September 2003:
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Energieversorgung ist Gemeinwohlaufgabe

Stromerzeugung in Deutschland Daß der Strom nur bedingt aus der Steckdose kommt, haben in diesem Sommer speziell die Amerikaner gemerkt. Auch Europa ist an einem Zusammenbruch der Versorgung vorbeigeschrammt und wenn nicht ausgerechnet ärmere Länder eingesprungen wären, dann wäre mancher grüne Yuppie ins Schwitzen gekommen, der seither dachte, man könne mit künstlich erzeugtem Mangel wie in den USA "Kasse machen".

Der kettenreaktionsartige Stromausfall im amerikanischen Osten, von dem mehr als 50 Millionen Amerikaner (das entspräche der Bevölkerung Frankreichs) betroffen waren, enthält eine klare Warnung: Mit der Vorherrschaft der Deregulierer und Einsparpolitiker in der Energiepolitik muß jetzt Schluß sein! Eine moderne und führende Industrienation kann es sich nicht leisten, wie die USA in den vergangenen zehn Jahren, die Versorgung mit Strom ständig am Rande der Knappheit zu halten.

In den USA ist diese Art von "Energiepolitik" nach Freimarktregeln ins Extrem getrieben worden, aber auch Europa ist bereits auf dem Wege dahin. Auch hier hat sich die Vorstellung in den Köpfen der Energiepolitiker (besonders bei Grünen) festgesetzt, es gäbe "Überkapazitäten", man brauche nichts Neues dazubauen, man bekomme ja Strom anderswo in Europa, wenn es einmal knapp werde. Die Hitzewelle, unter der Europa mehr als drei Wochen lang litt, hat gezeigt, daß selbst Frankreich ohne zusätzlichen Strom aus Spanien seinen akut gewachsenen Bedarf nicht hätte decken können; und Spanien mußte Strom aus Marokko dazukaufen. Nur gut, daß Marokko Überschüsse hatte.

Die amerikanische Krise hat glücklicherweise einen Schock in Europa ausgelöst, der zum Nachdenken über den angeblichen Sinn von "Deregulierung" und "Privatisierung" führt, und ganz plötzlich erscheint der "freie Markt" weniger wichtig als die "Energiesicherheit". Die Europäische Union könnte die Versorgung ihrer Bürger und ihrer Industrien mit Energie auf lange Sicht sicherstellen, indem sie jetzt endlich das seit Oktober 2000 verhandelte Abkommen über eine strategische Energiepartnerschaft mit Rußland unterzeichnet. Die Unterzeichnung dieses Abkommens über garantierte Lieferungen von Gas und Erdöl aus Rußland zu kalkulierbaren Preisen über 20 Jahre (oder länger) gehört zu den Dingen, welche Italien, das derzeit die EU-Präsidentschaft innehat, im zweiten Halbjahr 2003 unbedingt abschließen möchte. Vorgesehen dazu ist der EU-Rußland-Gipfel in Rom im November, und die europäische Gegenleistungen für russische Langzeitlieferungen bestehen in Investitionen in die Energiewirtschaft Rußlands und das Pipelinenetz, über das Europa aus den Tausende von Kilometern entfernten Vorkommen in Sibirien versorgt wird.

Aber nicht nur in Rußland und in der Ukraine müssen neue Pipelines, Förderanlagen und Kraftwerke errichtet werden: Auch Deutschland muß ab 2010 neue Kraftwerke bauen, und da muß dem rot-grünen Spuk, dem es zu verdanken ist, daß seit mehr als 20 Jahren kein neues Kernkraftwerk gebaut wurde, endlich ein Ende gemacht werden. Eine Energieversorgung allein auf der Basis von Erdgas und Erdöl ist zu teuer, auf der Basis von Sonnen- und Windkraft sogar unbezahlbar. Ohne Kernkraft geht es nicht, das hat auch der russische Wirtschaftsminister German Gref vor kurzem bei einem Besuch in Obninsk bekräftigt - jener Stadt, in der 1953 der erste zivile russische Kernreaktor in Betrieb ging. Gref erwähnte dabei den erfolgreichen Abschluß der Arbeiten an einem kleinen Atomreaktor, mit dem sich Städte künftig billiger und sicherer versorgen ließen als mit der heute vorherrschenden Erdgas- und Erdölwirtschaft. Ohnehin sind Gas und Öl als petrochemische Rohstoffe viel zu wertvoll, um für die Zwecke der Industrie und der Privathaushalte verbrannt zu werden. Uran ist als Brennstoff viel effizienter, sicherer zu handhaben, im Endeffekt billiger und wird anders als Gas und vor allem Öl auch in 100 oder 200 Jahren noch ausreichend vorhanden sein. Für die deutsche Energiedebatte ist neben den Anregungen aus Rußland wichtig, wie man im Heimatland der Energiederegulierung, England nämlich, die Dinge sieht. Am 18. August attackierte Alec Broers, Präsident der Royal Academy of Engineering, im Interview mit der Times die Pläne der Regierung, bis zum Jahr 2020 ein Fünftel der britischen Energieversorgung mit "regenerativen" Energieträgern wie Wind, Sonne oder Erdwärme zu betreiben, als vollkommen unrealistisch. Was England vielmehr brauche, so Broers, ist eine neue technische Generation von Atomkraftwerken, alle anderen "alternativen" Vorstellungen führten in ein riesiges Glücksspiel um die Energiefrage. "Wir müssen an der Kernfusion forschen, wo die ungelösten ingenieurtechnischen Probleme noch enorm sind", sagte Broers außerdem. "Aber bis wir die Fusion beherrschen, ist herkömmliche Kernkraft die beste Wahl. Es gibt da keine fundamentalen Versorgungsprobleme. Atomkraft bleibt für unseren Energiebedarf sehr wichtig. Ich unterstütze voll und ganz die ernsthafte Fortsetzung der Nuklearenergieforschung." Broers sprach weiterhin an, was auch für Deutschland gilt: Englands Forschung gerät in Gefahr, bei fortgesetzter Vernachlässigung der Atomtechnik sein ingenieurtechnisches Wissen und Kapazitäten zu verlieren.

"Wir haben einmal über eine Menge Fachwissen in der Atomtechnik verfügt, und darum müssen wir uns kümmern. Wenn erst einmal die Entscheidung (für Atom) kommt, dann müssen wir sicher sein, daß wir nicht ohne die Fachleute und ihre Kenntnisse dastehen," warnte Broers. Zwei weitere internationale Initiativen der Energiepolitik sollten nicht unerwähnt bleiben: die Verhandlungen zwischen Rußland und Saudi-Arabien und ein venezolanisches Angebot zur Kooperation mit Rußland. Anläßlich des Moskaubesuchs des saudischen Kronprinzen Abdullah im September wird es zur Unterzeichnung mehrerer Abkommen zur Zusammenarbeit kommen. Vorgesehen sind einerseits umfangreiche saudische Investitionen in die russische Energieindustrie, im Gegenzug dazu umfangreiche russische Lieferungen von Technik für den Mineralbergbau, Erdöl- und Erdgasförderung, Straßen- und Bahnbau. Die beiden führenden Erdölförderländer der Welt wollen sich weiterhin auf einen Erdölverkaufspreis von 22 bis 28 Dollar pro Faß und längerfristige Abkommen mit wichtigen Verbrauchernationen entlang der Formel "Technik gegen Öl" verständigen.

Aus Venezuela, dem führenden Erdölförderland der westlichen Welthälfte, liegt ein Angebot an Rußland vor, demzufolge die Russen einen Teil ihres Exportrohöls in europäischen Raffinerien, an denen Venezuela Anteile hält (wie Veba-Öl in Gelsenkirchen), veredeln lassen. Der Vorteil für die Venezolaner liegt darin, daß sie ihre beträchtlichen Kapazitäten in der Raffineriewirtschaft dann voll auslasten und ihre als zu stark empfundene Abhängigkeit vom amerikanischen Energiemarkt vermindern können. Für die Russen böte das Angebot aus Venezuela den Vorteil, einen größeren Anteil ihrer Exporte von Rohöl auf veredelte Erdölprodukte umzustellen, was auch größere Einnahmen bedeuten würde.

Die Abkommen zwischen Rußland, Saudi-Arabien und Venezuela bieten auch Vorteile für die Europäer, die deshalb das ihrige tun sollten, um diese Kooperation zustandezubringen. War dies schon vor dem jüngsten Stromausfall in den USA wichtig, so steht es nun noch weiter oben auf der energiepolitischen Tagesordnung.


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