| Oktober 2003: |
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Lyndon LaRouches historischer Essay "Atomkrieg - wann?" hat bereits eine hochinteressante Diskussion entfacht.
Im Bild die Schrift Friedrich Schillers, auf die sich die nachfolgende Recherche bezieht: Der Geisterseher.
L. LaRouche nennt in seinem oben erwähnten Essay als Vorläufer des modernen Synarchismus die reaktionäre Freimaurersekte der Martinisten. H. Böttiger und G. Liebig beziehen sich in ihren Anmerkungen zum Synarchismus auf Friedrich Schillers 1786-88 entstandene Novelle "Der Geisterseher".
Schillers Novelle hat folgenden politischen Hintergrund: Nach der Loslösung der amerikanischen Kolonien vom britischen Königreich 1776 gründeten die Vereinigten Staaten von Amerika sich als erste unabhängige Republik. Die Oligarchie in Europa setzte eine Gegenoperation in Gang, um zu verhindern, daß dieses Beispiel auf den alten Kontinent zurückwirkte. Im Rahmen dieser ideologischen und geheimdienstlichen Bemühungen wurden u.a. zwei deutsche Prinzen, nämlich Friedrich Eugen von Württemberg sowie der Neffe und Thronfolger Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm II., der 1786 preußischer König wurde, gezielt von einer reaktionären, freimaurerischen Verschwörerclique "bearbeitet" und in Richtung einer spiritistisch-romantisch-ultramontanen Ideologie manipuliert. Im Falle des Berliner Thronfolgers spielte dabei ein gewisser Graf Haugwitz (1752-1832) eine zentrale Rolle, der eine Zeitlang die Außenpolitik des Berliner Hofes kontrollierte und später zu den Gegenspielern der preußischen Reformer, insbesondere des Freiherrn vom Stein, gehörte.
Der französische Autor Henri Brunschwig berichtete 1947 in seinem Buch Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert (Ullstein, 1976):
"Friedrich Wilhelm II. ist ein Feind der Aufklärung... und gelangt mit 42 Jahren auf den Thron [1786]... Seine Berater sind zwei Männer... Der erste, Hans-Christoph Wöllner, einst Pfarrer und zum Intendanten aufgestiegen,... ist in erster Linie Karrieremacher... Friedrich II. [,der Große'] weigert sich, ... diesen 'arglistigen und intriganten Pfafen' in den Adelsstand zu erheben.
Da begegnet er dem Oberst J.R. von Bischoffwerder. Dieser hat in Bayern den Erbfolgekrieg [1778/79] mit dem Erbprinzen geführt und ist Rosenkreutzer. Eines Abends fühlte er [der Erbprinz] in seinem Lagerzelt in Schatzlar/Böhmen eine unsichtbare Hand auf seiner Schulter, während eine unbekannte Stimme flüstert: 'Jesus Christus'. Seit diesem Tag erscheinen ihm öfter Geister und er vertraut sich Bischoffwerder an, der nie sehr weit entfernt ist.
Wöllner versteht es, aus der Religion des Prinzen Nutzen zu ziehen... Er will die Macht... Er konvertiert unverzüglich, gründet in Berlin die Rosenkreutzerloge 'Friedrich zum Goldenen Löwen' und wirbt Bischoffwerder, der dem Prinzen geschickt seinen Wunsch vorträgt, zugelassen zu werden: Letzteren empfangen die beiden Gevatter am 8. August 1781 feierlich unter dem Namen Ormesus. Sie machen ihm Hoffnung auf schnellen Zugang zu den höchsten Auszeichnungen und auf die Kenntnis der vom Orden verborgen gehaltenen Geheimnisse. Kaum zwei Monate nach der Thronbesteigung wird Wöllner am 20. Oktober 1786 in den Adelsstand erhoben.
Danach startet eine großangelegte Offensive gegen die Aufklärung. Die Gunst des Königs läßt sich keinen Augenblick verleugnen... seine Leichtgläubigkeit ist so ungeheuer, daß man ihm die unmöglichsten Komödien vorspielen kann." (S.269)
Brunschwig beschreibt nun die eigens organisierten spiritistischen Sitzungen zur Beeinflussung des Königs, u.a. zwecks Durchsetzung des Vertrages von Reichenbach, womit die Feindschaft der vergangenen Jahrzehnte zwischen Preußen und Österreich überwunden werden soll, um nun eine gemeinsame Front gegen das revolutionäre Frankreich bilden zu können. In diesen Sitzungen wird über ein Medium "Verbindung zu Gott" aufgenommen.
Brunschwig berichtet: "Der König ist [von der spiritistischen Sitzung] sehr beeindruckt und versammelt am 10. September erneut dieselben Personen, dazu Haugwitz, den Prinzen von Württemberg und seinen Berater Hillmer. Gott stimmt dem Vertrag von Reichenbach zu; er rät dem König, sich vor seinen Feinden in acht zu nehmen und sich Bischoffwerder wie auch allen Anwesenden anzuschließen, die ihn aufrichtig lieben."
Johann Heinrich Voss, der in Schillers letzten Lebensjahren mit diesem in Weimar und Jena direkt verkehrte, beleuchtet in einem Aufsatz mit dem Titel "Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier", der 1819 in der Zeitschrift Sophronizon erschien, die Vorgeschichte der Stolbergschen Konversion zum Katholizismus. (Heinrich Heine bezieht sich auf Voss und diesen Aufsatz in der Romantischen Schule, 1. Buch - die Kurzform "Fritz" im Titel steht für "Friedrich Leopold" Stolberg.) Voss schreibt u.a.:
"Uns Bundesfreunde hatte Schönborn, der im Jahr 1773 durch Göttingen als Dänischer Consul nach Algier ging, zur Freimaurerei beredet. Ich, im folgenden Jahr zu Hamburg, von Klopstock und Büsch, die ich um Rath fragte, nicht abgemahnt, und durch Lessings gerühmten Vorgang sicher gemacht, ließ mich aufnehmen, mit der ausdrücklichen Bedingung: Geistesfreiheit! Die Sinnbilder der drei ersten Grade entzifferten wir uns, jeder seinen Neigungen gemäß. Als aber im Inneren die Sinnbildnerei sprechender ward, trat ich zurück, und mied seitdem alle heimlichen Verbindungen.
Die Brüder Stolberg hatte man früher in Berlin, mit Claudius zugleich, noch weiter geführt; mehr noch wußten sie durch Haugwiz. Den, sagte mir Friedrich Leopold, hatten in Venedig ein paar Geistliche besucht, und als einen lange beobachteten geweiht zu höherer Erkenntnis. Zu warnen vor den heimlichen Beobachtern aus Italien, wollten wir drei öffentlich uns lossagen, wenn der Landesgroßmeister uns begleitete; der aber ward nicht durch unsere Briefe, sondern später durch eigene Wahrnehmungen, von der pfäffischen Heimtücke überzeugt.
Nicht so Claudius. In einem Gepräche gab er mir Ausartung zu; doch Eine Loge sei rein. Sie meinen die, sagte ich, zu welcher ihr Freund Haugwiz gehört. Wissen Sie denn, daß der seine Weihe von Klerikern in Venedig empfing? Claudius stutzte, spottete, und ging seitdem seinen eigenen Weg [d.h. er verkehrte nicht länger mit Voss, HPM]."
Im Geisterseher beschreibt Schiller, wie ein deutscher Kronprinz in Venedig lange beobachtet und dann Schritt für Schritt manipuliert und in völlige Abhängigkeit von seinen Kontrolleuren gebracht wird, die es aus politischen Gründen auf seine religiöse Konversion anlegen.
Wahrheit wolltest Du bringen, und Irrtum, o Bote von Wandsbek; Wahrheit, sie ward Dir zu schwer; Irrtum, den brachtest Du fort!
Matthias Claudius (1740-1815) gab in Hamburg die Zeitschrift Der Wandsbeker Bote heraus. Schiller griff ihn also persönlich an, was ihm wütende "Gegenxenien" von Claudius eintrug. Finanziert wurde Claudius' Zeitschrift von dem Kriegsgewinnler aus dem Siebenjährigen Krieg und reichsten Mann Nordeuropas, Heinrich Karl von Schimmelmann. Schimmelmann engagierte sich auch im äußerst lukrativen "atlantischen Dreieckshandel" Schußwaffen-Sklaven-Zucker (Rum).
Natürlich waren diese Kreise Feinde der amerikanischen wie der französischen Revolution, vor der viele Adlige über den Rhein bis nach Schleswig-Holstein flüchteten. Aus ganz anderen Gründen siedelte sich in der Nachbarschaft von Claudius und der begüterten altadligen Reventlows und neureichen Schimmelmanns auch die Gattin des in österreichische Gefangenschaft geratenen Marquis de Lafayette an. Auf den Anwesen der adligen Herrschaften war es absolut verpönt, auch nur den Namen des "Revolutionsmannes" Lafayette in den Mund zu nehmen. Von Frau Lafayette sprach man nur als "die Frau von diesem Mann".
Die arme Landbevölkerung ermahnten die herrschaftlichen "Lady-do-Rightlys" nicht nur zum sonntäglichen Kirchgang, sondern beglückten sie auch mit allerlei schriftlichen Traktaten, um ihre Moral zu heben. Bei deren Ausarbeitung ging ihnen Claudius zur Hand. Voss meinte dazu: "Wenn ihnen das Schicksal der armen Landbevölkerung so am Herzen liegt, warum entlassen sie diese nicht aus der Leibeigenschaft?"
Eng befreundet und verschwägert war Claudius mit dem Düsseldorfer Bankier Friedrich Heinrich Jacobi. Nach einem Studium in Genf (u.a. bei Bonnet) trat Jacobi bald literarisch und "philosophisch" hervor, was ihm später die enthusiastische Zustimmung Johann Gottlieb Fichtes einbrachte, der Jacobi für "noch besser als Kant" hielt. Goethe fand Jacobis philosophische Ergüsse weniger überzeugend und charakterisierte ihn als "mehr Diplomat denn Philosoph". Traurige Berühmtheit errang Jacobi 1785, vier Jahre nach Lessings Tod, als er diesen als "Spinozisten" verleumdete. Obwohl bedeutende Vertreter der älteren Generation Jacobis Behauptung zurückwiesen und Lessings Freund Moses Mendelssohn eine Gegenschrift verfaßte, nahm die jüngere Generation (Fichte, Schelling, Hegel) Jacobis Behauptung als Stichwort auf und vertiefte sich in das Studium der Werke Spinozas. Die damit ausgelöste Spinoza-Renaissance zeitigte bald entsprechende Früchte in Form der philosophischen Systeme von Fichte, Schelling, Hegel und allem, was sich von diesen fortspann.
Unmittelbar politische Wirkung hatten Jacobi und Saint-Martin auf Franz von Baader, der als intellektueller Inspirator der "Heiligen Allianz" gilt, des nach dem Wiener Kongreß etablierten Bündnisses von Österreich, Rußland und Preußen, das in Reaktion auf die amerikanische und französische Revolution die alte "gottgewollte" Ordnung wieder herstellen und festschreiben sollte.
Spätere linke und rechte Strömungen des 19. und 20. Jhs. gehen in ihren geistigen Ursprüngen immer wieder auf diese Tendenz im 18. Jh. zurück, die im beschriebenen Sinne untrennbar mit Claudius und Jacobi verbunden ist. Leo Strauss, der "philosophische" Lehrmeister der heutigen Washingtoner Kriegspartei, schrieb übrigens 1921 bei Cassirer in Hamburg seine Dissertation über das Thema "über die Erkenntnistheorie in der philosophischen Lehre Friedrich Heinrich Jacobis".
Schillers kleine, übermütige Xenie hat also durchaus ins Schwarze getroffen.
Sämtliches Material zu diesem Artikel stammt von Hans Peter Müller
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