Februar 2006:

Huntingtons "Kampf der Kulturen"

Geopolitik: Im Rahmen der derzeitigen Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen wurde von interessierter Seite wieder das Konzept eines unausweichlichen "Kulturkampfes" zwischen dem Westen und dem Rest der Welt vorgebracht.

Zbigniev Brzezinski und der 11. September
Ob es um die Mohamed-Karikaturen geht oder um die Ereignisse des elften Septembers: Es läuft das ab, was Huntington in seinem Buch Kampf der Kulturen als "unabwendbar" formuliert hat. Wenn man dann das Milieu untersucht, was bezüglich des Eintreffens derartiger "Prognosen" die Urheberschaft zu verantworten hat, trifft man auf den Namen Brzezinski. Das Bild zeigt einen Umschlag des amerikanischen Nachrichtenmagazins EIR vom 11. Januar 2002, wo diese Urheberschaft aufgezeigt wird. Elisabeth Hellenbroich berichtet über die derzeitungen Entwicklungen.

In ihrer Ausgabe vom 5. Februar berichtete die Welt am Sonntag in großer Aufmachung vom "Kampf der Kulturen", der jetzt als Reaktion auf die in diversen Zeitungen des Westens verbreiteten antimoslemischen Karikaturen und die darauf folgenden Demonstrationen gegen westliche Botschaften in der ganzen Welt beginne. Die Zeitung zitierte dazu Harvard-Professor Samuel Huntington, den Verfasser des berüchtigten Buchs Kampf der Kulturen. Huntington hatte in einem Gespräche mit Welt am Sonntag erklärt, der Konflikt zwischen der muslimischen und der westlichen Welt werde "an vielen Fronten ausgetragen: politisch, diplomatisch, wirtschaftlich, militärisch, ideologisch". Ein multidimensionaler Konflikt stehe bevor, der noch über viele Jahre andauern werde, so die Prognose Huntingtons.

Samuel Huntington ist damit Sprachrohr der Neokonservativen in der Regierung Bush (Cheney, Rumsfeld, Bush) und Verbündeter einer britischen-imperialen Fraktion (dazu gehören u.a. Bernard Lewis und Zbigniew Brzezinski), die die Welt auf einen neuen "Kalten Krieg" umpolen will und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks ein neues "Großes Spiel" begann.

In Anlehnung an den britischen Geopolitiker Sir Halford Mackinder (1861-1947) vertreten sie die These, daß künftige Konflikte auf dem "eurasischen Schachbrett" ausgetragen werden. Und von ihrem Standpunkt stellt die sich entwickelnde "eurasische Wirtschaftsallianz" zwischen China, Indien, Rußland und den islamischen Ländern, insbesondere dem Iran, eine Bedrohung für das Mächtegleichgewicht und die größte Bedrohung für die einzig verbliebene Hegemonialmacht USA dar. Der wahre Grund ihrer geopolitischen Obsession wird geflissentlich verschwiegen: die globale Weltfinanzkrise und deren Auswirkungen auf den "Westen" bzw. die Macht der Finanzoligarchie. Mit Hilfe asymmetrischer Kriege will sich diese Finanzoligarchie in Zukunft den Zugriff auf die Rohstoffe sichern, um einen verheerenden Crash zu überleben.

Huntington und Brzezinski vertreten die Position einer Elite, die um jeden Preis an den Paradigmen ihres untergehenden Finanzimperiums festhalten will und dabei einen ideologischen und auch militärischen "Kreuzzug" gegen den Rest der Welt in Kauf nimmt, der in einen dritten Weltkrieg münden könnte.

Der "Kampf der Kulturen"

1993 veröffentlichte Huntington zum ersten Mal in der Zeitschrift Foreign Affairs seine These vom Zusammenprall der Zivilisationen. Gefördert wurde Huntingtons Projekt, das 1996 in Buchform unter dem Titel "The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order" erschien, von bestimmten einflußreichen Denkfabriken. Unter anderem war das Projekt Ergebnis einer von der neokonservativen Denkfabrik American Enterprise Institute veranstalteten Vorlesungsreihe, in der Huntington als Referent über "Das sich verändernde Sicherheitsumfeld und Amerikas nationale Interessen" auftrat. Die Vorlesungsreihe wurde von der H. Smith Richardson Foundation und dem John Olin Institute for Strategic Studies finanziell unterstützt (damit verbunden ist auch die Olin Foundation, die wiederum ein führender Geldgeber der berüchtigten Federalist Society ist).

Die Kernthesen von Huntingtons Buch, das mittlerweile in 25 Sprachen erschien, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Huntington stellt die abstruse Behauptung auf, das 21. Jahrhundert werde nicht von wirtschaftlich/strategischen, sondern von interkulturellen Auseinandersetzungen um Kultur und Religion bestimmt. Universalistische Ansprüche brächten den Westen zunehmend in Konflikt mit anderen Kulturkreisen - vor allem mit dem Islam und China.

2. Die Ursache für den Zusammenstoß der Kulturen sieht Huntington in der "demographischen" und wirtschaftlichen Verschiebung des "Machtgleichgewichts" zwischen den Kulturkreisen: Der Westen (Nordamerika und Europa) verliert sowohl demographisch, als auch territorial und als Industriemacht an Einfluß. Der Krieg der Zukunft wird daher, so die These Huntingtons, zwischen dem Westen und dem Rest der Welt stattfinden, wobei der heftigste Zusammenprall zwischen den muslimischen und asiatischen Gesellschaften auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite zu erwarten sei.

3. Huntingon macht keinen Hehl daraus, daß es sich bei den von ihm prognostizierten Kriegen um "Ressourcen- und Bevölkerungskriege" handeln werde, mit denen der Westen seine Vormachtstellung sichern will. So war für ihn der Golfkrieg "der erste nach dem Kalten Krieg um Ressourcen geführte Krieg zwischen Kulturen".

4. Hauptauslöser für den zukünftigen Zusammenstoß der Kulturen sind laut Huntington "muslimischer Bevölkerungsdruck" und "asiatisches Wirtschaftswachstum".

So liest man bei Huntington: "Auf jeden Fall werden asiatisches Wirtschaftswachstum und muslimischer Bevölkerungsdruck in den kommenden Jahrzehnten zutiefst destabilisierende Auswirkungen auf die etablierte, westlich dominierte internationale Ordnung haben. Den bedeutendsten Zuwachs an Machtressourcen und weltpolitischem Einfluß werden die ostasiatischen Gesellschaften mit rapidem Wirtschaftswachstum verzeichnen. Die Entwicklung in China, sofern sie noch wenigstens ein Jahrzehnt andauert, wird eine massive Machtverschiebung unter den Kulturen bewirken. Darüber hinaus könnte Indien bis dahin in ein rapides wirtschaftliches Wachstum eingetreten sein und sich als Hauptakteur der Weltpolitik entpuppen. Unterdessen wird das muslimische Bevölkerungswachstum erhebliche destabilisierende Auswirkungen auf das globale Machtgleichgewicht haben."

"Die riesigen Zahlen junger Menschen mit Hochschulreife werden der islamischen Resurgenz weiter Auftrieb geben und verstärkt muslimische Militanz, muslimischen Militarismus und muslimische Migration fördern. Infolgedessen werden die ersten Jahre des 21. Jhs. die anhaltende Resurgenz nichtwestlicher Macht und Kultur sowie den Zusammenprall der Völker nichtwestlicher Zivilisationen mit dem Westen und miteinander erleben."

Huntingtons Beschreibung der Gründe der "muslimischen Bedrohung" ist ein Abwandlung des Lebensraumdenkens der Nazis: "Größere Populationen benötigen mehr Ressourcen, und daher tendieren Menschen aus Gesellschaften mit dichter und/oder rasch wachsender Bevölkerung dazu, sich auszubreiten, Territorium zu besetzen und Druck auf andere, demographisch weniger dynamische Völker auszuüben. Das islamische Bevölkerungswachstum ist daher ein wesentlicher, mit ausschlaggebender Faktor für Konflikte zwischen Muslimen und anderen Völkern entlang den Grenzen der islamischen Welt", heißt es bei ihm.

Huntington entwickelt am Ende seines Buches ein abstruses Szenario eines atomaren Weltkrieges, der sich an der Frage der eurasischen Entwicklung entzünden wird. Ein Krieg, in dem u.a. Indien gegen Pakistan, die Araber gegen Israel, Rußland gegen China, China und Japan gegen die USA kämpfen und sämtliche islamischen Länder mit hineingezogen werden. Angesichts dieser von ihm dargelegten Kulturkriegsszenarien, heißt es dann am Schluß des Buches, sei es ratsam, wenn der Westen in den Dialog mit anderen Kulturen eintrete.

Brzezinkis Traum vom amerikanischen Weltreich

Ähnlich lauten auch die Thesen des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters unter Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, die dieser in seinem 1999 erschienenen Buch "Die einzige Weltmacht" darlegte. Nach seiner Auffassung wird das "eurasische Schachbrett" zum Schauplatz, auf dem in der Zukunft das "Große Spiel" um die globale Vorherrschaft ausgetragen werde. Die USA würden dabei als "Schiedsrichter" auftreten, um das Aufkommen jedes potentiellen Rivalen, der die Vormachtstellung und Interessen der USA auf diesem Schauplatz der Weltpolitik bedrohen könnte, energisch zu unterbinden. Entscheidende Bedeutung komme dabei dem "eurasischen Balkan" zu - einer Region, in der sich 60 Prozent der Weltenergievorräte befinden, und die zu sichern und vor dem Zugriff anderer Rivalen zu schützen, vom Standpunkt Englands und damit verbundener bestimmter neokonservativer Kreise in den USA höchste strategische Priorität erhalte.

Brzezinski sieht Rußland als einzig ernstzunehmenden Gegenspieler der anglo-amerikanischen imperialen Fraktion. Wesentlich für die Eindämmung Rußlands und geopolitisch von höchster Priorität sei daher der "eurasische Balkan" - womit er auf die Auseinandersetzung zwischen England und Rußland um die Vorherrschaft in Zentralasien und dem Transkaukasus im 19. und beginnenden 20. Jh. anspielt.

Während Brzezinski den Einfluß Rußlands und Chinas in Eurasien zurückzudrängen will, soll Europa militärisch auf absehbare Zeit als "Protektorat der USA" und als "Sprungbrett" für die weitere Ausdehnung amerikanischer Vormachtstellung in Eurasien dienen. Um ihren Einfluß in Eurasien zu vergrößern, sollen die USA die NATO-Erweiterung vorantreiben, um auch Rußland in Europa und in die NATO-Strukturen einzubinden und langfristig auf ein "transeurasisches Sicherheitssystem" sowie ein "transatlantisches Handelssystem" hinarbeiten, um die Möglichkeit eines Europa als Wirtschaftsrivalen der USA zu unterbinden.


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