Oktober 2005:

Kirchhof und das Geld

Die merkwürdige Geldphilosophie des Heidelberger Professors und CDU-Finanzexperten Paul Kirchhof.

Das Buch Prof. Kirchhofs
Das Buch von Prof. Paul Kirchhof, Der Staat - eine Erneuerungsaufgabe. Erneuern will Prof. Kirchhof schon, aber wie, davor warnt Elisabeth Hellenbroich in ihrer Recherche.

"Wir wollen dem Bürger seine Freiheit zurückgeben", sagte Paul Kirchhof vor einigen Wochen in einem Interview mit der Bildzeitung. "Die Union will die Mauer steuerlicher Besitzstände und Resignation durchbrechen. Ich will daran mitarbeiten - mit einem dicken Hammer!" Mit einem Hammer wollte Friedrich Nietzsche, der Liebling der Neokonservativen, philosophieren und eine "Umwertung der Werte" vornehmen. Herr Kirchhof will ähnliches im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik.

Der ehemalige Verfassungsrichter und Heidelberger Professor Paul Kirchhof ist zusammen mit Hans Tietmeier einer der führenden Vertreter der im Oktober 2000 gegründeten, neoliberal ausgerichteten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Mit seiner Forderung nach Streichung sämtlicher 418 Steuerbegünstigungen - von der Abschaffung der Pendlerpauschale bis zur Streichung von Steuerabschlägen für Schicht-, Nacht- und Feiertagsarbeit - hat er eine Mine losgetreten. Er erzeugte damit bei CDU und FDP eine derartige Konfusion und Polarisierung, daß als erster der neoliberale FDP-Hardliner Otto Graf Lambsdorff aus Sorge, am Ende könne es doch nicht zu einer Koalition Schwarz-Gelb kommen, dazu aufrief, man solle Herrn Kirchhof doch den Steuerexperten Merz zur Seite stellen.

Ins gleiche Horn bliesen dann weitere führende Politiker aus der CDU/CSU. Einer war der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer, der sich vor Wochen in der ARD-Talkshow mit Sabine Christiansen als radikaler Befürworter der Equity-Fund-Offensive gegen deutsche Betriebe outete. Zum Berater von Merkel avanciert, zog er in letzter Minute die Notbremse, indem er Bedenken über Kirchhof äußerte und sich für Merz stark machte.

Die eigentliche Ironie dabei ist, daß man die Cholera mit der Pest austreiben will. Denn weil Kirchhof den Herren Lambsdorff und Co. nicht radikal genug ist, will man ihm schnell den noch radikaleren Merz an seine Seite stellen.

Der Staat als "Übeltäter"

Unlängst hat Kirchhof ein kleines Buch mit dem Titel Der Staat - eine Erneuerungsaufgabe (Herder 2005) herausgebracht. Darin wird die aristotelisch-kantianische Denkweise des einstigen Verfassungsrichters deutlich erkennbar.

In nominalistisch-schwerfälligem Sprachduktus gehalten, spricht Kirchhof, der sich als christlicher Humanist bezeichnet, von den Werten des Rechtsstaats, von der Menschenwürde, die sich aus dem Menschenbild des Imago Dei - der Mensch als Abbild Gottes - ableite. Zum Staat, so führt Kirchhof aus, gebe es keine Alternative: "Er ist die einzige Organisation, die inneren und äußeren Frieden sichert, Freiheitsrechte in einer konkreten, unmittelbar vollziehbaren Rechtsordnung gewährt und die den Menschen als seinen Bürgern die existentiellen Voraussetzungen individuellen Lebens und Entfaltens erschließt." An mehreren Stellen ist die Rede vom "Sozialstaat", von "Solidarität", "Subsidiarität". So weit, so gut.

Doch dies steht in einem merkwürdigem Kontrast zu den langen Ausführungen, die der Autor über das Geld und die Rolle des Geldes macht. Hier outet sich Kirchhof als wildgewordener Bürokrat, welcher der Denkweise des Aristoteles, den Forderungen nach "Katharsis" eines de Maistre und dem Menschenbild von Thomas Hobbes nahezustehen scheint.

So, wenn er z.B. über die "freiheitsstiftende" Rolle des Geldes philosophiert. "Eines der wichtigsten Handlungsmittel zur Lenkung menschlichen Verhaltens ist das Geld", schreibt Kirchhof. "Der Staat wirkt heute vielfach mehr durch seine Finanzkraft als durch seine Rechtsetzungsgewalt. Die Macht zu besteuern und zu finanzieren ist aber verfassungsrechtlich schwerer zu formen und zu binden, die individuelle Freiheit gegenüber den Verlockungen eines Geldangebots schwerer zu verteidigen, so daß für den modernen Finanzstaat andere Maßstäbe entwickelt werden müssen als für den herkömmlichen Rechtsstaat."

Kirchhof spricht vom Staat als "Übeltäter", der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, und als "Wohltäter", der es ihnen gleichzeitig wieder zurückgibt, z.B. in Form von Sozialhilfe. Eine merkwürdige Sicht der Dinge. Und zur Frage der Verteidigung der Geldwertstabilität durch das verfassungsrechtliche Modell der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank führt Kirchhof aus, diese müßten "als Sachverständigengremien zum Schutz der Geldwertstabilität gegen parlamentarischen Einfluß abgeschirmt werden". Dies habe sich in der Geldpolitik bewährt, auch wenn man das nicht verallgemeinern könne.

Im Kapitel "Sozialstaat und Geld" spricht er vom "Kampf ums Geld" als gesellschaftlicher Realität. Die Triebfeder dazu liege in der Natur des Menschen: "Menschliches Verhalten gewinnt seinen Antrieb aus Neugierde, Geltungsdrang, Erwerbsstreben und Sexualität; die Wirtschaftsfreiheiten bauen auf ein fast unerschöpfliches Streben nach Geld und Geltung", schreibt Kirchhof in Anlehnung an Hobbes' Maximen.

Kirchhof und Dagobert Duck

Thomas Hobbes, das Idol der Neokonservativen, war Begründer der modernen politischen Philosophie, ein materialistischer Denker, der den Altruismus und Idealismus (die Idee des Summum Bonum) ablehnte. Mensch und Gesellschaft bestimmte er vom Standpunkt des Überlebenskampfes. Der Mensch im Kampf ums Überleben, so Hobbes, ist ein von Leidenschaften, von der "Angst vor dem Tod", der "Eitelkeit" und von "Egoismus" getriebenes Wesen. Laut Kirchhof hat Geld "Verführungskraft", und gegen Habsucht und Neid könne der Mensch sich nur durch das "Recht" wappnen, das dem Maximierungsstreben ein Ende setze.

"Geld", so heißt es weiter, "tritt zunächst als Münze, als ein Stück Papier, als Scheck in Erscheinung, in denen jeweils eine bestimmte Wirtschaftsgemeinschaft verspricht, eine benannte Summe Kaufkraft gegen Leistungen einzutauschen. Geld ist ein Zahlungsmittel, ein Bewertungsmittel und ein Mittel, die Kaufkraft für die Zukunft aufzubewahren."

Aber bei Kirchhof erhält Geld noch eine geradezu "spirituelle" Dimension, wenn es heißt: "Geld ist geprägte Freiheit und damit die ökonomische Grundlage fast aller Freiheitsrechte ... Damit wird das Geld zu einem der wichtigsten Instrumente moderner Freiheiten und ist deswegen von Verfassung wegen als Eigentum geschützt. Der Eigentümer mag seine Freude am Geld angesichts eines wachsenden Kontostandes haben oder wie Dagobert Duck in seinen Münzen baden - er wird es vor allem nutzen, um daraus weitere Erträge zu erzielen. Er wird es verwalten, um in der bestmöglichen Anlageform die Rendite zu steigern. Er wird insbesondere über sein Geldeigentum verfügen, um es in Sachen, Dienstleistungen oder andre Währungen zu tauschen." Seine Philosophie des Geldes und Sparens auf den Punkt bringend, schlußfolgert der Brotgelehrte: "Geld ist gehortete ökonomische Freiheit, es erlaubt den gegenwärtigen Konsumverzicht, um in der Zukunft mit gleicher Kaufkraft nachfragen zu können."

Wie Tietmeier setzt sich Kirchhof für eine sog. "Stabilitätspolitik" ein. Die Verantwortung für den Geldwert liege bei der Rechtsgemeinschaft, die Löhne, Preise und Zinsen und öffentliche Abgaben vereinbart. Die herkömmliche Vorstellung einer Nationalökonomie weise die Verantwortlichkeit einem Staat zu.

Heute sei jedoch die Verantwortlichkeit für den Geldwert des Euro auf die Europäische Union und deren Organe - insbesondere auf die Europäische Zentralbank - übergegangen, die sich zwar auf einen Binnenmarkt, nicht aber auf eine europäische Wirtschaft stützen könne: "Die verfassungsrechtlich und europaverträglich garantierte Preisstabilität, die einen möglichst gleichbleibenden Geldwert sichern soll, braucht deshalb eine von den Mitgliedsstaaten gebotene europäische Vertrauensgrundlage."

"Geldwert" sei einer der wichtigsten Inhalte der Generationengerechtigkeit. Kirchhof fordert mehr Eigenverantwortung und eine Politik der fiskalischen Austerität, i.e. eine "leistungsgerechte Zuteilung von Einkommen, welche den Sozialstaat nicht überfordern darf". Und er meint: "Die Gegenwart einer überhöhten Staatsverschuldung, einer Verrechtlichung wünschenswerter Staatsleistungen zu Ansprüchen ungeachtet der Haushaltslage, einer Subventions- und steuerlichen Klientelwirtschaft, in der Begünstigte und Schenker auf immer neue Staatsleistungen drängen, verlangt aber eine prinzipielle Überprüfung des Rechts, der Staatsleistungen und Steuern."


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