Februar 2006:

Die BüSo in Straßburg:
Protest gegen die Dienstleistungsrichtlinie.

Demonstrationszug in Straßburg
Am 14. Februar demonstrierten rund 40.000 Gewerkschafter aus ganz Europa gegen die Bolkestein-Richtlinie, die inzwischen "teilentzahnt" vom Europäischen Parlament in erster Lesung verabschiedet wurde. Auch die BüSo Baden-Württemberg nahm mit einer Flugblattaktion an der Demonstration teil.

Es berichtet Renate Leffek-Pauls, Landesvorsitzende der BüSo Baden-Württemberg.

Dem Aufruf der europäischen Gewerkschaften zur Demonstration gegen die Bolkestein-Richtlinie folgten 30-40 000 Menschen nach Straßburg. Wie schon im Januar protestierten die Gewerkschaften gegen die völlige Deregulierung der Dienstleistungsmärkte und das "Herkunftslandprinzip", denn bei dem riesigen Lohn- und Sozialgefälle in der Europäischen Union der 25 kann dabei nur Lohn- und Sozialdumping herauskommen.

Die Mehrzahl der Demonstranten kam natürlich aus Frankreich und bestimmte mit den roten Fahnen der kommunistischen und sozialistischen Gewerkschaften CGT und CFDT sowie der FO das Bild. Immerhin hatte der Streit über den "Bolkestein-Hammer" zum Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich beigetragen. Auch die deutschen Gewerkschaften kamen mit einem großen Aufgebot (ca. 17 000) nach Straßburg. Entsprechend viele Fahnen von IGM, ver.di, IGBE und GEW waren zu sehen. Sie kamen aus München, von der Schwäbischen Alb, Stuttgart bis Frankfurt und Rüsselsheim, um gegen Liberalisierung und für soziale Sicherheit zu demonstrieren. Sogar aus Griechenland, Polen, Italien, Portugal, den Niederlanden und Österreich kamen Demonstranten nach Straßburg zum Europa-Parlament.

Einige Deutsche waren erstaunt, hier mit den Polen und Ungarn gemeinsam für gerechte Löhne auf die Straße zu gehen, halten viele doch die "Neu-Europäer" fälschlich für die Ursache der Billiglöhne. In Wirklichkeit profitierten vom "Herkunftslandprinzip" aber nur solche Firmen, die es in Verbindung mit der Niederlassungsfreiheit auszunutzen gedenken. Die ärmeren Länder sind hingegen der EU in der Hoffnung beigetreten, daß ihr Lebensstandard sich an den höheren in den wohlhabenderen EU-Ländern anpassen würde.

Eindrücke von der Demo

Auch Mitglieder der BüSo waren in Straßburg - natürlich, um gegen die Bolkestein-Richtlinie zu demonstrieren, aber auch, um auf das eigentliche Problem der EU hinzuweisen: den Maastrichter Vertrag, der den Europäern die EZB-Oberherrschaft und die widersinnigen Sparkriterien bescherte. Außerdem wollte die BüSo auf die gefährliche Zuspitzung der Irankrise hinweisen, die Helga Zepp-LaRouche in ihrem Flugblatt (siehe Neue Solidarität 7/2006) beschrieben hat. Fast 5 000 Exemplare wurden vorwiegend an die deutschen Demonstranten verteilt. Viele sagten: "Das habe ich schon in Frankfurt, in Wiesbaden, in Rüsselsheim bekommen."

Etwas befremdend wirkte es, als man durch einen Lautsprecher singen hörte: "Völker hört die Signale...." Man vermutete erst die kommunistische CGT, um dann festzustellen, daß diese Töne von einem unverbesserlichen 68er Gewerkschafter aus Frankfurt kamen. Derselbe Mann rief: "Nehmt keine Flugblätter von der BüSo, die ist vom CIA finanziert."

Die Demonstranten scherten sich aber nicht um ihn. Im Gegenteil, als Demonstranten mit einem fahrbaren Lautsprecher ankamen, boten sie der BüSo das Mikrophon an, und so konnte die BüSo erläutern, warum Maastricht ganz Europa ruiniert und deswegen aufgekündigt werden muß. Fast alle stimmten dem zu. Die BüSo wurde auch von Gewerkschaftern aus Leipzig und Dresden begrüßt: "Was, die BüSo auch hier? Was macht ihr hier?"

Da die meisten Menschen sehr besorgt über die Lage waren, interessierten sich viele Demonstranten sehr für das Flugblatt von Helga Zepp-LaRouche über die Irankrise und rissen dem BüSo-Vertreter förmlich die Flugblätter aus den Händen.

Das Bild der Demonstration zeigte nicht nur die kämpferische Seite, sondern auch eine andere. Das Bild der Armut, das eines zerstörten Europas. Vielen Demonstranten stand die Armut in den Gesichtern geschrieben. Sicherlich sind viele von ihnen schon eine ganze Zeit arbeitslos und haben die Hoffnung auf ein besseres Europa verloren.

Herkunftslandprinzip gestrichen

Eine eifrige Kämpferin gegen Bolkesteins Monster-Richtlinie war die Berichterstatterin im Parlament, Evelyne Gebhardt (SPD). Sie kritisierte seit langem den Entwurf als völlig mißlungen, da er den Eindruck erwecke, daß die Interessen der "alten" Mitgliedstaaten gegen die Interessen der "neuen" ausgespielt werden sollte - womit sie wirklich recht hat.

Ihr Ziel war es, das Herkunftslandprinzip aus der Richtlinie herauszunehmen und die Arbeitnehmerrechte, sozialen Rechte, und die Rechte der Verbraucher in den Mitgliedsstaaten zu sichern. Im November 2005 gelang ihr das noch nicht: Damals wurde lediglich das Wort "Herkunftslandprinzip" aus der Richtlinie gestrichen und "Herkunftsland" in "Mitgliedstaat der Niederlassung" umbenannt. Erst eine Woche vor der Debatte im Europaparlament kam es zu einem Kompromiß zwischen Christdemokraten (EVP) und Sozialdemokraten (PSE), der die Streichung des Herkunftslandprizips vorsah.

In ihrer Rede vor dem Parlament sagte Frau Gebhardt am 14. Februar: "Die Europäische Union dient dem Wohlergehen von 470 Millionen Bürgerinnen und Bürgern gleichremaßen und nicht den Shareholder-Values oder Marktmechanismen der Liberalisierungshaie... Diese Richtlinie muß die Eigenheiten in den Mitgliedstaaten respektieren und die Gefahr einer Abwärtsspirale bei den Lohn und Arbeitsbedingungen, bei der Qualität, beim Schutz der Verbraucher und für die Umwelt ausschließen."

Sie forderte auch, daß die Dienstleistungen in Europa freizügig sein sollen - aber auch fair. Das gehe allerdings nur bei den marktfähigen kommerziellen Dienstleistungen. Die von Zeitarbeitsfirmen betriebene moderne Sklaverei ist für sie keine akzeptable Dienstleistung.

Das Problem ist jedoch: Solange das Maastrichter Sparkorsett nicht abgeschafft wird, sind viele gute Vorschläge von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Das Europaparlament stimmte am 16. Februar der teilentzahnten Dienstleistungsrichtlinie in erster Lesung zu. Das umkämpfte Herkunftslandprinzip, nachdem die Dienstleister bei Arbeiten im EU-Ausland nur den Regeln ihres jeweiligen Heimatlandes unterworfen werden sollten, wurde gestrichen, und eine Reihe von Berufsgruppen (u.a. Gesundheitswesen und kommunale Versorgungsbetriebe) von der Richtlinie ausgenommen. Das ist kein wirklicher Erfolg, sondern bloß ein Kompromiß. Mit dem EU-Gesetz können Dienstleister ihre Arbeit künftig ohne bürokratische Barrieren in der ganzen EU anbieten.

Die Gewerkschaften und Sozialdemokraten und auch der Mittelstand betrachten diese Entwicklung weiterhin kritisch. Dazu haben sie auch guten Grund, denn die Parlamentsabstimmung ist nur der erste Schritt des Gesetzgebungsverfahrens. Jetzt ist wieder die EU-Kommission am Zuge. Bereits vor der Abstimmung erklärte EU-Kommissar Vladimir Spidla, man werde die Entscheidung des Europaparlaments nicht einfach übernehmen, sondern einen Kompromißvorschlag vorlegen. Er sei sicher, daß durch die Richtlinie mehr Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen würden als verloren gehen. Die Frage ist jedoch: Welche Arbeitsplätze, für wen und zu welchen Bedingungen?


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