Januar 2005:
Ein Fiasko, wo immer es versucht wurde
Von England und Schweden bis nach Südamerika gingen Rentenprivatisierungen immer gleich aus: Banken und Fonds steckten unverschämt hohe Anteile ein, während die Renten für die Arbeitnehmer massiv sanken.
Hintergrund des folgenden Artikels ist der massive Rentenklau, der von George Bush für die zweite Amtszeit geplant ist.
Hier ein Infostand der BüSo auf der Königstraße in Stuttgart, welcher derzeit im Kontext dieser Entwicklungen steht.
Weltweit wird die Werbetrommel für die Privatisierung der Rentenversicherung gerührt. Aber überall da, wo dies in den letzten beiden Jahrzehnten versucht wurde, waren die Resultate verheerend. Wir geben einen Überblick.
Iberoamerika
Elf Länder in Mittel- und Südamerika haben unter dem Druck des IWF und der Gläubigerbanken ihre Rentenversicherung privatisiert. Der Vorreiter war Chile - sowohl bei der Privatisierung (1981) als auch bei deren katastrophalem längerfristigem Scheitern. Heute sind sich alle Kräfte in Chile einig, daß die Rentenversicherung radikal umgestaltet werden muß, in Kürze will die Regierung einen Gesetzesvorschlag dazu vorlegen.
Chile: Ein paar Zahlen sagen alles:
- Nur 20% der Arbeitskräfte haben Anrecht auf eine Rente über dem staatlich gesicherten Minimum von 110 US-Dollar im Monat.
- Die Verwalter der Rentenkonten (AFPs) stecken etwa 25% der Rentenbeiträge als "Verwaltungsgebühren" ein.
- Von 1997-2004 betrug der jährliche Gewinn der AFPs stolze 50%. 94% der AFPs gehören ausländischen Bankeninteressen.
- Von 1982-2004 lag der jährliche Gewinn der privaten Rentenkonten bei den AFPs im Durchschnitt nur bei 5,1%.
- Wenn zwei Arbeitnehmer 1981 mit der Zahlung der Rentenbeiträge anfingen - einer im alten staatlichen Umlageverfahren (pay as you go*) und der andere im neuen, privaten System - , so erhielte der zweite heute weniger als die Hälfte der Rente, die der erste nach dem alten System bekäme.
- In den anderen Ländern läuft es ähnlich: Milliarden, die früher für die Rente verwendet worden wären, werden weggenommen, um ausländische Banken zu retten. So müssen beispielsweise in Peru Arbeitnehmer im privatisierten System 11,2% ihres Bruttolohnes einzahlen, die AFPs kassieren durchschnittlich 28,7% dieser Zahlungen als "Gebühren", und bis Mai 2004 lag der durchschnittliche Gewinn der AFPs bei 68%.
Mexiko versuchte 1992 eine Privatisierung der Rentenversicherung; als diese "Reform" 1997 in sich zusammenbrach, wurde eine noch drastischere Privatisierung durchgeführt. Das alte System, in dem auch der Arbeitgeber beträchtliche Beiträge in die Rentenkasse zahlte, hatte jahrelang Überschüsse, aber die Regierungen verwendeten diese häufig, um ihre laufenden Ausgaben und Investitionen zu bezahlen. Die neuen privaten Fonds, die sog. AFORES, folgen sehr eng dem chilenischen Vorbild.
Die AFORES verwalten 30-40 Mrd. Dollar von 12 Mio. Arbeitnehmern, die vorher in die staatliche Rentenkasse IMSS eingezahlt hatten. Mit der Einführung der AFORES 1997 wurden die Beiträge der Regierung und der Unternehmen stark angehoben. (Für die Regierung von 0,425% auf 2,425% der Löhne/Gehälter und für die Arbeitgeber von 9,5% auf 12,9%.) Die Folgen:
- Die Regierung muß für das neue Rentensystem nach Berechnungen der Kongreßbehörde CBO im Jahre 2006 0,4% des BIP aufwenden, 2025 0,8%. Wie in Chile muß die Regierung Millionen Arbeitnehmern, die nicht lange genug privat eingezahlt haben, eine Mindestrente sichern.
- Diese Mindestrente wurde von 40% auf 35% des Durchschnittslohns gesenkt.
- Die privaten Rentenkassen Mexikos gehören heute ausländischen Banken: Banco Santander, Banamex, Bank of Nova Scotia, Banco Bilbao Vizcaya-Mexico.
- Die AFORES nahmen von Anfang an Gebühren in Höhe von mindestens 8-10% der gesamten Rentenbeiträge von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regierung. Heute behalten sie Schätzungen zufolge sogar bis zu 30% ein; das kann man nur noch Unterschlagung nennen. Der Rentenausschuß des mexikanischen Kongresses fordert jetzt eine Untersuchung, wieviel die
- AFORES den Steuerzahler kosten.
Seit 1. Januar 2005 dürfen die AFORES - ähnlich wie in Chile - 20% ihrer Gelder an der Börse und 15% im Ausland anlegen. Dies war eine Forderung von José Piņera vom Cato-Institut (der 1981 als Chiles Arbeitsminister die Privatisierung einführte) und anderen Ideologen, die dagegen waren, daß die AFORES hauptsächlich in Anleihen von Bund, Ländern und Gemeinden Mexikos investierten.
Argentinien:
Die Teilprivatisierung der argentinischen Rentenversicherung 1994 hat wesentlich zu der Schuldenkrise, dem Staatsbankrott und dem Wirtschaftskollaps des Landes im Dezember 2001 beigetragen.
- Zusätzlich zur Ausbeutung durch die illegalen hohen Auslandsschulden brachte diese Privatisierung 1994 die Regierung um bedeutende Steuereinnahmen, die in private Konten, sog. AFJPs, umgelenkt wurden. Um den Ausfall auszugleichen, mußte die Regierung im Ausland Kredite zu sehr hohen Zinsen aufnehmen und die mit IWF-Krediten verbundenen Bedingungen erfüllen. Laut einer Studie des Washingtoner Zentrums für Wirtschafts- und Politikforschung aus dem Jahr 2002 belief sich das Defizit durch die ausgefallenen Einnahmen im Jahre 2001 auf 3% des BIP.
- Der Staatsbankrott im Dezember 2001 widerlegte die Behauptung wirrer Analysten (ähnlich den Behauptungen des Weißen Hauses heute), Argentinien könne 75 Jahre brauchen, um diese "Übergangskosten" zu bezahlen.
- Im September 2001 zwang der IWF die Regierung, als Bedingung für eine neue Schuldenvereinbarung die Zahlungen nach dem alten System, das neben dem neuen System weiterlief, um 13% zu kürzen. Das alte System umfaßte nicht nur Altersrenten, sondern auch Witwen- und Waisenrenten, Zahlungen an Behinderte u.a.
- Ende der 90er Jahre waren 48% der AFJP-Gelder in Staatsanleihen angelegt, welche die Regierung 2001 nicht mehr bedienen konnte.
Die anderen iberoamerikanischen Länder mit privatisierter Rentenversicherung sind Peru (1993), Kolumbien, Costa Rica, Ekuador, Uruguay (1994), Bolivien (1997), El Salvador (1998) und Panama (1999).
Kanada
Kanadas Rentenversicherung (Old Age Security System) wurde 1999 privatisiert, dazu wurde der Kanadische Rentenplan CPP eingerichtet. Zur Vorbereitung hatte die Regierung Paul Martin 1997 die Rentenbeiträge von 5,8% auf 9,9% erhöht. Natürlich entstand dadurch ab 1998 der beträchtliche Überschuß von 74 Mrd. Dollar, der bis 2015 weiter wachsen soll. Nach dem C-2-Gesetz aus dem Jahre 1999 wurde der Überschuß einem "Investitionsrat" des CPP, dem CPPIB, übergeben. Der Chefbuchhalter des CPP erhob den Vorwurf, dabei seien Zahlen gefälscht worden, die Regierung entließ ihn.
Der CPPIB beschreibt sich selbst so: "Wir sind ein Anlageunternehmen, das unabhängig vom CPP von erfahrenen Anlagenprofis geleitet wird, die aus der Privatwirtschaft kommen." Vorstandschef war von 1999-2004 John McNaughton, früher Präsident der Firma Nesbitt-Burns Investment Advisors, die mit der Bank of Montreal zusammenhängt.
- Schon in den ersten fünf Jahren unter McNaughton gab es ein Jahr, 2002, in dem der CPPIB 18,4 Mrd. Dollar aus dem CPP investierte und dabei 3 Mrd. Dollar verlor - ein Verlust von 15,9%. 2004 soll der Gewinn bei nur etwa 4% liegen.
- Der CPPIB steckte CPP-Gelder in ungewöhnliche Unternehmensgründungen oder Energiefirmen wie Talisman Energy, die zweifelhafte Investitionen im Sudan macht. Im Januar 2000 sagte McNaughton in einer Rede: "Wir sind langfristige Investoren. Wir können geduldig sein und Unternehmen in widrigen Zeiten unterstützen, wenn sie starke Vorstände haben..." 2003 steckte der CPPIB 50 Mio. Dollar in Canadian Venture Capital, einen Risikofonds für "Softwareunternehmen im Anfangsstadium" - usw.
- 2003 wurde der obligatorische Reservefonds des CPP zur Deckung von mindestens 90 Tagen Rentenauszahlungen abgeschafft, womit der CPPIB nunmehr über 100% der Überschüsse verfügen kann.
Schweden
1998 wurde die schwedische Rentenversicherung den "Märkten" geöffnet. 2,5% der Löhne und Gehälter (etwa ein Siebtel des gesamten Rentenbeitrags) flossen von da an in private Konten, die von Fonds verwaltet und auf der Börse angelegt wurden. Zuvor wollte eine riesige Werbekampagne im Fernsehen weismachen, damit würden alle Schweden Millionäre. Die meisten Schweden waren trotzdem gegen die Privatisierung, doch sie wurde gegen ihren Willen eingeführt. In einer schwedischen Fernsehdokumentation wurde am 29. Oktober 2004 enthüllt, daß die Behauptungen aus dem Jahre 1998 Lügen waren - darunter die völlig falsche "Warnung", schwedische Rentenkassen, die in sichere Staatsanleihen investierten, würden bald Verluste einfahren.
1998 änderten auch die vier großen öffentlichen Rentenkassen, die den Hauptteil der Rentenbeiträge verwalteten, ihre Strategie und legten 70% statt wie bisher 30% ihrer Gelder an der Aktienbörse an. Die Regierung ihrerseits ging begeistert daran, Überschüsse der Rentenkassen zur Bezahlung ihrer laufenden Ausgaben "auszuleihen", und freute sich schon auf schnelle Gewinne.
Dann platzte die Telekom-Blase. Die Rentenkassen verloren soviel, daß das gesetzliche Rentenalter in Schweden wahrscheinlich bald von 65 auf 69 Jahre heraufgesetzt wird. Auch die Arbeitnehmer verlieren auf ihren privaten Konten: 2003 haben etwa 87% der privaten Investoren in den 654 verschiedenen verfügbaren Anlagefonds Geld verloren; im Durchschnitt war der Verlust 10-20% im Jahr. Jetzt graut es den Beschäftigten und Rentnern in Schweden davor, ihren monatlichen roten Umschlag mit den Schecks und Kontenübersichten zu öffnen.
Großbritannien
Ein weiteres frühes Beispiel für eine katastrophal fehlgeschlagene Privatisierung, Großbritannien unter Margaret Thatcher, gerät seit kurzem prominent in die Medien. Ein Bericht eines Journalisten der Londoner Financial Times machte auch in den USA Schlagzeilen und wird in der Februarausgabe der Zeitschrift American Prospect erscheinen. Unter der Überschrift A Bloody Mess (Ein furchtbarer Schlamassel) heißt es: "Es war der größte Finanzskandal, den es bisher im Vereinigten Königreich gegeben hat." Die einzige Privatisierung, die noch älter und abstoßender ist, war die im faschistischen Chile.
In den Jahren 1984-88 erzwang die Regierung Thatcher eine Teilprivatisierung des Rentensystems. (Das alte entsprach etwa dem von Roosevelt eingeführten in Amerika.) Tatsächlich sorgten die privaten Rentenbeiträge ab 1988 für einen Aufschwung der Aktien- und Anleihemärkte in Großbritannien. Aber den meisten Arbeitnehmern brachte es solche Verluste, daß die Regierung Blair anordnete, ihnen 12 Mrd. Pfund Entschädigung zu zahlen, weil sie Opfer eines Betruges geworden seien!
Die erste Regierung Thatcher kürzte die Renten, ähnlich wie später Bush jun., indem sie diese an die Inflation statt an die Löhne koppelte. Die zweite Regierung Thatcher bewegte mit Bestechung (mit teuren Steuernachlässen, die aus der Staatskasse bezahlt wurden) und mit Beeinflussung durch eine gewaltige Medienkampagne bis 1991 insgesamt 4,3 Millionen Briten dazu, von öffentlichen auf private Rentenkonten zu wechseln. Doch spätestens Ende der 90er Jahre war absehbar, daß diejenigen, die gewechselt hatten, im Ruhestand viel schlechter dastehen würden. "Im Durchschnitt sanken die Rentengelder durch die Gebühren und Abgaben um bis zu 30%", so American Prospect.
Die Börseneinbrüche seit den späten 90er Jahren haben die Lage noch verschlimmert. "Dem Ministerium für Arbeit und Renten zufolge gaben allein im Jahre 2004 schon 500 000 Menschen die Privatrente auf und wechselten zurück ins staatliche System. Regierungsstatistiker rechnen damit, daß dieses Jahr weitere 250 000 zurückwechseln."
2004 gab die Vereinigung der britischen Versicherer ihren Mitgliedsunternehmen den dringenden Rat - um weitere Haftung auszuschließen - , alle noch privat Rentenversicherte zu warnen, sie "könnten eine schlechte Wahl" für ihre Altersversorgung getroffen haben.
*) "Pay as you go": Aus den laufenden Beitragszahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden die laufenden Rentenzahlungen an Rentner und Pensionäre finanziert. Dieses Umlageverfahren war in den meisten westlichen Ländern in den letzten Jahrzehnten Standard.
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