November 2006:

Freiburger stoppen Finanzheuschrecken

Gegenwehr der Freiburger Bürger
Bürger erteilen Finanzheuschrecken und grün-neoliberalem Oberbürgermeister eine Abfuhr. Um es zu Zuständen wie in den Vorstädten Frankreichs nicht kommen zu lassen, sollte für Finanzheuschrecken ein Zutrittsverbot zum kommunalen Eigentum verhängt werden. Rainer Apel berichtet über die Gegenwehr der Bürger gegen den grünen Filz Freiburgs.

Am 12. November stimmte eine klare Mehrheit der Freiburger Bürger gegen die Pläne des Oberbürgermeisters, 7900 städtische Wohnungen an private Investoren zu verkaufen, um mit dem Erlös - 510 Millionen Euro - die Stadtkasse nach dem Dresdner Modell auf einen Schlag schuldenfrei zu machen. Wie man hörte, standen der schon im Dresdner Fall aktive Heuschreckenfond Fortress und andere bereit, den Kauf noch vor dem Jahresende zu tätigen. "Sind Sie dafür, daß die Stadt Freiburg Eigentümerin der Freiburg Stadtbau GmbH und der städtischen Wohnungen bleibt?", lautete die Abstimmungsfrage und für das Gemeinwohl votierten 41 579 Bürger, dagegen 17 419. Von fast 150 000 Wahlberechtigten hatten sich 59 000 (oder 39,9%) beteiligt.

Pikanterweise war die Zahl der Stimmen gegen den Grünen-OB Dieter Salomon selbst in grünen Hochburgen Freiburgs ebenso hoch wie in den Hochburgen der CDU und SPD. Intensive wochenlange Debatten waren dem Bürgerentscheid vorausgegangen, die Polarisierung war sogar in die Schulen vorgedrungen, wo Schüler sich mit der Zukunft des sozialen Wohnens befaßten.

Das Votum, das die Stadtverwaltung Freiburgs für die nächsten drei Jahre bindet, löste einen Schock unter Heuschreckenbefürwortern aus. Die prominenteste Reaktion kam von der Frankfurter Allgemeinen, die am 14. November auf ihrer Titelseite unter der Überschrift "Heuschreckenfreie Zone" berichtete, der Freiburger Bürgerentscheid sei "auch deshalb erfolgreich" gewesen, "weil das Bedürfnis nach einem sozialen Staat gewachsen ist, die Skepsis gegenüber Privatisierungen in der Bevölkerung zugenommen hat." Zur Strafe werde das Regierungspräsidium den nächsten Freiburger Stadthaushalt im Januar nicht genehmigen, drohte die Zeitung - wie auch die Süddeutsche in einem Leitartikel am 16. November unter der Überschrift "Heuschrecken-Alarm".

Nun, der Bürgerentscheid vom 12. November hat bundesweite Auswirkungen, wie Thomas Beyerle von der Allianz-Immobilientochter DEGI richtig anmerkte: "Freiburg ist ein Wendepunkt." Auch in anderen Städten drohe den Privatisierern jetzt scharfer Gegenwind, und im "schlimmsten Fall werden auch Public-Private-Partnership-Projekte abgeblasen... Politiker werden gut überlegen, ob sie an Verkaufsplänen festhalten und ihre Wiederwahl aufs Spiel setzen", sagte Beyerle.

Der Druck, sich Privatisierungen zur Auszahlung der Gläubigerbanken zu widersetzen, wächst auch für Politiker, die gerade erst wiedergewählt wurden, wie z.B. der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Der traf sich am Tag nach dem Freiburger Votum mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Gespräch über die Hauptstadtfinanzen. Die Bundesregierung erwartet, daß Berlin seine 270 000 städtischen Wohnungen verkauft, um seine Schulden von 60 Milliarden Euro um 5 Milliarden zu verringern. Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin macht kein Geheimnis daraus, daß er für den Verkauf an private Investoren ist. Er hat dies sogar in einem neuen 19-seitigen Memorandum, in dem er Privatisierungskritiker attackiert, noch einmal unterstrichen.

Sollte Wowereit sich darauf einlassen, kann er sich auf einen Sturm der Empörung unter den Berlinern gefaßt machen, der die eben erst gebildete rot-rote Stadtregierung ins Wackeln bringen wird. Schon die geplante Privatisierung des Flughafens Tempelhof - ein vergleichsweise "kleiner Brocken", für den sich Heuschreckenfonds aber lebhaft interessieren - kann den Berliner Senat ins Stolpern bringen.

"Wenn wir nicht verkaufen und unsere Schulden abbauen, droht uns die Zwangsverwaltung per Kommissar von oben", warnt Sarrazin. Aber seine angebliche "Alternative" ist gar keine, denn es gibt noch eine ganz andere Lösung. Eben weil Berlin die deutsche Hauptstadt ist, könnte es sich an die Spitze einer bundesweiten Bewegung von Kommunen setzen, die Druck auf die Bundesregierung machen, damit diese das Maastricht-System aufkündigt und durch eine Rückkehr zum gemeinwohlorientierten System produktiver Kreditvergabe ersetzt.

Der Vorrang für Schuldenabbau muß fallen, Schulden müssen langfristig umstrukturiert werden - das ist die einzige vernünftige Lösung, und genau das ist es, was die Bürgermeisterkandidaten der BüSo bei den Wahlen in Leipzig (Karsten Werner) und in Berlin (Daniel Buchmann) gefordert haben. Notwendig ist die Reindustrialisierung der Großstädte, die wieder Vollzeitarbeitsplätze schafft und die realen Steuereinnahmen der Kommunen sichtbar verbessert, so daß Notprivatisierungen gar nicht erst zur Debatte stehen. Das ist auch die Lösung für Freiburg, jetzt nach dem Bürgerentscheid, der die Wohnprivatisierer vorerst nur für die nächsten drei Jahre blockiert.

Es geht bei der ganzen Debatte über kommunales Eigentum um nichts weniger als die Überlebensfähigkeit städtischen Lebens, das drückte auch Udo Casper vom baden-württembergischen Mieterbund aus. Mit dem Verkauf kommunaler Wohnungen vergeben Gemeinden "ihre Steuerungsmöglichkeit, um einseitige soziale Strukturen, wie sie beispielsweise in den Vorstädten in Frankreich existieren, zu verhindern", warnte er. Heuschreckenfonds suchen sich unter den erworbenen Wohnungen die profitversprechenden "Filetstücke" heraus und lassen den Rest zum Ghetto verkommen, sagte er. Die Ghettos in Frankreichs Städten machen seit einiger Zeit Schlagzeilen mit Überfällen und Brandanschlägen von Jugendbanden auf städtische Busse, private PKWs und öffentliche Einrichtungen. Daß es so weit auch in Deutschland kommt, kann noch verhindert werden. Für Finanzheuschrecken muß ein Zutrittsverbot zum kommunalen Eigentum verhängt werden.


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