröffentlichungen nicht ignoriert werden konnten; sogar deutschsprachige Lehrbücher der Chemie waren an US-amerikanischen Universitäten im Gebrauch. Die skandinavischen Länder, die Niederlande und die meisten osteuropäischen Länder verwandten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis ungefähr zum Zweiten Weltkrieg neben ihren Muttersprachen in beträchtlichem Umfange Deutsch als Wissenschaftssprache, insbesondere auch für eigene wissenschaftliche Publikationen, die international gelesen werden sollten. In Portugal war vor dem Zweiten Weltkrieg für Juristen Deutsch obligatorisches Begleitstudium; ebenso in Japan, wo Deutschkenntnisse aber auch für andere Wissenschaftler praktisch unabdingbar waren, z.B. für Mediziner, die sogar ihre Krankenkarteien in deutscher Sprache führten".9

Heute werden die Naturwissenschaften, die Medizin und die Wirtschaftswissenschaften fast ausschließlich auf englisch abgehandelt. An deutschen Universitäten gibt es Fakultäten, an denen man in der Muttersprache nicht mehr studieren kann, und deutsche Wissenschaftler sind nicht nur dafür bekannt, daß sie ihre Referate auf deutschen Kongressen in Deutschland auf englisch halten, sie unterhalten sich auch untereinander auf englisch, während ihre osteuropäischen Kollegen ihre Sprachbarrieren überbrücken, indem sie sich auf deutsch verständigen.

Bernhard Waldenfels sieht in der "übereifrigen Sprachanpassung deutscher Wissenschaftler bedenkliche Spuren einer Overreeducation"10. Der "Monolinguismus der Rede" in den Wissenschaften werde durch einen "Monolinguismus der Lektüre" verstärkt. Es ist schon grotesk, wenn z.B. ältere deutsche Texte, die im Widerspruch zur geltenden Wirtschaftstheorie stehen, erst überhaupt wieder eine Chance haben, an deutschen Universitäten studiert zu werden, seitdem sie in englischen Übersetzungen zu uns zurückgekehrt sind.

Diese unterwürfige Sprachanpassung hat fatale Folgen für das Deutsche. Neue wissenschaftliche Fachausdrücke werden nicht mehr ins Deutsche übertragen, und die Sprache wird nicht mehr geübt, so daß sie wieder auf einen rudimentären Stand zurückzusinken droht.

Das hat aber auch fatale Folgen für die Wissenschaft. Mehrsprachigkeit vergrößert den Reichtum in den Wissenschaften, denn man denkt nicht in jeder Sprache gleich. Wenn wir Englisch als Wissenschaftssprache anerkennen, dann sollten wir unseren Studenten aufrichtigerweise raten, gleich in Amerika oder England zu studieren - das wäre das Ende der deutschen Wissenschaft. Deutsch muß Wissenschaftssprache bleiben, nicht um des Deutschen, sondern um der Wissenschaft willen. Man kann also nur dringend auf Leibniz hinweisen, der eine frühe Streitschrift überschrieb: "Ermahnung an die Deutschen, ihren Verstand und ihre Sprache besser zu üben."11

"Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt", meinte Goethe. Wir wollen keine "allzu große Sprachreinheit", von Leibniz auch "Perfectie-Krankheit" genannt, "zumal wenn neue und gute Sachen, zusamt ihren Namen, aus der Fremde zu uns kommen." Fremdwörter vergrößern den Reichtum einer Sprache, sie sind nur schädlich, wenn sie zur Manie werden. Wenn sie als Partikel in der Sprache haften bleiben, weil sie nicht mehr aufgenommen und dem eigenen Wortschatz einverleibt werden können, beschleunigen sie den "Alterungsprozeß" einer Sprache, warnt Humboldt: "Das Ringen um den Gedankenausdruck wird geringer, und je mehr sich der Geist nur des schon Geschaffenen bedient, desto mehr erschlafft sein schöpferischer Trieb und mit ihm auch seine schöpferische Kraft." Wenn wir nicht mehr um den passenden Ausdruck ringen, sondern einfach nach dem greifen, was uns gerade so in den Kopf kommt, bemühen wir unser Denken nicht mehr, wir werden gedanken-los. "Das Vermischen der Sprachen verödet den Geist", stellt Humboldt treffend fest.

Die Sache mit dem Ding

Humboldt macht die "Bequemlichkeit des Geistes" für das Absinken einer Sprache verantwortlich. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir sind so denkfaul, daß wir immer wieder dieselben Wörter benutzen, obwohl wir ganz verschiedene Dinge meinen. Da ist die Sache mit dem Ding. Diese beiden Wörter stehen für die verschiedensten Begriffe: Jeder macht sein Ding (tut, was er für richtig hält), Wagner ist nicht mein Ding (mag ich nicht), aber Geometrie ist mein Ding (verstehe ich) ebenso, wie Spaghetti mein Ding sind (esse ich gerne). Ihr macht euer Ding echt gut (kann alles mögliche heißen wie: erledigen, beherrschen, verstehen usw.), und wenn es darauf ankommt, ziehe ich mein Ding einfach durch. Alles klar? Mit der Sache ließe sich das gleiche durchexerzieren.

Insbesondere die Verben sind nicht unser Ding, sie sind uns zu kompliziert und wir vermeiden sie, wann immer möglich. Wir kommen eigentlich mit einer Handvoll Zeitwörtern wie machen, haben, kommen, bringen, erfolgen aus. Um mitzuteilen, was wir den ganzen Tag über getan haben, genügt uns sogar ein einziges: machen. Wer arbeitet, verdient, kocht, singt oder verabredet sich noch? Wir machen einen Job, wir machen Essen, machen Chor, machen Geld, machen ein Meeting, wir machen, machen, machen.

Wenn wir unseren Standpunkt verschleiern wollen, greifen wir zu kommen und erfolgen. Es kommt zum Gespräch, es kommt zum Konflikt, es kommt zur Auslieferung. Die Handlung des Satzes erstarrt im Substantiv, es ist niemand mehr da, der liefert, spricht oder streitet. Das Verb trägt keine Handlung, es ist eigentlich gar kein Verb mehr, sondern wird jetzt "Streckverb" oder "Funktionsverb" genannt. Es drückt nichts mehr aus, es ist nur noch da, um grammatische Funktionen wie die Bestimmung der Zeit, der Anzahl usw. zu übernehmen. Der Mensch spielt hier keine Rolle mehr, der Vorgang scheint automatisch abzurollen.

Sprachliche Veränderungen bezeichnen die Art und Weise, wie wir mit den Erscheinungen umgehen, der sprachlichen Leistung geht immer die gedankliche voraus. Die Veränderungen beim Zeitwort machen bedrückend deutlich, wie sich unser Selbstverständnis und unser Menschenbild gewandelt haben.

Die Zeitwörter benennen Tätigkeiten und Eigenschaften, sie sind der "Leben erhaltende und Leben verbreitende Mittelpunkt des Satzes" (Humboldt). Die zentrale Aussage im Satz ist die aktive, willentliche Veränderung, die im Verb ausgedrückt wird. Mit dem Verb greifen wir in die Welt ein und verändern sie; es drückt produktive, geleistete Arbeit aus. Doch in der Dienstleistungsgesellschaft gibt es nicht viele produktive Tätigkeiten, also brauchen wir Zeitwörter immer weniger. Die Sprache ist ein empfindlicher Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen.

Wider die Fremdwörterei

Wir benötigten eigentlich keine Anglizismen, um ganze Wortfelder veröden zu lassen, aber natürlich erfüllen sie diese Aufgabe hervorragend und vielfältig. Das eine Wort Job ersetzt im Deutschen ein ganzes Dutzend Begriffe wie Arbeit, Aufgabe, Beruf, Arbeitsplatz, Stelle, Leistung, Mühe, Anstrengung. Doch anstatt zu sagen, was wir meinen, geben wir nur Stereotypen von uns: Das war ein harter Job. Hast du schon einen Job gefunden? Ich mach den Job jetzt fertig.

Allerweltswörter wie job, set, meeting, flop, top, fan, aber auch Sache, Ding, Problem sind keine Wörter im eigentlichen Sinne mehr, sie sind Kürzel, die ein ganzes Wortfeld vertreten müssen. Ihre Bedeutung erschließt sich uns erst im Satzzusammenhang, oder es bleibt uns gleich ganz überlassen, wie wir das Kürzel deuten wollen.

Überlegen, nach dem passenden Begriff suchen, ist nicht unser Ding, also nehmen wir entweder gleich das anglo-amerikanische Wort, oder wir raffen uns gerade noch auf, es zu übersetzen, aber mehr als eine wörtliche Übertragung bekommen wir nicht hin:

Wörtliche Übersetzungen anglo-amerikanischer Wendungen:

kein Problem (bitte; gern geschehen)
nicht wirklich (eigentlich nicht)
mehr und mehr (immer mehr)
in Folge (hintereinander)
vergiß es (hör auf)
wir sehen uns (bis bald)
das macht keinen Sinn (ergibt keinen Sinn)
das macht keinen Unterschied es unterscheidet sich nicht von, es ist bedeutungslos den Punkt machen (hinweisen, betonen)
Spaß haben (sich freuen)
eine gute Zeit haben (genießen)
in 2004 (im Jahre 2004)
für Sie auch (Ihnen auch) usw.

Das Englische sei handlicher und dynamischer als das Deutsche, wird oft behauptet. Das ist richtig. Die Grammatik ist einfacher; es gibt nur wenige Flektionsendungen, und das kommt unserer Denkfaulheit sehr entgegen. Außerdem ist die Satzstellung klar fixiert, man braucht nicht lange zu variieren.

Dinge sind jetzt mehr interessant, die Lage im Irak ist mehr gefährlich, es ist weniger hell und weniger gut. Da brauchen wir nicht umständlich über Steigerungsformen nachzudenken, wir schalten einfach die Wörtchen mehr oder weniger davor, wie in der Grammatik der Neusprache. Auch Schöpfungen wie ungut, unschön, unklug stammen direkt aus dem Arsenal der Orwellschen Neusprache.

Wie zwängt man diese fremden Begriffe in die deutsche Grammatik? Wie soll man englische Verben beugen? Habe ich downgeloaded oder gedownloaded? Ich save einen file, und wenn ich ihn gesaved habe, tue ich das mit der englischen Endung -ed oder dem deutschen -t? Wir fighten gerne anstatt uns anzustrengen, heißt es dann fightete, gefightet? Mailen, mailte, gemailt? Crazy, crazier oder mehr crazy? Da würde man eher krass sagen - glaube ich.

Eine andere Version habe ich auf einem Plakat gesehen. Im Berliner Tränenpalast gibt es derzeit The Miesest and the Fiesest zu sehen. Da werden die deutschen Adjektive mies und fies mit der englischen Steigerungsform versehen.

"Hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen", möchte man mit Leibniz schimpfen. "Ja, es scheint, manche dieser Leute haben ihr Deutsch vergessen und Französisch nicht gelernt." Wie wahr. Heute wäre Französisch mit Englisch zu ersetzen. Und er erkennt treffend, daß "von der Ungewißheit im Reden und Schreiben notwendig auch die teutschen Gemüter nicht wenig Verdunkelung empfinden müssen. Weil die meisten doch die Kraft der fremden Worte eine lange Zeit über nicht recht fassen, also elend schreiben, und übel denken würden."12

Elend schreiben und übel denken. Fremdwörter werden auch heute oft "nicht recht gefaßt", werden nicht in ihrer tatsächlichen Bedeutung verstanden, deshalb bringen sie häufig Bedeutungsverschiebungen mit. Viele Wörter haben ihre Bedeutung ausgeweitet:

häßlich erhält die Zweitbedeutung von böse,
kontrollieren von beherrschen,
arbeiten von funktionieren,
meinen von bedeuten,
bedeuten von meinen,
denken von meinen

Wir unterscheiden nicht zwischen äußerlichen (häßlich) und inneren (böse) Verwerfungen und grundverschiedenen Geisteshaltungen (meinen - denken), ein Indiz für die "geistige Verödung", die vom "Vermischen der Sprachen" herrührt.

Das Wort soll uns die Sache, die es bezeichnet, nahebringen. Fremdwörter sind uns fremd, sie lösen keine geistige Vorstellung in uns aus und finden keinen Widerhall in unserer Seele. Ob ich loser oder Verlierer sage, bezeichnet einen wichtigen Unterschied. Loser klingt nach Hollywood, klingt so dynamisch und easy wie winner. Das Wort erweckt keine Regung in uns, wohingegen ein Verlierer doch jemand ist, der einen Verlust erlitten hat.

"Die natürliche Richtigkeit der Wörter," von der Platon in seinem Dialog Kratylos spricht, ist zerstört. Bezeichnung und das Bezeichnete werden durch die fremden Begriffe voneinander abgeschnitten, das Wort ergreift nicht mehr den Gegenstand, es ist seiner inneren Wahrheit beraubt. Jetzt wird das Wort zum Etikett, das auf die Sache geklebt wird, und wir benennen das Ding nur mit diesem Namen, weil alle anderen das tun. Der Begriff loser ist von dem Sachverhalt Verlust abgeschnitten, und statt loser könnten wir jedes andere Wort wählen, denn es weckt keine Vorstellung in uns. Das Wort ist kein "belehrendes Werkzeug" mehr, es ist Konvention.

Fortsetzung folgt


Anmerkungen

7. Gottfried Wilhelm Leibniz, Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei Aufsätze. Hrsg. von Uwe Pörksen, Stuttgart, 1983, S. 12.

8. Leibniz, a.a.O., S. 13.

9. Ulrich Ammon, Die internationale Stellung der deutschen Sprache, Berlin, New York, 1991.

10. Bernhard Waldenfels: Idiome des Denkens, in: Die Deutschen und ihre Sprache, hrsg. von Volker Michael Strocka. Bremen, 2000, S. 105.

11. Leibniz, a.a.O., S. 5.

12. Leibniz, a.a.O., S. 13.


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