Wenn die Deutschen eine Zukunft haben wollen, müssen sie sich aus dem Denkgefängnis der nachindustriellen Gesellschaft befreien. Dabei stoßen wir zwangsläufig auf Heidegger und dessen existentialistischen Angriff auf Platons Philosophie.
Im Bild Martin Heidegger, damaliger Professor aus Freiburg, der von der "Ursprünglichkeit des Lebens" angetan war, während sein rabiater Ruf nach "Abriß der Tradition" tönt. Gemeint ist eine Ursprünglichkeit, die 2500 Jahre Zivilisation leugnet. Parallelen zu den Nazis drängen sich förmlich auf.
"Alles, was ein Vermögen (dynamis) besitzt, entweder eine Veränderung bei irgendeinem Dinge zu bewirken oder von dem unbedeutendsten Ding auch nur die geringste Einwirkung zu erfahren, hat wahrhaftes Sein." (Platon, Die Sophisten)
Die Mentalität der nachindustriellen Gesellschaft hält uns im Griff wie eine Schlange, die uns Gift züngelnd verführen will, vom "Baum der Natur" zu kosten. Wollen wir die Existenzkrise unserer Gesellschaft lösen, müssen wir das nachindustrielle Paradigma überwinden. Wir brauchen dringendst eine Reindustrialisierung Deutschlands, Europas und der USA. Nur so werden Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftliche Zusammenbruchskrisen und Perspektivlosigkeit der Jugend überwunden.
Die irrationale Angst vor Großtechnik, die Mystifizierung des infachen Lebens in der Natur verhindert jede offene, klare und auf Erkenntnis zielende Diskussion. Um den Schlangengriff eines irrationalen Weltbilds zu lösen, müssen wir die Schlange kennen - also die Ursprünge und Verursacher dieser Irrationalität.
Es geht dabei nicht um die Frage nach der Technik an sich, sondern darum, in welcher Kultur wir leben: ob wir eine wissenschaftliche, zukunftsfähige Kultur der Wahrheitssuche oder eine Kultur der Angst vor der Wissenschaft und der sophistischen Lüge pflegen. Die Philosophie und Geistesgeschichte der letzten 100 Jahre hat in dieser Hinsicht großes Unheil angerichtet. Neben dem Dekonstruktionismus eines Jacques Derrida, der Frankfurter Schule mit ihren Exponenten Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Marcuse ist hier vor allem der pathologische Existentialismus Martin Heideggers zu nennen. Besessen von einer krankhaften Eitelkeit schuf Heidegger sich seine eigene teilweise groteske Sprache, die ihn wenn nicht weitgehend unlesbar, so doch zumindest ungenießbar werden ließ. Um so merkwürdiger scheint es, daß Heidegger zur "Lichtgestalt" der deutschen Existentialphilosophie im 20. Jh. aufsteigen konnte. Mit über 5000 Büchern, die über ihn verfaßt wurden, sowie mit 100 eigenen Büchern läuft er zumindest quantitativ allen anderen Philosophen des Jahrhunderts den Rang ab.
Dies ist um so erstaunlicher, da sich Heidegger nie von seinem Engagement für den Nationalsozialismus distanziert hat. Er war von 1933 bis 1947 (!) Mitglied der NSDAP, aber gegenüber seinen ehemaligen jüdischen Freunden und Kollegen fand er nicht ein einziges Wort des Bedauerns. Ähnlich wie im Falle des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt (mit dem Heidegger einiges verband) spielte Heideggers Vergangenheit keine Rolle, wenn er in den 50er und 60er Jahren öffentlich auftrat und diverse Ehrungen empfing. Heidegger erhielt 1945 zwar von den Alliierten wegen seiner Nazi-Vergangenheit Lehrverbot, aber dieses wurde schon 1949 aufgehoben. Seine Nachkriegskarriere hat vielleicht etwas damit zu tun, daß man so einen wie Heidegger brauchte. Wer ist "man" und wofür konnte man ihn brauchen? Nützlich erwies er sich als Protagonist der Technikfeindlichkeit - die internationale Finanzelite plante bereits gleich nach dem Krieg den Paradigmenwandel in Richtung nach-industrieller Gesellschaft; daß es vom Morgenthau-Plan bis zum Aufbau der grünen Bewegung in den 70er Jahren und der Deindustrialisierung der 90er Jahre etwas länger dauerte, lag am wissenschaftlich-technologischen Wettbewerb der Systeme des Kalten Krieges.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die Aufhebung des Lehrverbots für Heidegger zeitlich mit einer Vortragsreihe gegen die "technische Zivilisation" zusammenfiel - das war im Jahre 1949 und geschah sicher nicht ganz zufällig in der amerikanischen Enklave Bremen, weit weg von seinem Schwarzwald und seinem Freiburg. Und es geschah nicht einfach irgendwo in Bremen, sondern im renommierten Club zu Bremen, wo feine hanseatische Kaufleute und Bankiers in vornehmer "englischer Atmosphäre" zusammenkommen. Hier hielt Heidegger zwischen Dezember 1949 und Frühjahr 1950 vier Vorträge zum Thema "Fragen der Technik".
Diese Vorträge wurden für den späteren Paradgimenwandel in Richtung Ökologie, nachindustrieller Gesellschaft und Wissenschaftsfeindlichkeit richtungsweisend.
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben".1
Interpreten haben sich wie Heuschrecken seitdem auf dieses Zitat gestürzt. Was gibt es da eigentlich zu interpretieren? Natürlich zeigt sich hier Heideggers Pathologie. Sein Motiv ist existentielle Angst vor dem Verlust einer subjektiven Blut- und Boden-Idylle. Man lese dazu folgendes Zitat aus dem Jahre 1930:
Die Bodenständigkeit des heutigen Menschen ist im Innersten bedroht. Mehr noch: Der Verlust der Bodenständigkeit ist nicht nur durch äußere Umstände und Schicksale verursacht, auch beruht er nicht nur auf der Nachlässigkeit und oberflächlichen Lebensart der Menschen. Der Verlust der Bodenständigkeit kommt aus dem Geist des Zeitalters, in das wir alle hineingeboren sind.2
Die Nazis waren für Heidegger offenbar ein willkommener Bündnispartner im Kampf gegen den "Verlust der Bodenständigkeit". Nach dem Krieg flammten die Ängste des wissenschafts- und technikfeindlichen Kleinbürgers erneut auf. Durch sein Theologiestudium verfügte Heidegger über griechische Sprachkenntnisse - und so philosophierte er, daß der griechische Begriff der "techne" immer mit der Wahrheit verbunden gewesen sei. Denn im Akt des "Hervorbringens" finde ein "Entbergen" statt. (Das griechische Wort für Wahrheit lautet "aletheia", und dies bedeutet "Unverborgenheit"). Heidegger will also sagen, die Technik bringe etwas hervor, was vorher in der Natur bereits vorhanden, aber verborgen war, und uns nun sozusagen als unverhüllte Wahrheit erscheine. Bei den alten Griechen sei also Technik noch eng mit der "physis", der Natur, verbunden gewesen. Heidegger mahnt eine radikale "Rückbesinnung auf den Anfang" an, auf einen altgriechischen Technikbegriff also, der eigentlich Kunstfertigkeit und Erkenntnis bedeutete. Wie recht er hat - nur in einem ganz anderen Sinn, als er meinte. Wir werden darauf zurückkommen.
Heidegger - Sophist, der er war - drehte nun aber die Frage um: Ob dieser griechische Ur-Begriff der Technik auch noch im Zeitalter von Kraftmaschinen und Atomtechnik gelte? Wen wundert es, daß seine Antwort hierauf ein dezidiertes Nein ist? Auch die moderne Technik sei ein Akt des "Entbergens", aber:
Das in der modernen Technik waltende Entbergen ist ein Herausfordern, das an die Natur das Ansinnen stellt, Energie zu liefern, die als solche herausgefördert und gespeichert werden kann... Die Natur wird zu einer einzigen riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie.3
Die Natur werde von der Technik als vorausberechenbarer Zusammenhang von Kräften dargestellt - alles wird zum verfügbaren, abrufbaren "Bestand", und so auch der Mensch.
Wir haben es also mit der üblichen, vollkommen unqualifizierten kulturpessimistischen Wutreaktion des akademischen Kleinbürgers auf den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt zu tun. Unterschlagen wird von diesen "Kritikern der technischen Zivilisation" immer, daß die Entdeckung der Kraftmaschine und der "verborgenen Energie" in Form der atomaren Bindungskräfte es möglich gemacht haben, Millionen von Menschen aus einem elenden Dasein zu befreien. Daß Technik und Wissenschaft nicht immer nur zum Wohle der Menschen eingesetzt wurden, sondern auch verbrecherischen Regimen gedient haben, diese Binsenweisheit braucht keinen neuen Beweis. Der verbrecherische Einsatz technischer Mittel erfordert keine Kampagne gegen die Technik, sondern gegen eine oligarchische Gesellschaft, die im Extrem zur Diktatur wird.
Wir werden sehen, daß gerade die Ablehnung technisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer Anwendung oligarchische Gewaltherrschaft begünstigt! In diesem Zusammenhang muß man erwähnen, daß in den letzten 40 Jahren die technische Entwicklung massiv gebremst wurde, so daß die Mehrheit der Menschheit immer noch unter erbärmlichen Bedingungen ihr Leben fristen muß. Dies verdanken wir denjenigen politischen Kräften, die seit Jahrzehnten den Aufbau einer gerechten Weltwirtschaftsordnung verhindert haben, die vor der friedlichen Nutzung der Kernenergie warnen, aber nie Skrupel hatten, die Atombombe einzusetzen, wie z.B. Harry Truman und seine Nachfolger.
Heidegger bediente - ob bewußt oder unbewußt - die Interessen dieser fortschrittsfeindlichen Oligarchen. Im Bremer Club widmete er sich den Gefahren der modernen Technik. Fast beiläufig, als wäre es selbstverständlich und bedürfte keiner weiteren Erörterung, schlug er den Bogen von der modernen Technik zur Vernichtung der Welt durch Atomkrieg und Umweltkatastrophen; dies ist inzwischen zum üblichen, banalen Ritual geworden, 1949 hatte es vielleicht noch einen gewissen Neuheitswert. Das Überraschende aber kam erst noch in Heideggers Ausführungen: Die größte Gefahr sei gar nicht der Atomkrieg als Ausgeburt der modernen Technik! Dieser offensichtlichen Menschheitsbedrohung setzte Heidegger eine viel subtilere, "unsichtbare" Bedrohung gegenüber. Die Vernichtung der Dinge sei längst geschehen - wir brauchen dafür gar keinen Atomkrieg! Diese Behauptung gipfelte in einem weiteren der eigentlich nicht lesbaren Heidegger-Ergüsse:
Die Bedrohung des Menschen kommt nicht erst von den möglicherweise tödlich wirkenden Maschinen und Apparaturen der Technik. Die eigentliche Bedrohung hat den Menschen bereits angegangen. Die Herrschaft der Ge-stells droht mit der Möglichkeit, daß dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprüngliches Entbergen einzukehren und so den Anspruch einer ursprünglichen Wahrheit zu erfahren.4
Mit "Ge-stell" meint Heidegger so etwas wie die Gesamtheit aller "Zumutungen" an Mensch und Natur (also das, was hingestellt wurde an technischen "Herausforderungen"). Es ist ziemlich müßig und auch unerheblich, die codierte Privatsprache Heideggers "übersetzen" zu wollen, dieser Hinweis soll hier genügen. Entscheidend ist etwas anderes: Was meint Heidegger mit der "Erfahrung der ursprünglichen Wahrheit"? Die Beantwortung dieser Frage führt uns in die griechische Antike, in die Auseinandersetzung zwischen Platon und den Sophisten, zwischen Platon und den Vorsokratikern. Es wird sich zeigen, daß Heidegger zu Platons Gegnern gehört und auf der Seite der Sophisten und Eleaten deswegen die Technik bekämpft, weil technischer Fortschritt die Umsetzung überprüfbaren Wissens ist. Mehr noch, die Technik ist im platonischen Verständnis lediglich eine Beigabe wissenschaftlicher Erkenntnis und schöpferischer Kraft des Geistes. Heidegger fährt schweres Geschütz gegen die Technik auf, zielt aber eigentlich auf die Fähigkeit kreativen Denkens. Das "überprüfbare Wissen" der Technik entlarvt das sophistische Scheinwissen, das zur Manipulation der Öffentlichkeit seit jeher eingesetzt worden ist. Aus diesem Grund spielt Technikfeindlichkeit den politischen Machthabern oligarchischer, imperialer Systeme in die Hände.
Heidegger schert sich nicht um solche Differenzierungen. Er will zurück zu den "Ursprüngen", das ist sein Motiv hinter dem radikalen Angriff auf Wissenschaft und Technik. Konkret bedeutet dies ein "Zurück zu den Philosophen vor Sokrates und Platon". Gehen wir also einen Schritt zurück und versetzen uns aus dem Bremen des Jahres 1949 in das Freiburg der Jahre 1919-1923, als Heidegger seine universitäre Laufbahn begann. Dann bekommen wir die ehrliche Antwort auf die Ursprünge nicht nur seiner Technikfeindlichkeit - und wir erhalten quasi gratis dazu den Schlüssel zu ihrer Überwindung: die platonischen Dialoge!
Man kommt schlicht an Heidegger nicht vorbei, wenn man das postmoderne Paradigma verstehen will. Im Sommersemester 1923 hatte er bei den jungen Studenten in Freiburg bereits den Ruf eines revolutionären Zertrümmerers, eines Aufdeckers der Wahrheit, und sie strömten in Scharen in seine Vorlesungen. Von einer geistig erregten Stimmung ist da die Rede - und die Teilnehmerliste dieser Vorlesung liest sich wie ein "Who is Who" der deutschen Philosophie des 20. Jhs.: Alles, was später Rang und Namen hatte, war durch Heideggers Schule gegangen. Es hörten ihn: Hans Gadamer, Karl Löwith, Max Horkheimer, Hans Jonas, Hannah Arendt, um nur die bekanntesten Namen zu nennen.
In diesem Sommer 1923 leistete Heidegger ganze Arbeit. Man muß sich die politische Situation vorstellen: es herrschte eine galoppierende Inflation, die Tag für Tag und immer schneller das Geld entwertete, Millionen von Menschen in die Armut und den Verlust des Vermögens trieb. Gleichzeitig hielt die französische Armee das Ruhrgebiet besetzt, was zur Verschärfung von Versorgungsengpässen führt. Das politische Klima war aufgeheizt, Linke und Rechte mobilisierten die Straße, von Putsch und Gegenputsch war die Rede.
Und Martin Heidegger beginnt sein großes Werk der Destruktion des abendländischen Denkens.
Alle Ontologie hat die Frage nach dem Sein verfehlt, lautet das Diktum seiner Vorlesung. Die Frage nach dem Sein ist zu allererst die nach dem Dasein, nach der menschlichen Existenz. Die Wissenschaft aber hat die Suche nach dieser Existenz, nach dem menschlichen Leben verbaut, zugedeckt. Es gehe nun darum, eine Geschichte der Verdeckung zu schreiben und diese Verdeckung aufzuheben. Und so ertönt sein rabiater Ruf nach Abriß der Tradition! Im Laufe der 20er Jahre konkretisiert sich in seinen Vorlesungen, was alles abgebaut bzw. abgerissen werden muß: die griechische Philosophie von Platon angefangen, das Christentum, die neuzeitliche Denkweise beginnend mit Descartes, der Kantianismus, und nicht zuletzt auch noch der Weg von Hegel bis Husserl. Einzig allein übrig bleibt er selbst: Heidegger. Was hat er denn so Erhabenes zu verkünden, daß er sich anmaßt, der große Zerstörer und titanische Erneuerer sein zu können?
Die "Ursprünglichkeit des Lebens", die "Abkehr von der Sachlichkeit" bietet uns Martin Heidegger als Ersatz für den Verlust von 2500 Jahren europäischer Geistesgeschichte! Für Heidegger setzte Platon die große Zäsur, jenseits derer wir nachfolgenden Generationen von eben dieser Ursprünglichkeit des Lebens abgetrennt wurden. Das Denken in Ideen, in Begriffen, das sokratische Fragen nach dem Was und Warum hat laut Heidegger nicht nur die Ursprünglichkeit des "Erlebens der Welt", sondern die ursprüngliche Identität zwischen Objekt und Subjekt zerstört. Identität zwischen Subjekt und Objekt? In ganz früher Zeit gab es das tatsächlich: Der erste Mensch war nicht in der Lage, sich als denkendes Subjekt gegen die äußerliche Welt der Objekte abzugrenzen. Dieser Mensch wurde im Innersten seines Wesens, seiner Emotionen, von den Phänomenen der Natur, des physischen Universums, beherrscht - und zwar zu einem solchen Grade, daß die Furcht, das Staunen, das pure Angaffen der Dinge um ihn herum die freie Betrachtung oder Reflexion verhinderten.
Dies war allerdings bei den vorsokratischen Denkern im antiken Griechenland schon längst nicht mehr der Fall. Hier begegnen wir einer von vielen philosophiegeschichtlichen Verfälschungen des Herrn Heidegger. Er will tatsächlich die archaische Identität zwischen Subjekt und Objekt, den Menschen als unbewußt dahinvegetierenden Sohn der Natur. Da er vor allem Platon angreifen will, beruft er als Kronzeugen für seine These den Vorsokratiker Parmenides, den berühmten Philosophen aus Elea, der im 6. Jh. v.Chr. gelebt hat.
Laut Heidegger muß jede Neuorientierung im Denken von Parmenides ausgehen. Alle Ontologie und Logik, so sagt er, die sich "mit Parmenides für unsere Geistes- und Daseinsgeschichte ...entschieden hat", postuliere: "Dasselbe ist vernehmendes Meinen und Sein". Und weiter: "Alle nachfolgende Ontologie ist von daher vorbestimmt und hat ihren Leitfaden. Die Gewinnung einer ursprünglichen Situation setzt eine Kritik dieser geistesgeschichtlichen Entwicklung voraus."5.
Im normalen Deutsch heißt dies: Wir müssen im Denken zurück zu Parmenides, also vor Sokrates und Platon. Was bedeutet nun die Formulierung "dasselbe ist vernehmendes Meinen und Sein"? Es bedeutet zunächst einmal, daß Heidegger sich bereits so in die Zertrümmerung der alten Philosophie hineinbegeben hat, daß er nicht einmal mehr vom "Erkennen" spricht, sondern statt dessen "vernehmendes Meinen" sagt. Genau davon spricht Parmenides nämlich nicht - bei ihm ist gerade von der Identität von Erkennen und Sein die Rede.
Ganz im Gegensatz zu Heideggers Behauptung hatte in der griechischen Philosophie-Entwicklung bereits vor Sokrates eine wichtige Hinwendung zum tieferen Verständnis des Geistes stattgefunden. Herausragend dafür war der Philosoph Heraklit, der im Ionien des 6. Jhs. lebte, also ein Zeitgenosse des Parmenides war. Heraklit sprach der reinen Sinneswahrnehmung Erkenntnis ab. Die Menschen, so sagte er, nähmen das wirkliche Sein nicht wahr, sie seien "anwesend abwesend" - eine sehr poetische Beschreibung für den geistig-psychologischen Zustand der meisten Menschen zu allen Zeiten! Heraklit wollte damit die Tendenz umschreiben, daß Menschen Dinge, Tatsachen, Fakten "festhalten" und Definitionen unterwerfen wollen. Aber, so formulierte es Heraklit, die Welt sei in ständigem Wandel, unterliege dauerndem Werden und Vergehen. Heraklit hatte dabei durchaus seinen festen Punkt - und das war der Logos. Seinen Logos-Begriff können wir nicht einfach mit "Wort" übersetzen, sondern Heraklit leitete "logos" vom Zählen, Rechnen und "Herzählen" ab, also dem Bilden und Zusammenstellen von Reihen. So erdachte Heraklit Ordnungsreihen, die "demselben Logos folgen". Von hier aus dachte er sich den Logos aber nicht nur arithmetisch, sondern als Maß, welches Proportion und Ähnlichkeit verleiht. Der Logos ist also gewissermaßen das Maß, welches die Welt des Wandels nach Proportionen ordnet. Der Haufen aller Dinge verhält sich zum Kosmos wie der Kosmos selbst zu einer tiefen, geistigen Seinsordnung hinter den Dingen.
Heraklits Zeitgenosse Parmenides - der Kronzeuge Heideggers - rebellierte gegen eine Welt des ständigen Wandels. So gebot er dieser Welt Stillstand! Ja, es gebe einen Logos, es gebe ein Sein - aber dieses sei immer eines, unveränderlich, unbeweglich und begrenzt als eine Kugelgestalt. Dies zumindest sei das wahre Sein - daneben hätten wir es noch mit einer Parallelwelt zu tun, die der Meinungen und des Scheins. In diese Parallelwelt verweist er nun die hergebrachten kosmologischen und naturphilosophischen Theorien der ionischen Philosophie.
Die parmenideische Unterscheidung zwischen Schein und Sein übte einen gewissen Reiz auf die Griechen aus, die sich seit jeher gern mit philosophischen Fragen spekulativ beschäftigten. Allerdings war der Logos des Parmenides unfruchtbar. Das eine ungeteilte, unbewegliche, unveränderliche Sein als das eigentliche Sein ohne Subjekt und Objekt - was nützt es uns, könnte man etwas frivol fragen. Der berühmteste Satz des Parmenides hat tatsächlich weder Subjekt noch Objekt (offenbar hat sich Heidegger davon inspirieren lassen) - er lautet: IST IST. Was will er damit sagen?
Parmenides wollte das Nicht-Sein von der Untersuchung ausschließen. Unter diese Kategorie fiel bei ihm Werden und Vergehen, Unterschiedenheit, Ungleichgewicht, Bewegtheit, Unvollendetheit. Wie aber sollte etwas entstehen können ohne Bewegung, Veränderung und Absonderung (Unterschiedenheit)?
Dies war also der Stand der Diskussion, bevor Sokrates und später Platon das geistige Knäuel zwischen unfruchtbarem Logos und ständigem Wandel entwirrten und die wirkliche erkenntnistheoretische Revolution auslösten, aus der all unser Wissen bis auf den heutigen Tag hervorgeht. Es gab noch eine andere Philosophenfraktion, das waren die Sophisten - aber davon später.
Keineswegs jedoch war die geistige Lage so, wie Heidegger sie gerne sähe, daß nämlich Subjekt und Objekt noch nicht unterscheidbar gewesen wären - hier handelt es sich um ganz krude Klitterung der Philosophiegeschichte. Aber Heidegger ging es auch gar nicht um die Wahrheit, sondern um die Vorbereitung seiner Attacke auf Platon.
Das ganze Elend der Menschheit begann laut Heidegger schließlich amit, daß sich mit den sokratischen Dialogen zwischen Subjekt und Objekt ganz unverschämterweise ein Fremdkörper schob: die Idee! Die platonische Idee verdecke das "Wesen der Wahrheit", so Heidegger. Dieses Wesen entfalte sich nun nicht länger "als das Wesen der Unverborgenheit aus eigener Wesensfülle, sondern es hat sich auf das Wesen der Idee verlagert". Und weiter: "So entspringt aus dem Vorrang der Idee vor der Aletheia (Unverborgenheit) eine Wandlung des Wesens der Wahrheit... In diesem Wandel des Wesens der Wahrheit vollzieht sich zugleich ein Wechsel des Ortes der Wahrheit. Als Unverborgenheit ist sie noch ein Grundzug des Seienden selbst. Als Richtigkeit des Blickens wird sie zur Auszeichnung des menschlichen Verhaltens zum Seienden".6
Trotz aller Verschraubtheit bringen diese Sätze Heideggers Diktum auf den Punkt: menschliches "Blicken und Verhalten", also das Eingreifen des Menschen in die Natur, zur Entfremdung vom "Seienden". Die Idee bringt die "Unverborgenheit", die Wahrheit unter ihr Joch, klagt Heidegger! Indem sich der Mensch erkühnt, nicht länger nur irgendeine "Wesensfülle" anzustaunen, sondern als Handwerker, Künstler, Erfinder selbst "Wesen" hervorzubringen, beginnt laut Heidegger die Verfallsgeschichte des Seins. Wir erkennen hier die Grundzüge der späteren Verdammung der Technik - aber wir gehen noch einen Schritt weiter, nicht nur, um Heideggers pathologische Infamie besser zu verstehen, sondern um den Gegenangriff auf das Paradigma der nachindustriellen Gesellschaft auf höchstem Niveau zu beginnen.
Im Wintersemester 1924/25 hielt Heidegger in Marburg eine Vorlesung zu Platons Dialog Sophistes. In der Kernaussage dieser Vorlesung behauptete er, Platon habe eben hier das "ursprüngliche Erleben" des Seins (der "Wesensfülle") zerstört. In typisch irrwitziger Heidegger-Sprache warf er Platon vor, das Erleben durch ein "Entleben" ersetzt zu haben, weil er durch das "Sprechen über das Sein" das "Aufsaugen der Wesensfülle" aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Platons Reflexion über das Sein habe vom ursprünglichen Sein weggeführt - so behauptet Heidegger.
Bevor wir auf die platonische Theorie der Technik eingehen, wollen wir zuvor einen Blick auf diesen Dialog Die Sophisten werfen, denn an diesem Meisterwerk Platons wird der erkenntnistheoretische Durchbruch gegenüber den Vorsokratikern in brillanter Weise deutlich. Und nicht zuletzt offenbart sich an diesem Dialog, worum es Heidegger und Gleichgesinnten bei ihrer Technik- und Zivilisationskritik in Wahrheit geht.
Die Sophisten waren jene wendigen, moralisch völlig unbekümmerten, zynischen, geldgierigen Leute, die sich für große Summen Geldes von der athenischen Oberschicht anheuern ließen, um deren Nachwuchs in der "Rhetorik" auszubilden. Sokrates nennt sie auch die Wortwechselspieler; sie lehren eben das Spiel mit Worten, in dem es keine allgemeingültigen Wahrheiten, sondern lediglich subjektive, vorübergehende Urteile gibt. Statt der inhaltlichen Überzeugungsfähigkeit eines Arguments wurde nur die rhetorische Fähigkeit des Wortspiels und der Verdrehung entscheidend für den Sieg im Disput.
Wir wollen hier nicht den ganzen Dialog behandeln - aber wir müssen verstehen, warum Heidegger sich gerade über diesen Dialog so geärgert hat. Die Antwort lautet: In Die Sophisten hat Platon seine Fundamentalkritik an Parmenides und der Vorsokratik insgesamt geübt. Nach reiflicher Überlegung nämlich entschließt sich im Dialog ein Fremdling aus Elea dazu, den großen "Vater" Parmenides anzugreifen. Dessen Axiom, daß es ein Nicht-Sein nicht gibt, verhindere die erfolgreiche Jagd nach dem Sophisten.
Denn wenn wir den Sophisten als jemanden bezeichnen wollten, der Scheinwissen und Trugbilder verbreitet, dann mag dieser unter Berufung auf Parmenides sagen: Ihr unterstellt mir, ich würde falsche, also "nicht (wirklich) seiende" Bilder und Meinungen in meinen Reden darlegen. Das ist ja doch absurd, denn damit würdet ihr ja behaupten, Nicht-Sein sei!
Tatsächlich bestand einer der üblen Tricks der Sophistik darin, die gerade sehr in Mode befindliche Philosophie des Parmenides für ihre Zwecke umzudrehen. "Alles ist Sein" war einer der Grundgedanken des Parmenides, der von den Sophisten so umgedreht wurde, daß alles, was jemand sagt, auch tatsächlich so sein müsse, also Existenz, Wahrheitsgehalt habe. Wenn also die Sophisten sich dadurch auszeichneten, heute etwas für gerecht zu erklären und dasselbe morgen für ungerecht, heute etwas als kalt, was morgen warm sei - dann konnten sie in jedem Fall immer behaupten, daß sie nie Falsches aussagten, denn falsch = nicht-seiend = nicht existent.
Nachdem der eleatische Fremdling sich versichert hat, nicht als "Vatermörder" gebrandmarkt zu werden, ringt er sich dazu durch, das große Dogma des "Vaters" Parmenides anzugreifen, daß Nicht-Seiendes nicht sei. Es gelte nun, genau zu prüfen "und die Behauptung zum Siege zu führen, daß das Nicht-Seiende in gewisser Hinsicht ist und umgekehrt das Seiende in gewisser Beziehung nicht ist". (Soph. 241d 7 ff.)
Hier entwickelt Platon die Grundzüge der Dialektik, einer wissenschaftlichen Methode zur genauen Bestimmung der Relationen von Ideen, Begriffen, Aggregatzuständen und Prozessen untereinander. Im Übergang von einem "Zustand" in einen anderen gibt es natürlich in bezug auf "Zustand A" und den folgenden "Zustand B" in dem Bereich des Übergangs ein "Nicht-Sein", relativ zum Sein der beiden "Zustände". Wir wollen aber in diese ausführliche Diskussion Platons an diesem Punkt nicht einsteigen. Es geht um etwas anderes. Nachdem man sich der schwer lastenden Axiome des Parmenides entledigt hat, beginnt ein ganz neues, freieres Denken über Sein und Nicht-Sein, Werden und Vergehen (was Heidegger unterdrückt haben möchte).
Nicht nur Parmenides, sondern alle älteren Denker werden nun bezichtigt, "Märchen erzählt zu haben" und die Jüngeren wie Kinder behandelt zu haben, sobald es um die Frage des Seienden ging. Die Erörterung gipfelt dann im Angriff Platons auf die beiden Hauptströmungen, die Materialisten und die Idealisten. Hier spielt Platon wie häufig in seinen Dialogen mit derber Ironie, damit auch niemand den entscheidenden Punkt übersieht.
Man möge sich die aktuelle geistige Situation hier und heute vorstellen - und man wird feststellen: Was Platon in Die Sophisten darlegt, ist von frappierender Aktualität. Die Materialisten beschreibt er folgendermaßen: "Die einen ziehen alles vom Himmel und aus dem Unsichtbaren zur Erde hernieder, wobei sie wahre Felsblöcke und Eichen mit ihren Händen umfaßt halten. Denn indem sie nach allem greifen, was stofflicher Art ist, behaupten sie steif und fest, nur das sei, was irgendwie Betastung und Berührung zuläßt." (Soph. 246a 7ff.)
(Seitenbemerkung: Im "Informationszeitalter" ist selbst der Akt des "Umfassens" zu anstrengend geworden, deswegen verlegen wir uns auf virtuelle Bäume und Felsen, der Tastkontakt wird über Mausklick hergestellt - der Effekt bleibt derselbe: wirkliches Sein muß sinnlich "greifbar" sein).
Wie steht es nun mit den Idealisten? Sie verlegen das Sein in die Ideen (unkörperliche Formen), während sie das Körperliche als ein ständiges Werden und Vergehen begreifen. "Aber beim Zeus! Wie kann man uns zumuten zu glauben, daß dem absolut Seienden wirklich weder Bewegung noch Leben noch Seele noch Einsicht zukomme, daß es also weder lebendig sei noch denke, sondern in ehrfurchtsgebietender Heiligkeit, bar der Vernunft, in regungsloser Ruhe verharre?" (Soph.248e 6 - 249a)
Platon unternimmt nun einen für die Geschichte der Metaphysik riesigen Schritt, um den jahrtausendealten Streit zwischen diesen beiden Denkweisen - er spricht von einer Riesenschlacht - auf höherer Ebene aufzulösen.
Da beide, Materialisten wie Idealisten, zugeben müssen, daß es irgendeine Wechselwirkung zwischen Leib und Seele gibt (die einen also Geistiges, die anderen Körperliches als seiend anerkennen müssen), und damit auch den Prozeß des Einwirkens und Erleidens nicht leugnen können, bringt Platon an der entscheidenden Stelle des Dialogs seine ganz neue Definition des Seins:
"So erkläre ich denn, daß alles, was ein Vermögen (dynamis), welcher Art es auch sei, besitzt, entweder eine Veränderung bei irgendeinem Dinge zu bewirken oder von dem unbedeutendsten Ding auch nur die geringste Einwirkung zu erfahren... daß all dies wahrhaftes Sein habe. Denn meine Erklärung des Seienden ist die, daß es Vermögen (dynamis) sei." (Soph.247d 9 - 247e)
Sein ist weder Ruhe noch Bewegung, sondern ein drittes.
Damit sind die Ideen aus einer fernen, entrückten Himmelsregion, wo sie zwar hübsch anzusehen sind, aber keine Wirkung auf das irdische Leben haben, heruntergeholt in den wirklichen dynamischen Entwicklungsprozeß dieser Welt.
Das ist die eigentliche epistemologische Revolution. Dynamis - auch als Kraft oder Potenzierung zu übersetzen - bedeutet die Möglichkeit, daß nicht nur einmal, sondern fortgesetzt auf jeweils höherer Ebene die Wechselwirkung zwischen schöpferischem Akt und der Vervielfältigung der materiellen Welt fortschreitet. Modern ausgedrückt: Das kreative Vermögen der Menschen bewirkt eine aufsteigende Entwicklungslinie wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Diese Entwicklungslinie als Ausdruck des Seins zu begreifen und nicht als "Entfremdung" vom Sein - oder nach Heidegger als "Entlebung" (vielleicht dachte er an Entleibung) - , das ist eine der großen denkerischen Leistungen Platons.
Um etwas in der physischen Realität zu bewirken, braucht man außer der schöpferischen Kraft des Geistes auch die physische Kraft des Feuers, das nach griechischer Mythologie von Prometheus den Menschen gegeben wurde. Damit kommen wir zurück zum Thema der Technik - und wie Platon damit im Gegensatz zu Heidegger umgegangen ist.
Die Sophisten (heute und in der Antike) haben in der Tat den alten Prometheus-Mythos kultiviert, wonach dieser Gott ein ziemlich windiger Kerl war. Der Sophist Protagoras (alias Ralf Dahrendorf) erzählt davon in Platons diesbezüglichem Dialog: Der schlaue, listige Prometheus habe einen ganz gewöhnlichen Diebstahl begangen, indem er Zeus das Feuer entwendete. Zur Strafe wurde er bekanntlich an einen Felsen im Kaukasus gekettet und mußte ein elendes Dasein fristen, indem ein Adler seine Leber verspeiste.
Ganz anders erscheint Prometheus in der Tragödie des Aischylos. Hier ist er der Revolutionär, der die oligarchische Herrschaft des Zeus gebrochen hat, indem er den Menschen das Feuer gab. Damit konnten sich die Menschen von der Herrschaft durch die Naturgewalten und gleichzeitig von der Willkürherrschaft der Götter befreien.
Das ist natürlich eine gänzlich andere Version und hat entscheidende Bedeutung für unsere Problemstellung. Wenn die Möglichkeit, das Feuer zu nutzen, die Folge eines gewöhnlichen Diebstahls ist, dann gehört uns das Feuer eigentlich nicht, wir können dann auch gar nicht richtig damit umgehen. Und wie Prometheus Zeus hintergangen hat, so hintergehen wir bzw. betrügen wir mit der Anwendung des Feuers die Natur. Das läge durchaus auf der Linie Heideggers - indem wir uns von der "Aletheia" (der "unverborgenen Wahrheit") entfernt haben und die Natur vergewaltigen oder überlisten, hintergehen und zerstören wir alles: die Natur, uns selbst und das "Sein". Die Verfallsgeschichte hätte mit dem Diebstahl des Prometheus begonnen.
Platon hat diese Version in seinem Dialog Philebos entkräftet - ein weiterer Grund für Heidegger, ihn zu diskreditieren. Sokrates diskutiert im Philebos mit Protarchos und Philebos über das Gute und den Weg zur vernunftgemäßen Erkenntnis. Meist werde in den Reden alles durcheinander geworfen, das Eine und das Viele - und die Jünglinge verlangen von Sokrates, daß er ihnen einen Weg aus dieser Verwirrung zeige. Sokrates gibt ihnen zunächst ein Rätsel auf: "...einen schöneren Weg gibt es nicht und kann es nicht geben als diesen, den ich zwar immer liebe, oft aber auch schon, wenn ich ihn verloren hatte, ließ er mich in der Irre und ratlos zurück." (Phil.16b 6ff.)
Ungeduldig wollen die Beteiligten des Gesprächs wissen, welchen Weg zur Erkenntnis Sokrates damit meint. Eine Gabe der Götter an die Menschen sei dieser Weg - und: "...er ward von irgendwelchem Göttersitz durch irgendeinen Prometheus herabgebracht, umstrahlt vom hellsten Feuerglanz." (Phil.16c 6ff.)
Im weiteren bezeichnet Sokrates dieses Geschenk der Götter als den "Weg der Forschung, des Lernens und der gegenseitigen Belehrung" über die Verbindung und Zusammenhänge von Einem und Vielem, von Endlichem und Unendlichem, Begrenztem und Unbegrenztem. Erneut behandelt er also hier die Wissenschaft der Dialektik.
Das ist nun wahrlich eine überraschende Wende. Das Feuer des Prometheus ist quasi nur ein "Nebenprodukt" des eigentlichen Geschenks, des Wegs zur Erkenntnis (des Guten). Das Göttergeschenk der Erkenntnisfähigkeit wird umstrahlt vom hellsten Feuerglanz. In dieser Metapher liegt der Schlüssel zum platonischen Verständnis der Technik. Das Feuer als materielle Kraft und das "Licht der Erkenntnis" bilden eine Einheit! Die Götter hätten uns das Feuer gar nicht ohne die Erkenntnis zu seinem vernunftgemäßen "Gebrauch" geschickt. Die Kraft, das Vermögen zu wirken ist uns in der Einheit mit wissenschaftlicher Erkenntnis über unser eigenes Denken gegeben. Diese Einheit bezeichnen wir als schöpferische Vernunft.
Der Sophist Protagoras trennt die prometheische Kunst des Feuergebrauchs deshalb radikal von der "staatsbürgerlichen Tugend". Prometheus habe zwar mit dem Feuer die zum Überleben nötige Einsicht gebracht, aber die staatsbürgerliche Einsicht fehlte. Protagoras erzählt weiter, daß ausgerechnet der oberste Oligarch Zeus durch seinen Boten Hermes diese Tugend "nachgesandt" habe. Diese "Tugend" sei an alle Menschen verteilt worden, deswegen könnten bei Fragen der Gerechtigkeit und Besonnenheit im Staat auch alle demokratisch mitreden, während die Baukunst oder ein jedwedes Handwerk nur von wenigen Fachleuten beherrscht werde. Die sophistische Unterscheidung zwischen Fachwissen und staatsbürgerlicher Tugend wird von Platon in seinem Technik-Begriff zurückgewiesen.
Platon bezeichnet die techne auch als Meßkunst. Das richtige Maß zu finden ist für die Gerechtigkeit im Staat genauso wichtig wie bei der Herstellung eines Schuhs, einer Flöte oder eines Bettgestells. Wissen um das richtige Maß, Erkenntnis der Proportionen sind für Platon die Grundlage der Geometrie und Astronomie, der Handwerkskunst genauso wie der Staatskunst. Das Handwerk des Politikers ist die Herstellung des Guten im Staate. Um dieses "Politiker-Handwerk" ausüben zu können, braucht der Staatsmann genauso gesichertes Wissen wie der Schuster oder jedweder andere Handwerker. Zu einem Schuster, der Sohle und Oberleder verwechselt, würden wir nicht mehr gehen - warum also lassen wir uns von Politikern regieren, die, ihrer Sache unkundig, das Gute mit dem Schädlichen, das Gerechte mit dem Ungerechten verwechseln?
Wird dies nicht auch ein Sophist zugestehen? Hat denn Protagoras nicht recht, wenn er das Erlernen der staatsbürgerlichen Tugend für wichtiger erachtet als das Erlernen einer technischen Fähigkeit? Denn schließlich sind die Katastrophen, Kriege und Krisen der menschlichen Zivilisation nicht durch Techniker und Ingenieure verhindert worden, die haben eher noch "mitgespielt". Brauchen wir nicht vielmehr den klugen, tugendhaften Staatsmann und ebensolchen Staatsbürger, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen? Ist in diesem Sinn die Tugend nicht auch eine Frage nach dem richtigen Maß? Woran sollen wir sie aber messen? Was ist der Maßstab für den Erfolg oder die Richtigkeit unseres Handelns?
Die sokratische Metapher des Handwerkers ist ja keineswegs banal. Die Arbeit des Schusters oder des Tischlers kann ich am Endprodukt Schuh oder Tisch messen. Ich weiß damit, ob diese Handwerker über wirkliches Wissen oder nur Scheinwissen verfügen. Derselben Rigorosität muß sich auf Nachfragen auch der Politiker stellen. Es ist diese Rigorosität im Politischen, welche die Sophisten innerlich zornesrot anlaufen läßt. Sie zürnen der sokratischen "Arroganz", die in Wahrheit nichts anderes als klares, folgerichtiges Denken ist. Sie müssen jedoch ihr Scheinwissen gegenüber wirklichem Wissen verteidigen. Protagoras macht dies im Gespräch mit Sokrates sehr deutlich.
Auf die sokratische Frage nach der sophistischen Kunst legt er dar, daß nur die Sophisten die Jugend wirklich ausbilden, denn "die anderen treiben ein schädliches Spiel mit den jungen Leuten. Denn eben erst den Künsten des Schulwissens glücklich entronnen, werden die Jünglinge durch sie wider Willen wieder in diese Fachkünste zurückgeworfen und müssen es sich gefallen lassen, in Rechenkunst, Astronomie, Geometrie und Musik unterrichtet zu werden... was aber bei mir erlernt wird, ist Wohlberatenheit einerseits in den persönlichen Angelegenheiten, also Kunde dessen, wie das Haus am besten verwaltet wird, andererseits in den öffentlichen Angelegenheiten, also die möglichst große Befähigung, die Staatsangelegenheiten durch Wort und Tat zu leiten." (Prot. 318e)
Heute erleben wir gerade eine neuerliche Blüte des Sophismus: Da gründen Menschen eine "Initiative Neue soziale Marktwirtschaft" (INSM), um das Soziale aus der Wirtschaft zu vertilgen. Da treten forsche Jungpolitiker auf und definieren die Gerechtigkeit neu - danach sei es gerecht, die Renten und Gesundheitsausgaben für die älteren Menschen zu kürzen, damit die heutige Jugend nicht die "Lasten der Vergangenheit" zu tragen habe.
Die Sophistik zeichnet sich dadurch aus, nicht überprüfbar zu sein! Jenseits aller systematischen Wahrheitsansprüche ignoriert sie auch das spezifische Wissen und propagiert eine Art universeller "Überlebenskunst", die von Anpassungsfähigkeit und flexibler Geschicklichkeit statt von Erkenntnis und jahrelang erworbenem Wissen getragen ist. Deswegen kann sich auch der Sophist Hippias hinstellen und behaupten, er sei Meister in allen Handwerken sowie auch der Dichtkunst und der Redekunst. Diese aufgetragene Zurschaustellung seines "Wissens" wird von Platon in ironischer Weise als Metapher für sein eigentliches Scheinwissen benutzt.
Fühlen wir uns nicht wiederum erinnert an unser heutiges Zeitalter, in dem uns unter dem Deckmantel des "lebenslangen Lernens" zugemutet wird, verfüg- und verschiebbare Arbeitskraft überall dort zu sein, wo es in der Globalisierung überhaupt noch etwas zu arbeiten gibt. Gefragt wird nicht nach unserer Qualifikation, sondern nach unserer Anpassungsfähigkeit, was nicht zuletzt auch materiellen Verzicht beinhaltet.
Die sophistische Frivolität besteht nun darin, als Konsequenz der Ablehnung wirklichen Wissens den Umgang mit dem Feuer oder allgemein der Technik als gefährlich zu brandmarken, während der Umgang mit Menschen im Staat ihnen scheinbar keine Sorge macht, obwohl ja auch hier kein sicheres Wissen über den guten oder schlechten Staat existiert.
Wissen wird durch den Begriff "Tugend" ersetzt. Wie aber können wir ohne ein sicheres Maß die Tugend erlernen, könnten wir mit Sokrates fragen. Es war eben damals genauso wie heute: Der Maßstab für den Erfolg der sophistischen "Technik" oder "Kunst" war und ist das Geld!
Im Dialog Hippias der Größere zeigt Sokrates sein Erstaunen über die großen Fortschritte in der sophistischen Kunst, gemessen daran, wie "reichliche Gelder Gorgias mit nach Hause genommen hat". Der Sophist Hippias fällt in seiner Eitelkeit auf das sokratische "Staunen" herein: "Wenn du wüßtest, wieviel Geld ich verdient habe, würdest du (noch mehr) staunen... Und, täusche ich mich nicht, so habe ich mehr Geld verdient als irgend zwei beliebige Sophisten zusammengenommen." (Hipp.Mai. 282d 6ff.)
Wissen und Erkenntnis werden nach ihrem "Erfolg" beurteilt, und dieser mißt sich in Geld. Der Markt bestimmt den Gang der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Entwicklung - nicht das Streben nach Erkenntnis, das zielgerichtete Handeln nach dem Guten. Naturwissenschaft und Technik setzen einen anderen Maßstab - sie zwingen, richtig verstanden und ausgeübt, den Menschen dazu, sich der Erforschung der Gesetzmäßigkeiten im Universum zu widmen. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, daß auch sie unter die Herrschaft des Geldes geraten können. Allerdings wird dies irgendwann überprüfbar im Schaden für die Menschheit - man spricht dann davon, daß sich die Natur räche. Man meint in Wirklichkeit nicht die Natur, sondern die Gesetze des physischen Universums, denen auch unser Geist unterliegt.
Die Sophisten sind aufgeklärt, pragmatisch, gewinnorientiert; Technik fordert heraus, Rechenschaft abzulegen, da wird aus dem Spiel ernst. Technik zwingt uns, über den Tag hinauszudenken, Verantwortung zu übernehmen für die Zukunft - die Sophisten aber leben dem Augenblick. Wir kennen diese Typen - sie sind heute allgegenwärtig, man trifft sie unter Managern, Finanzberatern, Politikern, Journalisten und überall dort, wo junge Leuten gierig nach Erfolg und ewigem Jungbrunnen mehr wert auf die Ausbildung der Ellbogen als des Verstandes legen.
Der Maßstab für den Erfolg der Sophisten heißt also Geld. Der Fortschritt der Technik bringt zunächst nie Geld, sondern viel Arbeit und Mißerfolg. Der lange Atem des Erfinders stützt sich auf seine geistige, ideelle Mission. Er wird sich an Platon orientieren, dessen Maßstab die Suche nach dem Guten ist.
Wie wir am Beispiel der Dialoge Sophistes und Philebos gesehen haben, definiert Platon das Sein als Wechselwirkung zwischen schöpferischem Geist und Formung der Materie. Die Kunst/Technik ist also auf dieses Sein, diesen dynamischen Entwicklungsprozeß gerichtet. Insofern weisen auch die häufigen "Handwerkergleichnisse", die Sokrates in vielen Dialogen einsetzt, selbstverständlich über das reine Fachwissen des Handwerkers hinaus. Wenn es zwar einerseits stimmt, daß der Politiker mindestens sein Handwerk so redlich und ohne Pfusch betreiben sollte wie der Schmied oder Schuster, dann zeigt uns Platon im 10. Buch Vom Staat (Politeia), daß hinter jedwedem spezifischen Fachwissen eine ganz andere Dimension liegt: die Nachahmung der göttlichen Kunst. Die Handwerker blicken auf die Ur-Form (Idee), die der göttliche Werkmeister geschaffen hat und formen danach den Tisch, das Bettgestell, eine Flöte etc. Der Mensch also hat Anteil am Schöpfungsprozeß - seine dynamis, seine geistige, kreative Kraft zu wirken, befähigt ihn, den "Tausendkünstler" nachzuahmen, der "nicht nur alle Geschöpfe hervorbringt, sondern auch sich selbst, und außerdem Erde, Himmel und alles, was am Himmel ist und was unter der Erde im Hades ist". Damit wird in Platons Staat auch die Frage nach dem Guten beantwortet.
Die Frage nach der Technik ist in Wahrheit die Frage nach dem Guten und damit eine Frage nach der Absicht unseres Handelns. Es geht nicht um Befürwortung oder Verneinung der Technik, um Groß- oder Kleintechnik, saubere oder schmutzige Technik, sondern um die Absicht der "dynamis". Worauf richten wir unsere Kraft zu wirken? Um die Erkenntnis über unser Universum und damit auch umgekehrt über unser eigenes Einwirken auf das Universum - darunter fällt auch politisches und wirtschaftliches Handeln - zu vervollkommnen, brauchen wir technische Hilfsmittel. Um mehr Gerechtigkeit auf globaler Ebene zu schaffen, also allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser, ausreichend Energie, Nahrung und Gesundheit zu ermöglichen, brauchen wir technischen Fortschritt.
Diese Fragen interessieren einen Heidegger und auch die Sophisten nicht. Das Gute existiert für sie weder in bezug auf die Technik noch hinsichtlich der Staatskunst! Die dynamis als schöpferische Kraft zu wirken ist ihnen deswegen "unheimlich", sie wollen diese menschlichste aller menschlichen Eigenschaften unterdrücken. Sie greifen die Technik an, zielen aber in Wirklichkeit auf die menschliche Schöpferkraft.
War Heidegger aber ein Sophist? Tut man ihm nicht unrecht, indem man ihn auf die gleiche Stufe mit dieser Schule oberflächlichen Scheinwissens stellt? Zunächst einmal sind doch interessante Parallelen zwischen der antiken und der modernen geistigen Kultur erkennbar. Der von Heidegger so gepriesene Parmenides lieferte mit seiner Parallelwelt des Scheins die perfekte Steilvorlage für die Sophisten. Wenn die alltägliche Welt der doxa die des Scheinwissens, der Meinungen und Fehlurteile ist, dann war es doch nur folgerichtig, sich pragmatisch in dieser Scheinwelt mit dem richtigen Gebrauch des Scheinwissens einzurichten. Wenn das wahre Sein - entrückt, unbeweglich, unveränderlich, unfruchtbar - für uns ohnehin unerreichbar ist, dann wird zum Maßstab unseres Erfolgs als sterbliche Wesen eben Geld und Wohlleben.
Hat nicht auch Heidegger durch die Zertrümmerung der alten Metaphysik und die Rückbesinnung auf das Existentiale, d.h. die Banalität des "Daseins" und des Alltags den heutigen Sophisten den Weg geebnet? Statt in Heideggers "Verfallsgeschichte des Seins" langsam auch zu vergehen, wurde man pragmatisch und plante seine Karriere. Statt "überflüssige" Fragen nach Sein, Gerechtigkeit und dem Guten zu stellen, paßte man sich an, um das persönliche Wohlergehen nicht zu gefährden. Gab also Heidegger die moderne Steilvorlage für die modernen Sophisten? Man kann dies so sehen.
Ganz abgesehen davon, daß Heidegger selbst ein fulminanter Sophist war. Wie ist sonst jemand zu bezeichnen, der die mechanisierte Landwirtschaft mit einem KZ vergleicht?
Wie wir in dieser kulturgeschichtlichen Konfrontation zwischen Heidegger und Platon gesehen haben, sind die Fragen nach der Technik nicht technisch, sondern nur ontologisch zu beantworten.
In seinem letzten Werk, den Gesetzen (Nomoi), entwickelt Platon diesen Zusammenhang - wir würden sagen den Zusammenhang zwischen Gemeinwohl und Technik - noch einmal in wunderbarer Weise. Im 10. Buch der Gesetze stellt er die Frage, ob die Gesetze von Natur, durch Zufall oder durch Kunst entstanden seien. Notwendig führt diese Fragestellung weiter zur Untersuchung über das Verhältnis zwischen Kunst und Natur. Materialisten, Sophisten und Atomisten gingen davon aus, das physische Universum mit allem Lebenden sei aus "natürlicher", d.h. materieller Ursache entstanden (Feuer, Wasser, Erde, Luft z.B.) - demzufolge sei "die Welt also nicht das Werk der Vernunft, eines Gottes oder der Kunst, sondern der Natur und des Zufalls. Die Kunst dagegen sei erst später aus diesen natürlichen Gebilden entstanden und habe, selbst sterblich und durch Sterbliche entstanden, späterhin Dinge hervorgebracht, die im Grunde nichts seien als Spielereien und mit der Wahrheit wenig zu schaffen haben, sondern dem Wesen der Kunst entsprechend eben nur Bilder seien." (Nom.889 29ff.)
Die Gesetzgebung sei nach dieser Ansicht auch ein Werk der Kunst und nicht der Natur, weswegen die Gesetze und ihre Satzungen der eigentlichen Wahrheit entbehrten! Platon läßt den Athener deutlich die Folge dieser Auffassung darlegen: "Und was vollends das Recht anbelange, so gebe es von Natur gar keines, sondern ewig lägen die Menschen darüber miteinander im Streit und bestimmten es bald so, bald wieder anders... das ist es, meine Freunde, was den jungen Leuten als geistige Kost von Seiten weiser Männer dargeboten wird, die in Prosa und Versen behaupten, das Gerechteste sei das, was einer sich durch siegreiche Gewalt zu erzwingen weiß." (Nom. 889 60ff.)
Das tyrannische Recht des Stärkeren wurzelt also in der Auffassung einer "vernunftlosen, materiellen Natur". Platon stellt dem erneut seinen Begriff der "Technik" gegenüber - die menschliche und die göttliche Kunst, die vor allen Naturschöpfungen existiert hat: "...das Große und Ursprüngliche sind Werke und Leistungen der Kunst und sind das erste, während das, was man fälschlich als Naturschöpfungen und als Natur selbst bezeichnet, erst etwas späteres, unter Leitung der Kunst und Vernunft Entstandenes ist". (Nom. 892 17ff.) Die Kunst/Technik aber ist eine Schöpfung der Seele, die "zuerst" vorhanden war: "Wenn sich aber herausstellen sollte, daß die Seele das erste ist und daß nicht Feuer oder Luft, sondern eben die Seele das Ursprünglichste ist, so wird man mit vollstem Recht gerade ihr den besonderen Vorzug zuerkennen, von Natur zu sein." (Nom. 892 24ff.)
Von diesem Gedanken schwingt sich Platon zu einer poetisch wundervollen Betrachtung über die Seele auf, die als "sich selbst bewegende Kraft" den Himmel regiert. Da der "gesamte Gang und Verlauf der Himmelsbewegung sowie die Bewegung aller Himmelskörper von ähnlicher Art ist wie die Bewegung und der Kreisumlauf der Vernunft", (Nom. 897 29f.) leitet Platon das Recht von diesem "himmlischen Recht" der Übereinstimmung der Himmelsbewegungen und der Seelenbewegung ab. Um also das "himmlische Recht" zu verstehen, brauchen wir sowohl Kenntnisse in der Seelenkunde wie in der Astronomie, Theologie und Geometrie!
Noch einmal verweist Platon auf das "Feuer der Erkenntnis" und die daraus folgende Beherrschung des "natürlichen" Feuers als Voraussetzung der Möglichkeit des gerechten Staates. Ohne den Maßstab des Wissens und seiner Anwendung droht die willkürliche Auslegung der Gesetze, die zur Tyrannei führt - eine höchst aktuelle Einsicht und die Widerlegung der falschen Heideggerschen Interpretation des altgriechischen Technikbegriffs! Die Technik ist eben nicht das "Entbergen" der Natur, sondern die Natur selbst ist überhaupt erst durch die Schöpferkraft des Geistes entstanden! Die Handwerker borgen die Urbilder ihrer Werke nicht aus der Natur, sondern vom göttlichen Künstler!
Schließlich heißt es in den Nomoi: "Der königliche Herrscher entwarf einen Plan darüber, ...wo ein jeder Teil seinen Platz haben müßte, um so wirklich, so leicht, so unfehlbar wie möglich der Tugend in dem Weltganzen zum Siege zu verhelfen, der Schlechtigkeit aber die Niederlage zu bereiten." (Nom.904 16ff.)
Die Frage nach der Technik und der Kunst führte Platon hier in seinem letzten Werk zu Ideen und Formulierungen, die beinahe identisch mit Leibnizens Konzept der "prästabilierten Harmonie" sind, das 2000 Jahre später von unserem Universalgelehrten ausgearbeitet wurde.
1. Heidegger hat den griechischen Begriff techne falsch ausgelegt, um die Natur über den schöpferischen Geist zu stellen.
2. Die Technikfeindlichkeit Heideggers und der 68er diente als Feigenblatt dafür, daß sie den Wahrheitsbegriff im Politischen ablehnen.
3. Ihre Philosophie ist wie der Sophismus auf Scheinwissen gegründet. Um dieses zu verteidigen, richteten sie ihre Attacken auf das wirkliche Wissen.
4. Die Folge davon ist die immer wiederkehrende Gefahr von Willkür- und Gewaltherrschaft.
5. Die Technik ist selbst nicht das "hellste Feuer", ist nicht das Gute selbst - aber ohne die Macht der schöpferischen Vernunft, die sich u.a. in der Weiterentwicklung der Technik manifestiert, wird das Gute niemals erreichbar.
Wenn wir die heutige Krise der globalen Ökonomie und der Zivilisation meistern wollen, dann müssen wir nach dem Guten streben, und dazu gehört der technisch-wissenschaftliche Fortschritt. Deswegen wird es höchste Zeit, Heideggers Pathologien endlich hinter uns zu lassen. Wenn er uns auffordern möchte, zu Parmenides zurückzugehen, dann halten wir dem entgegen: vorwärts zu Platon.
Anmerkungen:
1. Zit. nach Edelgard Spaude: Große Themen Martin Heideggers, Freiburg 1990, S.112.
2. Ebenda.
3. Ebenda. S.120
4. Ebenda. S.126
5. Zit. nach Thomas Rentsch: Martin Heidegger - Das Sein und der Tod, München 1989, S.92
6. Zit. nach Paul Friedländer, Platon, Berlin 1964, S. 239ff.
Literatur:
Platon: Die Sophisten, Philebos, Politeia und Nomoi.
Dirko Thomsen: "Techne" als Metapher und als Begriff der sittlichen Einsicht, 1990.
Wolfgang Schadewaldt: Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen, 1985.
Markus Joachim Brach: Heidegger - Platon, 1993.
Zurück zur Kultur-Hauptseite: