Februar 2006:

Wie lange hält sich der Euro noch?

Ex-Ministerpräsident Baden-Württembergs
Das Thema 'Euro' sorgt immer wieder für politischen Zündstoff, jedoch nur selten äußern sich Wirtschaftsexperten und Politiker so unverblümt wie jüngst Erwin Teufel zum Gemeinwohlprinzip und zur Währungsunion. Aber auch wenn sie dies nicht öffentlich erklären, erwarten immer mehr Experten inzwischen das Scheitern des Euro. Frank Hahn berichtet.

Unter der Oberfläche vorgetäuschter Selbstzufriedenheit und europäischer Einheits- und Friedensrhetorik gärt es erheblich. Wen wundert es, da doch jeder ökonomisch Gebildete weiß, wie sich die tektonischen Spannungen innerhalb der Euro-Zone zwischen den Ländern mit Handelsdefiziten und Handelsüberschüssen, zwischen einem Land wie Deutschland, das in den letzten zehn Jahren reale Lohnsenkungen verkraften mußte, und Ländern mit teilweise deutlichen Lohnsteigerungen wie Italien verschärfen.

Dennoch gilt es fast als "außerirdische Erscheinung", wenn ein Politiker in der Öffentlichkeit den schmalen Konsens-Korridor verläßt, auf den sich seine Schrittfreiheit eigentlich einengen lassen sollte.

Erwin Teufel über die Entstehung des Euro

Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel traute sich jedoch, die Grenze dieses Korridors zu überschreiten. Dies geschah anläßlich eines Vortrags an der Berliner Humboldt-Universität zur Zukunft Europas.

Teufel hatte bereits in deutlichen Worten das "Hineinregieren" Brüssels in die nationalen und lokalen Belange verurteilt, wobei er besonders die sog. "Bolkestein-Richtlinie" attackierte. Aber er hatte auch ein "Patentrezept" parat, wie er es selbst nannte: das Subsidiaritätsprinzip, wie es seinerzeit in der päpstlichen Enzyklika Quadragesimus annus im Jahre 1931 entwickelt worden war.

Angewandt auf die europäische Problematik hieße dies heute: "Europa soll sich nur um die Bereiche kümmern, für die die Kraft des Nationalstaates nicht ausreicht". Dazu zählte Teufel die Außen- und Verteidigungspolitik, die Großforschung, allerdings auch die Währungs- und Wettbewerbspolitik, da wir nun einmal einen gemeinsamen Markt und eine gemeinsame Währung etabliert hätten.

In der anschließenden Diskussion wurde nachgefragt, ob denn nicht gerade der gemeinsame Markt und der Euro die Menschen gegen die EU aufbrächten; immerhin hätten in einer neuesten Umfrage in Deutschland 84 Prozent der Bürger ihre Angst vor Arbeitsplatzverlust mit der Politik der EU begründet. Teufels Antwort war überdeutlich: "Wenn ein großer Konzern wie Nestle plötzlich entdeckt, daß man mit Wasser guten Umsatz machen kann, und die lokale Wasserversorgung von Kommunen übernimmt, da muß der Staat einschreiten, denn die kommunale Daseinsvorsorge und das Gemeinwohl müssen verteidigt werden gegen private Interessen!"

Nach diesem überraschend erfrischenden Hieb auf den Neoliberalismus präsentierte Teufel auch hinsichtlich der Entstehung des Euro einmal die pure Wahrheit: "Kohl wollte den Euro nicht, da er immer darauf bestand, erst die politische Union und dann die Währungsunion herzustellen. Aber man kann in den Dokumenten des Elysée-Palastes nachlesen, daß François Mitterand als Vorbedingung für das französische Ja zur Wiedervereinigung auf der raschen Einführung des Euro bestand ... Von einer gewissen Dame in London wollen wir lieber gar nicht reden ... Kohl hat sich dann in einer Art Güterabwägung für die Einheit und gegen die D-Mark entschieden." Um etwaige Aufregungen gleich zu unterbinden, schob Teufel die "beruhigende Nachricht" ein, der Euro sei aber stabil, jedenfalls bis jetzt noch. Allerdings sei das Euro-System aus gutem Grund nicht unbestritten!

Ökonomen warnen vor dem Ende des Euro

Dies zeigte sich auch beispielhaft in Hintergrundgesprächen dieser Zeitung mit zwei führenden Ökonomen aus dem Umfeld der Regierung. Man teile die Analyse des UNCTAD-Chefökonomen Heiner Flassbeck zu den Euro-Spannungen, war zu hören.

Der frühere deutsche Finanzstaatssekretär hatte in einem Editorial für die Financial Times Deutschland auf die ständig wachsenden Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU) hingewiesen. Eine gemeinsame europäische Währung hätte auch eine gemeinsame Tarifpolitik nötig gemacht. Die deutsche Wirtschaft sei völlig von ihrem Exportboom abhängig geworden, während die Reallöhne und daher auch die Binnennachfrage schrumpften, schrieb Flassbeck. Gleichzeitig wiesen andere EWU-Länder hohe Handels- und Zahlungsbilanzdefizite auf und häuften daher immer höhere Auslandsschulden an. Durch die vergleichsweise niedrigen Löhne in Deutschland hätte die deutsche Wirtschaft einen enormen Wettbewerbsvorteil, den man früher entweder durch eine Aufwertung der D-Mark oder eine Abwertung der Lira, des Franc oder der Peseta ausgeglichen hätte.

Als Äquivalent dieses währungspolitischen Mechanismus bliebe im Euro-Raum nur die Angleichung der Löhne - entweder müßte Deutschland die Löhne anheben oder Italien die Löhne senken. Da beides nicht zu erwarten sei, müsse man vielmehr damit rechnen, daß z.B. ein Land wie Italien die Europäische Währungsunion verläßt. Das wäre das Ende des Euro.

Einer der Ökonomen wies in diesem Zusammenhang auf die katastrophalen Auswirkungen des Stabilitätspakts von Maastricht hin. Wie im neuesten Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung nachzulesen ist, sind tatsächlich die jährlichen staatlichen Nettoanlageinvestitionen seit 1997 regelrecht weggebrochen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gingen sie zunächst auf 0% zurück, seit 2003 bewegen sie sich sogar im negativen Bereich. Dies ist der empirisch nachweisbare Maastricht-Effekt gewesen!

Es wäre allein vor diesem Hintergrund dringlichst erforderlich, daß die Bundesregierung einen "Notfallplan" entwickelt für die Zeit nach dem Euro und nach Maastricht, denn auf lange Sicht hat dieses System keine Zukunft. Man muß natürlich die europäische Krisenlage als Teil der globalen Zusammenbruchskrise des Finanzsystems begreifen - dann wird es umso unheimlicher, daß unsere Regierungen "so in den Tag hinein leben".

In dem erwähnten Hintergrundgespräch wurde ausdrücklich darauf verwiesen, daß jeder externe Schock (Ölpreis, Aktien- oder Immobiliencrash etc.) für die deutsche Wirtschaft katastrophale Auswirkungen habe, da wir keine "Polsterung" mehr besäßen, die diesen Schock auffangen könnte. Schlimmer noch: Kommen die Schocks nicht gerade von außen, dann bereiten wir sie uns selbst. Die für 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung werde wie eine schockartige Erhöhung des Ölpreises um 30-40% wirken! Im Finanzministerium aber wird nur "schöngerechnet", um wieviel "reicher" der Staat durch die höheren Steuereinnahmen werde.

Offenbar steuern die Ideologen in Regierung, Medien und Wissenschaft das Wirtschafts- und damit Staatsschiff ohne Bewußtsein, aber akkurat auf den Abgrund zu. Wir brauchen dringendst eine Notkonferenz der Wenigen mit wirtschaftlichem Sachverstand - und zwar auf internationaler Ebene - , damit wir nicht bald ganz hart aufprallen.

Dieser Sachverstand existiert auch in Deutschland - und wenn die wenigen klugen Ökonomen auch in der Minderheit sind, sie müssen sich Gehör verschaffen. Denn so wie wir nach dem Krieg das Land mit Hilfe der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau aus Ruinen wieder aufgebaut haben, und so wie die erste große Koalition 1967 mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz eine Million Arbeitsplätze geschaffen hat, können und müssen wir ähnlich mutige Schritte heute gegen die vermeidbare Krise unternehmen.


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