September 2005:

"Daß ein großer Dichter wenigstens die Kraft
zur höchsten Freundschaft besitzen muß ..."

Christophine Reinwald Emilie von Gleichen-Rußwurm
Der Briefwechsel Friedrich Schillers mit seiner Schwester Christophine und seinem Schwager Wilhelm Reinwald gibt einen Einblick in Schillers herzliches Familienleben.

Christophine Reinwald (Ein Gemälde von Ludovike Simanowitz - linkes Bild) und Emilie von Gleichen-Rußwurm (als junges Mädchen - rechtes Bild)

von Barbara Hopf

Der vorliegende Briefwechsel Friedrich Schillers mit seiner Schwester Christophine und seinem Schwager Wilhelm Reinwald umfaßt 157 Briefe - 78 von Schiller, 60 von Reinwald und 19 von Christophine - und gibt einen kleinen Einblick in Schillers herzliches Familienleben. Schillers jüngste Tochter Emilie Freifrau von Gleichen-Rußwurm gab die Briefe Wendelin von Maltzahn, der sie 1875 veröffentlichte. Emilie wurde 1804 in Jena geboren. Bei Schillers Tod im Jahre 1805 war sie zehn Monate alt. Sie selbst starb im Jahre 1872. Im Laufe ihres Lebens schrieb sie mehrere Bücher über die Familie Schiller.

Schiller

Friedrich Schiller wurde am 10. November 1759 geboren. Reinwald schrieb über ihn als Kind: "Schillers erster Gedanke, und der auch seiner Eltern Beifall hatte, war: sich dem geistlichen Stande zu widmen. Schon als kleiner Knabe machte er sich oft einen Stuhl zur Kanzel und hielt eine Predigt, die erwachsener Personen Verwunderung erregte, und manchen Funken eines nachher auflodernden Dichterfeuers verriet."

Er wurde aber vom württembergischen Herzog in die Militärpflanzschule aufgenommen, die für Söhne unbemittelter Offiziere geschaffen wurde. Dort mußte er erst Jura, dann Medizin studieren, und dort verfaßte er im Jahre 1781 sein erstes Drama Die Räuber. Das Drama erregte den Zorn verschiedener Leute, und der Herzog belegte Schiller mit einem Schreibverbot. Schiller konnte und wollte sich dem Verbot nicht beugen und floh unter fremdem Namen von Stuttgart über Mannheim nach Bauerbach, wo er auf dem Wolzogenschen Gute Asyl erhielt. Dort lernte er den fast 20 Jahre älteren Reinwald kennen. Der erkannte sofort Schillers Genie und schrieb in sein Tagebuch:

"Heute schloß er mir sein Herz auf, der junge Mann - Schiller - der so früh schon die Schule des Lebens durchgemacht, und ich habe ihn würdig gefunden, mein Freund zu heißen. Ich glaube nicht, daß ich mein Vertrauen einem Unwürdigen geschenkt habe, es müßte denn alles mich trügen. Es wohnt ein außerordentlicher Geist in ihm, und ich glaube, Deutschland wird einst seinen Namen mit Stolz nennen. Ich habe die Funken gesehen, die diese vom Schicksal umdüsterten Augen sprühen und den reichen Geist erkannt, den sie ahnen lassen. F. ist derselben Meinung. Auch er ahnt den kostbaren Schatz, den der Neid mit seinen Schlacken zu begraben trachtete; aber das Genie bricht sich Bahn und sollten alle Leiden der Welt es überfluten!"

Auch Schiller wußte Besonnenheit, Klarheit und Gelehrsamkeit des Freundes zu schätzen. Reinwald stand bald im Briefwechsel mit der ganzen Schillerschen Familie.

Reinwald

Wilhelm Friedrich Hermann Reinwald wurde 1737 in Wasungen geboren. Sein Vater war Regierungsrat in Meiningen. 1753 ging Reinwald zum Studium der Rechte an die Universität Jena. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit Dichtkunst und Sprachforschung. Herzog Anton Ulrich entsandte ihn 1762 als geheimen Canzellisten nach Wien. Von dort mußte er ihm ein Jahr lang jede Woche einen Bericht über Literatur und Staatssachen schicken. 1776 wurde er an der Herzoglichen-Bibliothek als Gehilfe angestellt, ein Amt, das er bis in sein hohes Alter innehatte. Er starb 1815. Von Maltzahn schrieb:

"Er brachte sein Alter auf 78 Jahre weniger 5 Tage und entschlummerte sanft mit der Ruhe des Rechtschaffenen, der sein Tagwerk treu zu erfüllen bemüht war. Seine hinterlassene Gattin verlor in ihm den treuen Freund ihres Lebens und die Freunde der Wissenschaft einen Gehilfen in der Forschung nach Kenntnissen, Recht und Wahrheit."

Reinwalds Begabung für Satire und Humor fand auch bei Schiller Anerkennung. Er verfaßte Beiträge für Schillers Zeitschrift Thalia, für die Hallische Allgemeine Literaturzeitung, den Allgemeinen Literarischen Anzeiger des Buchhändlers Rock in Leipzig und schrieb Rezensionen für Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek. Darüber hinaus veröffentlichte er mehrere Arbeiten auf dem Gebiet der Sprachforschung, wie z.B. 1776 Briefe über die Elemente der germanischen Sprache. Als Lebensaufgabe stellte er sich die Herausgabe des angelsächsischen Gedichts Heliand (Evangelienharmonie) nebst Glossar und Grammatik.

Christophine

Schillers Schwester Elisabeth Christophine Friederike war das älteste Kind der Familie Schiller, sie wurde zwei Jahre vor Friedrich im Jahre 1757 geboren. Der Vater diente als gering besoldeter Offizier dem württembergischen Herzog, der ihn später auf die Solitüde bei Stuttgart berief, um dort eine Baumschule anzulegen. Als sich Friedrich zur Flucht aus Stuttgart entschloß, war die Schwester seine Vertraute. Christophine und Reinwald heirateten 1786 und lebten in bescheidenen Verhältnissen in Meiningen. Reinwald besuchte die Familie Schiller schon im Juli 1784 auf der Solitüde. Er schrieb darüber an den Hofprediger Pfranger:

"Die Schiller'sche Familie besteht aus lauter Personen von eigenen Talenten. Vater, Mutter, zwei erwachsene Töchter und eine Tochter von sieben Jahren, alle zeichnen sich durch Verstand, edles Denken und guten Geschmack aus. Die älteste Tochter Christophine zeichnet vortrefflich, führt die Wirtschaft und besorgt die Korrespondenzen. Die zweite ohngefähr von 18 Jahren, Louise, lernt in Stuttgart Putzmachen und allerhand Frauenzimmerarbeit; auch die schreibt schöne Briefe und hat ungemein viel naiven Witz. Die kleine ist vollends gar ein Engelsmädchen, deren Bildung etwas Großes weissagt, und die schon Verse macht. Wenn ich mit dieser interessanten Familie, oder nur mit einigen darunter, abends in den ungeheuren Bogengängen, in deren Spitze das Abendrot strahlt, im Orangenhain, unter den kolossalischen Statuen, unter den 100jährigen Eichen spazierengehe - wie schwer wird es mir da, an den Abzug zu denken, so sehr ich auch meine Freunde und Freundinnen in Meiningen liebe."

Zusammen mit Schillers Mutter besuchte Reinwald den Dichter Schubart, der seit vielen Jahren auf dem Hohenasperg gefangen saß. "Für Schiller ist er (Schubart) enthusiastisch eingenommen und er wurde einst, weil er ihn zu sehr gelobt, von seinem General in ein härteres Gefängnis gesetzt." Die Familie Schiller war tief religiös. Christophine interessierte sich besonders für das Missionswesen. Sie schrieb Reinwald im Juli 1784 ein Gebet in sein Notizbuch, in dem es u.a. heißt: "Aber all Dein Urteil ist Güte und Deine Gedanken sind Gnade. Du wirst auch mich richten mit Barmherzigkeit und meine Taten mit göttlicher Schonung." Im Alter wurde sie durch Schillers jüngste Tochter Emilie unterstützt. Sie starb 1847, wenige Tage vor ihrem 90. Geburtstag. Bis dahin verbrachte sie 61 Jahre ihres Lebens in Meiningen. Wie ihr Bruder war auch sie immer begeisterungsfähig für Gedichte, Gemälde, Kunstanschauungen jeder Art, und sie konnte sich sehr empören, wenn Ungerechtigkeiten zur Sprache kamen.

Briefwechsel

Nach seiner Flucht schrieb Friedrich Schiller Ende 1782 an seine Schwester Christophine: "Meine Umstände sind gut. Frei bin ich und gesund wie ein Fisch im Wasser, und welchem freien Menschen ist nicht wohl... Wenn du diesen Brief den lieben Eltern zeigen darfst, so sag ihnen, daß ich mit ganzer Seele und mit ganzem Herzen ihr gehorsamer, ihr freier, ihr froher Sohn sei."

Von dem Bibiothecarius Reinwald erbat er einige kritische Schriften Lessings, Shakespeares Othello, Mendelssohns philosophische Schriften und Reisebeschreibungen, des weiteren Gothaer Zeitungen, Tinte, 1/2 Pfund Schnupftabak sowie Schreibpapier. Er schrieb gerade an seinem dritten Drama Kabale und Liebe, das er zuerst Louise Millerin nannte. Im Februar 1783 schrieb Schiller an Reinwald: "Liebster Freund, ich wünschte Sie so oft - so oft in meine einsame grillenhafte Zelle herein, und möchte oft meine tägliche Kost um eine menschliche Gesellschaft dahingeben", und weiter, daß er nun der Meinung wäre, "daß das Genie wo nicht unterdrückt, doch entsetzlich zurückwachsen, zusammenschrumpfen kann, wenn ihm der Stoß von außen fehlt. Man sagt sonst, es helfe sich in allen Fällen selbst auf - ich glaub es nimmer. Es scheint, Gedanken lassen sich nur durch Gedanken locken."

Reinwald verfaßte zu der Zeit ein Gedicht auf Schiller:

Er beschwor Schiller, auf der eingeschlagenen Bahn fortzuschreiten, nicht kleinmütig zu werden, dann warte auf ihn der "Sternenkranz". Zudem versorgte Reinwald den Freund so gut er konnte mit Büchern zu allen Themen, mit denen der sich gerade beschäftigen wollte.

Schiller: "Zu meiner Maria Stuart, liebster Freund, schicken Sie mir doch auch jetzt Geschichten... Ihr vorgestriger Besuch hat eine ganz herrliche Wirkung auf mich gehabt... Möchte auch ich Ihrem Herzen notwendig werden!"

Im März 1783 erreichte Reinwald bereits die Nachricht: "...arbeite nunmehr entschlossen und fest auf einen Don Carlos zu... auch hier erwarte ich Ihren mir immer wichtigen Rat." "Wenn ich eine spanische Geschichte mit Vorteil behandeln soll, so werde ich notwendig mit dem Nationalcharakter, den Sitten und der Statistik des Volkes bekannt sein müssen. Sie, mein Freund, wissen am besten, aus welchen Quellen ich diese Kenntnis schöpfen kann, und werden ohne Zweifel auf der Bibliothek dergleichen Werke haben."

Er erklärte Reinwald, "daß ein großer Dichter wenigstens die Kraft zur höchsten Freundschaft besitzen muß, wenn er sie auch nicht immer geäußert hat... das ist unstreitig wahr, daß wir die Freunde unserer Helden sein müssen." Sympathie werde am gewissesten und stärksten durch Sympathie erweckt, aber: "Sie werden mich mit Wieland, Goethe u.a. messen und einen ungeheuren Abstand gewahr werden." Doch "wenigstens bin ich ein guter Mensch - und Ihr Freund. Was hilft Ihnen der Mann, dessen Genie eine Welt umspannt, dessen Herz aber für Ihre Freuden und Leiden zu eng - dessen Auge für Ihre Schicksale trocken ist?"

Schiller beschäftigte sich nicht nur mit den Nationalcharakteren Europas, sondern er kannte sich auch recht gut in der Geschichte Amerikas, der Neuen Welt aus. Nicht zuletzt die Übersetzungen eines Onkels, der nach London ausgewandert war und geschichtliche Werke über Amerika ins Deutsche übersetzte, trugen dazu bei. Schiller schrieb dazu an Reinwald: "Ich gehe in längstens 12 Tagen von hier, um meinen Oncle aus London, der sich in Schwaben befindet, an der Grenze zu rencontrieren." Der Oncle war Johann Friedrich Schiller aus Steinheim an der Murr, der Übersetzer von Robertson's Geschichte Amerikas, Leipzig 1777. "Vielleicht, daß er der Canal ist, durch den auch ich in England bekannt werde. Meine Louise Millerin nehme ich mit und zeige sie ihm."

Christophine bat Schiller, bei dieser Gelegenheit doch die Familie auf der Solitüde wieder einmal zu besuchen, aber der lehnte entschieden ab: "...dieses sage ich Dir Schwester, daß ich, im Fall es der Herzog erlauben würde, dennoch mich nicht bälder im Wirttembergischen blicken lasse, als bis ich wenigstens einen Charakter habe, woran ich eifrig arbeiten will." Zu dieser Zeit wurden seine Stücke bereits in ganz Deutschland mit großem Erfolg aufgeführt.

Schiller an Reinwald: "Hier zu Mannheim wurde Cabale und Liebe mit aller Vollkommenheit, deren die Schauspieler fähig waren, unter lautem Beifall und den heftigsten Bewegungen der Zuschauer gegeben. Sie hätte ich dabei gewünscht. Den Fiesco verstand das Publikum nicht. Republikanische Freiheit ist hier zu Land ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name - in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Aber zu Berlin wurde es 14mal innerhalb 3 Wochen gefordert und gespielt. Auch zu Frankfurt fand man Geschmack daran."

Und weiter im Jahr 1784: "Noch immer trage ich mich mit dem Lieblingsgedanken, zurückgezogen von der großen Welt, in philosophischer Stille mir selbst, meinen Freunden und einer glücklichen Weisheit zu leben, und wer weiß, ob das Schicksal, das mich bisher unbarmherzig genug herumwarf, mir nicht auf einmal eine solche Seligkeit gewähren wird." Reinwald antwortete: "Alles erwogen, ist Mannheit Ihnen doch vorzüglich vorteilhaft und Ihre philosophische Einsamkeitsliebe kommt wenigstens 20 Jahre zu früh."

Inzwischen, es war September 1785, hatte sich Christophine auf der Solitüde mit Reinwald verlobt. Schiller schrieb ihr dazu: "Da Du mir Deinen gefaßten Entschluß wegen Reinwald nur bloß historisch hast melden lassen, nachdem Eure Verlobung vorbei ist, so sollte ich freilich vermuten, daß Dir an meiner Bestätigung nicht sonderlich viel gelegen sein werde... vielleicht habe ich durch meine vorhergegangenen Zweifel, durch den Anschein von Mißbilligung Dein Vertrauen zurückgescheucht. Wie dem auch sei, die ganze Sache ist nun entschieden... Mache ihn so glücklich, meine Liebe, als Du verdienst, es durch ihn zu werden. Ich kann ihn nicht mehr lieben, nachdem er mein Schwager ist, als vorher, da er nur mein Freund war. Jetzt tu ich aus Pflicht, was ich damals aus Wahl getan."

Christophine und Reinwald teilten Schiller mit, sie empfänden stets eine unbeschreibliche Freude, wenn sie etwas von ihm lasen, und er versprach, ihnen künftig alle seine neuen Schriften sofort zu schicken.

Schiller schrieb im Oktober 1787 an Reinwald: "Sonst mein Lieber muß ich Dir gestehen, daß, wenn ich es hätte, ich Deine Gesellschaft mit Golde aufwägen würde. Hundertmal denke ich an Dich, Du fehlst mir alle Stunden... Hier habe ich viele Bekannte, worunter auch recht brave Menschen sind - aber keinen Freund, den ich lieben könnte. Ein weiblicher Freund ist keiner."

Zu dieser Zeit erreichte Schiller eine Anfrage des Stadtrats von Schweinfurt, ob er nicht Ratsherr bei ihnen werden wolle. Schiller wandte sich an Reinwald: "Was die Schweinfurther Anfrage anbetrifft, ...es ist eine Sache, für die ich in keiner Rücksicht gemacht bin, wie Du selbst am besten eingesehen hast... ich ein Ratsherr! - Die Leute müssen nicht just im Kopfe sein. Wenn sie mich wirklich dazu machten, so würden sie über ihr eigenes Werk erschrecken und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen."

Reinwald antwortete ihm so: "Ja freilich dacht ich's, daß es so kommen würde - nämlich mit Deiner Entschließung wegen Schweinfurth. Frau von Kalb, der ich auch davon sagte, war ungewiß, ob man durch Dich den Teufel dort austreiben, oder ihm das Tor öffnen wolle... Zwar, es könnte wohl Reichsstädte geben, die dieser gewaltsamen Kur nötig hätten, um zu genesen."

Schillers Hochzeit

Im April 1789 trat Schiller seine Professur in Jena an, wo er ein Collegium über die Universalgeschichte hielt. Er schrieb dazu an Christophine: "Meine Lage läßt sich übrigens gut an, und noch bis jetzt habe ich eine weit größere Anzahl Auditoren als hier irgend ein Professor hat ... überhaupt habe ich fast bei jeder Vorlesung Freunde zu Zuhörern gehabt, und unter diesen verschiedene berühmte Gelehrte. Dies hat mir nicht wenig Aufmunterung gegeben."

Kurz darauf kündigte er seiner Schwester seine baldige Heirat mit Charlotte von Lengefeld an: "Ich habe unseren lieben Eltern eine Nachricht gegeben, die, wie ich hoffe, dazu beitragen wird, das Gemüth meiner lieben Mutter zu erheitern. Es ist die Nachricht von meiner nahen Verbindung mit Lottchen Lengefeld aus Rudolstadt, die ich Dir also hiermit nenne, und als Deine künftige Schwester vorstelle... Wie kann ich Dir das, was ich liebe, mit Worten malen, und was kann ich mehr zu ihrer Schilderung sagen, als daß ich ihr die künftige Glückseligkeit meines Lebens anvertraut habe?"

Christophine wünschte ihm "von ganzer Seele Tausend Glück und Segen zu dieser Wahl", und Reinwald fügte hinzu: "Viel Glück, lieber Bruder! Zu Deiner vorteilhaften Verbindung! Ich habe das Vergnügen, Dein Fräul. Braut zu kennen... und ich zweifle gar nicht an Deiner vollkommenen Glückseligkeit."

Schiller meldete bald an Christophine über sein neues Leben mit Lotte in Jena: "Anstatt allen Erzählens und Versicherns schreibe ich Dir also kurz, daß ich glücklich bin mit meiner Lotte, daß alle meine Wünsche von häuslicher Freude in ihre schönste Erfüllung gegangen sind. Wir führen miteinander das seligste Leben, und ich kenne mich in meiner vorigen Lage nicht mehr. Jetzt erst kann ich sagen, daß ich lebe, weil ich mich erst jetzt meines Lebens freue. Auch in Rudolstadt unter den Verwandten meiner Frau war mein Aufenthalt angenehm und am Hofe leidlicher, als es an solchen Orten gewöhnlich zu sein pflegt.

Wir leben in einem engen Zirkel zusammen und halten so viel wie möglich die Schwelle von den übrigen Menschen rein..., denn das Professorsleben macht die meisten zu Pedanten und der Handwerksneid ist gar groß bei den Mehrsten. Ein Glück für mich und meine Frau, daß wir nicht nötig haben, unsere Glückseligkeit irgend anderswo zu suchen, als in unserem eigenen Hause."

Reinwald versorgte nunmehr nicht nur Schiller, sondern auch Lotte mit Büchern aus seiner reichhaltigen Bibliothek. Er schrieb an sie: "Ihr letzter Brief handelte von Ihrer Liebe zur italienischen Dichtkunst, liebste Frau Schwester! ... In Valenti's Ital. Elementarwerk sind kleine poetische Stücke sehr angenehm und nicht schwer." Reinwald, der selbst recht gut das Italienische beherrschte, empfahl ihr Ariost, Tasso und Petrarca.

Die einzige leichte Trübung seines Glücks bestand für Schiller darin, daß er beständig gegen Krankheiten ankämpfen mußte. So schreibt er an Christophine und Reinwald, als diese ihren Besuch ankündigten: "Ihr sollt uns herzlich willkommen sein, meine Lieben, und kein Geschäft, auch keine Krankheit, wie ich hoffe, soll mich abhalten, Eurer Gegenwart recht herzlich froh zu werden. Bringe immer das ganze Geräte Deiner Launen mit, lieber Reinwald: Ein Hypochonder wird mit dem anderen Geduld haben."

Reinwald antwortete: "Ich bin von dem kurzen Briefchen des lieben Bruders sehr, recht sehr gerührt, und wünschte mir oft die ihm eigene Höhe des Geistes, von der man auf seine eigenen schwarzen Launen, so wie auf die Launen aller mächtigen und ohnmächtigen Geschöpfe um sich, heiter herabsehen kann, wenn man recht ernstlich will."

Wenige Monate danach brachte Lotte ihren ersten Sohn Karl zur Welt. Etwa zur gleichen Zeit fertigte Graff das berühmte Porträt Schillers an, das besonders Christophine sehr gut gefiel. Sie merkte nur leise an: "Wenn nur der lieben Lotte ihres auch an seiner Seite hinge?"

Schiller arbeitete nun energisch an der Herausgabe seiner Literaturzeitung und bat auch Reinwald um Mitarbeit: "Nun noch eine Bitte. Ich habe mich mit einem Buchhändler in einen Contrakt wegen eines Musenalmamachs eingelassen, der womöglich noch auf das nächste Neujahr erscheinen soll. Es sind viele und sehr gute Mitarbeiter dabei; und ich wünschte sehr, Dich auch darunter zu haben, besonders wenn Du komische Stücke liefern könntest. Doch von welcher Art sie auch seien, sie werden mir immer willkommen sein."

Schließlich nahm er doch nur ein Gedicht Reinwalds in den Musenalmanach auf, weil die komischen Stücke sich nicht mit dem im ganzen seriösen Ton der Ausgabe vertrugen. Es ist das Gedicht:

Reinwald fühlte sich durch die Veröffentlichung seines Gedichts im Musenalmanach sehr geehrt und teilte Schiller mit: "Mein Lied fühlt sich verlegen ob der ansehnlichen Gesellschaft der großen Welt."

Inzwischen waren der Vater und die Schwester Louise schwer erkrankt. Die Mutter war mit ihren häuslichen Pflichten völlig überlastet, und Schiller bat Christophine, den Eltern zu Hilfe zu kommen: "Was die Reise kostet, bezahle ich mit Freuden... Gott, warum bin ich jetzt nicht gesund... Aber daß ich über ein Jahr fast nicht aus dem Hause gekommen, macht mich so schwächlich, daß ich entweder die Reise nicht aushalten, oder doch selbst krank bei den guten Eltern hinfallen würde."

An Reinwald, der zu Hause blieb, schrieb er: "Hier lieber Bruder das fünfte Stück der Horen [Schillers Monatszeitschrift], worin Dein Aufsatz abgedruckt ist. Nach den Urteilen, die ich hier eingezogen, findet er vielen Beifall, und Goethe, der eben von mir weggegangen ist, war auch recht wohl damit zufrieden." Bei dem Aufsatz handelte es sich um "Die Pulver-Verschwörung in England" im Jahre 1605, dem dritten der Regierung Jakobs I. Katholische Fanatiker um Guy Fawkes wollten am 5. November 1605 das englische Parlament in die Luft sprengen. In den Kellergewölben sollte eine Tonne Sprengmaterial gezündet werden. Die Verschwörer wurden gefaßt und gehängt. (Der Jahrestag der Vereitelung des Attentats wird heute noch in England als Guy-Fawkes-Day gefeiert.)

Im August 1796 wurde Schillers zweiter Sohn Ernst geboren. 1799 berichtete Schiller seiner Schwester von einem neuerlichen, allerdings unglücklichen Wochenbette seiner Frau. Lotte war sehr krank und litt allein sechs Wochen an einem starken Nervenfieber. "Das Kleine, eine Tochter, hat sich in dieser traurigen Zeit immer sehr wohl befunden, und uns durch seinen Anblick oft in unseren Leiden getröstet, denn es ist ein allerliebstes Kind, schön und blühend und wird bei einer gesunden und fröhlich gesinnten Amme, die wir ihm verschafft haben, zusehends stärker. Karlchen und Ernstchen sind auch recht wohl geblieben."

Reinwald antwortete ihm: "Da wir die Nachricht von der Krankheit Deiner guten Frau erhielten, wo ihr Leben in Gefahr war, da stand uns oft die Träne im Auge, die mehr ausdrückt, als was man sagen oder schreiben kann. Zu Deiner kleinen Tochter Caroline wünsche ich Dir von ganzer Seele Glück, und ihr wünsche ich, daß sie ihrer Mutter ähnlich werden möchte, und umarme Euch alle Tausendmal."

Trotz aller dieser Hindernisse entwickelte Schiller sein dichterisches Genie stets weiter. Er übersandte Reinwald seine Schriften und Dramen wie Maria Stuart, die Übersetzung/Bearbeitung von Macbeth, die Geschichte der Abfalls der Niederlande, Prosaschriften und Die Jungfrau von Orleans. Der Beschenkte bedankte sich überschwenglich: "Wie sehr das alles uns beide freut, kann ich Dir kaum ausdrücken. Aber wie viel Zeit und Anspannung des Geistes diese Produkte gekostet haben müssen, kann auch ein kleiner Rechner berechnen."

Als beide Eltern gestorben waren, wandte Schiller sich an seine Schwester Christophine: "O liebe Schwester, so sind uns nun beide liebende Eltern entschlafen, und dieses älteste Band, das uns ans Leben fesselte, ist zerrissen. Es macht mich sehr traurig, und ich fühle mich in der Tat verödet, ob ich gleich mich von geliebten und liebenden Wesen umgeben sehe, und auch Euch, ihr guten Schwestern, noch habe, zu denen ich in Kummer und Freude fliehen kann. O laßt uns, da wir drei nun allein noch von dem väterlichen Hause übrig sind, uns desto näher aneinander anschließen... das Leben hat unsere Schicksale getrennt, aber die Anhänglichkeit, das Vertrauen muß unveränderlich bleiben."

Im März 1803 bat Reinwald Schiller und von Wolzogen darum, sich beim Herzog dafür verwenden, daß er zum Hofrat befördert werde. Er wollte dadurch für Christophine eine höhere Witwenrente erwirken. Mittlerweile war er 66 Jahre alt und blickte auf 41 Dienstjahre zurück, davon 27 als Bibliothekar.

Im Januar 1804 schrieb Schiller aus Weimar: "Hier ist auch kürzlich Herder gestorben, der ein wahrer Verlust nicht nur für uns, sondern für die ganze literarische Welt ist. Möge nur der Himmel uns und allen, die uns wert sind, Leben und Gesundheit fristen. Es gibt noch allerlei in der Welt zu tun, und ich möchte es wenigstens erleben, meine Kinder so weit gebracht zu sehen, daß sie sich gut durch die Welt helfen können."

Als Schiller sein Drama Die Braut von Messina an Reinwald schickte, war es Mai 1804: "Dein zuletzt uns zugekommenes Trauerspiel die Braut von Messina hat mir viel geistiges Vergnügen gemacht und mancherlei Ideen geweckt. Die Chöre mußten, nach meiner Ahndung, einen schönen feierlich-erhabenen Effekt machen... wie unbeschreiblich freue ich mich, Dich und die liebe Frau Schwägerin wieder zu sehen! und die guten Kinder, die gewiß sehr groß geworden sind."

Wenige Monate später wurde Schillers viertes Kind, seine Tochter Emilie geboren. Schillers Schwester Louise, mit dem Stadtpfarrer von Möckmühl verheiratet, erwartete ebenfalls ein Kind, und Christophine schrieb an ihren Bruder: "Ich freue mich herzlich über das Glück meiner lieben Geschwister, und mache es zu meinem eigenen."

Mitten aus diesem glücklichen und schaffensreichen Leben riß Schiller der Tod. Am 9. Mai 1805 erlag er seiner langjährigen Krankheit.


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