Während der letzten Jahrzehnte ist das Bildungs- und Denkniveau in den Bevölkerungen Europas und Amerikas dramatisch verfallen. Jüngste Ereignisse wie der Amoklauf eines Studenten an einer Technischen Universität von Virginia stellen nur die äußerste Perversion einer Gegenkultur dar, die den Menschen auf das Niveau eines niederträchtigen, aber vermeintlich zu schlauen Tieres reduziert. Die Sex-Drogen-Rock-Gegenkultur ist allerdings weder ein natürlicher noch ein erstrebenswerter Zustand, in dem sich die Jugendlichen seit der 68er-Revolution befinden. Im Gegenteil: Während der letzten Jahrzehnte wurden früher erfolgreiche Bildungsideale, wie das Humboldtsche Bildungssystem, einfach aus dem Fenster geworfen, Schulen und Universitäten wurden Opfer rücksichtsloser Sparpolitik.
Lyndon LaRouche fordert deswegen junge Menschen auf, die Identität der „No-future Generation“ zu bekämpfen und die Generation der heute 18-25Jährigen in eine Renaissance-Generation zu verwandeln. Dazu müsse auf die effektivste Weise ein Standard von wirklicher Kultur und Wissenschaft etabliert werden, der es jungen Menschen ermöglicht, in Politik und Gesellschaft einzugreifen, um ein finsteres Zeitalter abzuwenden, indem eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung geschaffen wird, die der gesamtem Menschheit dauerhaft zugute kommt. Die Einheit zwischen Wissenschaft und Kunst müsse wieder hergestellt werden, da auch der menschliche Geist eine Einheit bildet. In anderen Worten: das Verhältnis des Menschen zur Natur sowie der Menschen untereinander ist durch den menschlichen Geist verstehbar und veränderbar. Im Bereich der Kunst und klassischen Musik arbeitet die LYM insbesondere an Chorwerken wie J.S. Bachs „Jesu meine Freude“ und W.A. Mozarts „Ave verum corpus“.
Johannes Kepler (1571-1630) sei, so LaRouche, am besten geeignet, eine Methode wirklich wissenschaftlicher Arbeitsweise neu zu etablieren. Kepler ist heute den meisten durch seine drei Gesetze der Planetenbewegung und die Entdeckung der Gravitation bekannt. Wenige wissen, daß ein Denker wie Kepler jeden einzelnen seiner Gedankengänge, die er auf dem Wege zu seinen Entdeckungen durchlaufen mußte, inkl. der Sackgassen, für die Nachwelt erhalten hat. Sein Mysterium Cosmographicum (Weltgeheimnis), die Neue Astronomie und die Weltharmonik geben einen fantastischen Einblick in seine Werkstatt. Kepler behandelt von der Aufzeichnung astronomischer Messungen über Fragen der Methode bis zu seiner Sicht auf Gott und das Universum alles, was seinen einzigartigen Geist ausmacht und was ihm seine Entdeckungen ermöglichte. Kepler kann daher als einer der Begründer der modernen Naturwissenschaft gelten.
Wenn man heute vom Sonnensystem spricht, denken die meisten Leute an eine Scheibe, die man sich wie aus einer Höhe von einigen hundert Millionen Kilometer beobachtet vorstellt (Abbildung 1). Da natürlich noch kein Mensch das wirklich so gesehen hat, sind daher ein paar Worte angebracht über die Himmelsbewegungen, wie sie am Himmel tatsächlich zu beobachten sind und wie sie dem Menschen seit Olims Zeiten zu schaffen machten, bis Kepler sie schließlich in ihre Ordnung zu bringen wußte. Neben den sich schön regelmäßig bewegenden Fixsternen fand man nämlich fünf Irrsterne (griechisch: πλανητης): Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, die sich immer auf sehr eigentümliche Weise bewegten.
Kepler schrieb dazu: „So zeigte sich zunächst, daß die drei oberen Planeten Saturn, Jupiter und Mars ihre Bewegungen nach ihrer Lage zur Sonne regulieren. Denn wenn sich die Sonne ihnen näherte, liefen sie vorwärts, und zwar schneller als sonst. Wenn aber die Sonne zu den den Planeten gegenüber liegenden Zeichen kam, liefen sie eine bereits durchlaufene Strecke im Krebsgang wieder zurück; in der Zwischenzeit kamen sie zum Stillstand; und zwar wiederholte sich dieser Wechsel, in welchen Zeichen des Tierkreises auch sich die Planeten aufhielten. [...] Weiter aber bemerkte man, daß die Schleifen dieser Windungen [...] ungleich sind, so daß ein Planet am einen Ort um einen längeren, am anderen um einen kürzeren Bogen, bald längere, bald kürzere Zeit rückläufig wurde; auch zeigte der Planet nicht immer den gleichen Helligkeitszuwachs.“1
Der Mars vollführt ca. alle zwei Jahre diese stets ungleiche Schleifenbewegung (Abbildung 2). Es war jedoch unmöglich, diese mit einer absoluten Genauigkeit vorherzubestimmen, was zuweilen zu einiger Frustration führte, wie folgendes Zitat belegt:
„Über Georg Joachim Rhaeticus, den zu Väterzeiten wohlberühmten Schüler des Copernicus, [...] geht folgende Sage: Als er einst voll Verwunderung bei der Beobachtung des Mars stecken blieb und keinen Ausweg mehr wußte, habe er seine Zuflucht zu dem Orakel seines vertrauten Schutzgeistes genommen, sei es in der Absicht, (mit dem Willen der Gottheit) dessen Willen zu erforschen, oder aus ohnmächtigem Verlangen nach Wahrheit. Da habe der unholde Beschützer gereizt den lästigen Frager am Haar gepackt und abwechselnd mit dem Kopf oben an die Decke angeschlagen und dann wieder herabgelassen und seinen Körper auf den Boden niedergestoßen, wozu er den Orakelspruch fügte: ,Das ist die Bewegung des Mars’.“2
Kepler zeigte im ersten Teil der Neuen Astronomie, daß alle drei Systeme mathematisch und geometrisch vollständig gleichwertig sind, und daß die Wahl zwischen ihnen reine Geschmackssache sei und der Freiheit der Meinung unterliege; d.h., jeder der drei, Ptolemäus, Kopernikus und Brahe hatte seine eigene Wahrheit, oder besser gesagt gar keine. Die „Kopernikanische Revolution“, die Sonne in die Weltmitte zu setzen, war also gar keine Revolution, sie hat das mittelalterliche Denken gar nicht umgeworfen, sondern lediglich alte Axiome3 in eine neue Form gebracht. Abbildung 3 stellt die „Gleichwertigkeit der Hypothesen“ dar.
Dazu Näheres: Das wichtigste alte Axiom der Planetenbewegung geht auf Aristoteles (384-322 v.Chr.) zurück, es lautet in etwa: Alle Bewegungen am Himmel geschehen kreisförmig, oder auf mehreren, zusammengesetzten Kreisen.4 Auch Kopernikus hielt sich peinlich genau an dieses Axiom. Doch gerade dieses Festhalten an Axiomen (oder alten Gewohnheiten), welche sie im besonderen es auch sein mögen, ist ein grundlegendes methodologisches Problem.
Schon Heraklit (ca. 500 v.Chr.) stellte fest, daß es nichts Festes, außer der Veränderung gäbe. Natürlich wird jeder Mensch zugeben, daß überall Bewegung und Veränderung stattfindet, jedoch stellt das aristotelische Dogma der vollkommenen Kreisbewegung am Himmel den Versuch dar, Bewegung, auch sehr komplexe, aus einer starren, unveränderlichen und daher immer wieder in sich zurückkehrenden Mechanik abzuleiten. Damit ist Veränderung kein ontologisch primäres Prinzip im Universum mehr, sie wird auf eine spezielle Form der Starrheit oder Sturheit reduziert. Mit anderen Worten: Man behauptet damit, daß im Himmel und auf Erden eigentlich immer alles gleich bleibt. Damit gibt es auch keinen Platz mehr für Kreativität; der Schöpfungsprozeß ist abgeschlossen, und Gott und die Menschen sind nur noch impotente Eunuchen. Menschliche Freiheit besteht dann nur noch darin, Kommentare über die Welt zu schreiben, die nichts bewirken; das sieht zwar manchmal hochtrabend wissenschaftlich aus, hat aber ungefähr den geistigen Gehalt von abgestandenem Wischwasser.
Diese explizit impotente mittelalterliche Sicht wurde schon von Kardinal Nikolaus von Kues (1401-1464) abgelehnt. Ein Auszug aus seiner Schrift Von der belehrten Unwissenheit soll das belegen:5
„Der Mittelpunkt der Welt fällt also mit ihrem Umfang zusammen. Die Welt hat demnach keinen Umfang, denn hätte sie einen Mittelpunkt, so hätte sie auch einen Umfang und hätte somit in sich ihren Anfang und ihr Ende. Und die Welt wäre gegen etwas anderes abgegrenzt, und außerhalb der Welt gäbe es etwas anderes und gäbe es Ort. Das alles entspricht nicht der Wahrheit. Da deshalb ein Eingeschlossensein der Welt zwischen einem körperlichen Mittelpunkt und einem Umfang unmöglich ist, so läßt sich die Welt nicht verstehend begreifen, deren Mittelpunkt und Umfang Gott ist. Und obwohl die Welt nicht unendlich ist, so läßt sie sich doch nicht als endlich begreifen, da sie der Grenzen entbehrt, innerhalb deren sie sich einschließen ließe.“
Ein starres Universum ohne Veränderung ist also nicht denkbar. Doch weiter mit Kues:
„Die Erde, die nicht Mittelpunkt sein kann, kann also nicht ohne jede Bewegung sein. [...] Wie also die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist, so ist auch die Fixsternsphäre nicht ihr Umkreis [...] Und auch der Mittelpunkt der Welt liegt nicht eher innerhalb als außerhalb der Erde, noch besitzt auch die Erde oder irgendeine Sphäre einen Mittelpunkt. Denn da der Mittelpunkt ein Punkt ist, der gleiche Entfernung vom Umfang hat, und es nicht möglich ist, daß es eine absolut wahre Sphäre oder einen absolut wahren Kreis gibt, ohne daß ein wahrerer sich geben läßt, so ist es einleuchtend, daß kein Mittelpunkt gegeben werden kann, ohne daß ein wahrerer und genauerer gegeben werden könnte. Ein genau gleicher Abstand zu verschiedenen Punkten läßt sich außer Gott nicht finden, da er allein die unendliche Gleichheit ist. Er, der also der Mittelpunkt der Welt ist, der gebenedeite Gott, er ist auch der Mittelpunkt der Erde und aller Sphären und aller Dinge, die in der Welt sind. Er ist zugleich der unendliche Umfang von allem.“
Kepler verstand es, sich das Denken des Nikolaus von Kues zueigen zu machen. Aus erkenntnistheoretischen Gründen war es Kues und Kepler klar, daß die Erde nicht still stehen konnte, und daß das Axiom der perfekten Kreisbewegung widersinnig sein mußte. Kepler bringt dieses Denken auch in seinem Mysterium Cosmographicum zum Ausdruck. Er zeigt, daß jede mögliche Position der Planeten am Himmel einzigartig ist: „Also sind die Bewegungen unter sich irrational und kehren daher nie wieder zur Anfangslage zurück, auch wenn sie unendlich viele Jahrhunderte dauern würden. In keinem noch so großen Zeitabschnitt hätten wir ein gemeinsames Maß, das öfter wiederholt werden könnte und ein Ende aller Bewegungen, einen Abschluß für das Platonische Jahr setzen würde.“6
Beide, Kues und Kepler, zeigten, daß sich das Universum in einem ständigen Prozeß des Entstehens befindet. Der Schöpfungsprozeß spielt sich vor den Augen der Menschen ab, mehr noch, der Mensch kann diesen Prozeß verstehen und durch seine Aktivitäten auch über die Erde hinaus beherrschen, was natürlich auch weitreichende politische Konsequenzen hat. Die Idee einer quasi babylonischen Priesterkaste in Form von blöden Professoren, dummem Fernsehgeschwätz, dämlichem Blabla von geistigen Tieffliegern (genannt Politiker), die ihre Wählerschaft für eine Bande von Idioten halten etc., gehört nicht in eine Welt, in der man (hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft) an jeder Mittelschule Kepler studieren kann und sich fit macht, den Mars zu besiedeln.
Doch zurück zur Neuen Astronomie. Nachdem Kepler im ersten Teil zeigte, daß alle drei Weltsysteme mathematisch und geometrisch gleichwertig sind, würden die meisten sicherlich aufgeben, da man keinem der Weltsysteme einen größeren Wahrheitsgehalt zuschreiben kann. Kepler hingegen unternimmt die Anstrengung, die wahren Verhältnisse zwischen Erde, Sonne und Mars zu bestimmen. Er geht dabei auf alles ein: Beschaffung der Meßdaten, Prüfung der Messungen, Verbesserung bestehender Tabellen etc.
Daraus ergibt sich ziemlich schnell ein Berg von Problemen. So befinden wir uns selbst auf einem Planeten, der Erde, deren Bewegung uns unbekannt ist. Wie wollen wir von einem Beobachtungspunkt, dessen Position wir nicht kennen, die Bewegungen des Mars bestimmen? Das wird noch dadurch verkompliziert, daß die Ebene der Marsbahn zur Ekliptikebene (Weg der Sonne am Himmel im Laufe eines Jahres) geneigt ist. Von der Erde aus lassen sich die wahren Neigungswinkel nicht ohne weiteres messen. Wie groß sind die Abstände zwischen Sonne, Erde, Mars, den anderen Planeten und womöglich den Fixsternen? Macht es eigentlich einen Unterschied, kurz nach Sonnenuntergang oder kurz vor Sonnenaufgang zu messen?
Hier eines von Keplers Gedankenexperimenten: Gesetzt den Fall, die Sonne organisiert den Lauf der Planeten, was als nicht unwahrscheinlich erscheint, da sie der größte und hellste aller Sterne ist, wäre es nicht am einfachsten und sinnvollsten, Erde und Mars von der Sonne aus zu beobachten? Recht schnell könnte man die Neigungswinkel der Marsebene ermitteln, inkl. der Knotenpunkte (Schnittpunkte mit der Ekliptikebene) und der Wendepunkte (maximale Neigungswinkel). Bequem könnte man alle Bewegungen, das Langsamer- und das Schnellerwerden jedes einzelnen Planeten genau bestimmen. Nun stand bis zum heutigen Tage niemand auf der Sonne. Ist es aber möglich, von der Erde aus so zu beobachten, als stünde man auf der Sonne? Kepler stellt zu diesen und weiteren Fragen eine Menge Hypothesen auf, d.h. er führt viele Gedankenspiele durch, die in diesen Fragen weiterhelfen sollten.
Die Antworten stehen in Keplers Buch. Ich kann nur jeden ermuntern, die entsprechenden Kapitel (7-15) in der Neuen Astronomie durchzuarbeiten.
Unter Einhaltung der Axiome der alten Astronomie macht sich Kepler daran, die Marsbahn zu bestimmen, d.h. er sucht nach einer perfekten Kreisbahn, in der allerdings der Beobachtungspunkt B vom Kreismittelpunkt A verrückt ist (Abbildung 4). Auch sei ein Ausgleichspunkt C vorhanden, um den in gleichen Zeiten gleiche Winkel beschrieben werden. Die Punkte A,B,C,H,I sollen auf einer Linie, der Apsidenlinie, liegen. I sei der Punkt der schnellsten und H der Punkt der langsamsten Bewegung. Die vier gemessenen Marspositionen D,E,F,G müssen auf den entsprechenden Kreis passen.
Mit diesen Forderungen führt Kepler den Realitätstest für die Axiome der alten Astronomie durch. Er ging damit weiter, als die Alten es je gewagt hätten. Ptolemäus gab sich damit zufrieden, drei Marspositionen auf einen Kreis zu bringen.
Wie jedes Kind weiß, passen drei Punkte immer auf einen Kreis. Nach langen und komplizierten Berechnungen gelingt Kepler schließlich das Wunder: Alles paßt auf einen Kreis, der Kreismittelpunkt sitzt an der richtigen Stelle, die vier Punkte D,E,F,G sitzen auf dem Umfang etc. Die Berechungen stimmen endlich ausreichend mit allen Beobachtungen überein. Der Leser ist erst einmal verblüfft. Wie das? Wollte Kepler nicht die alten Axiome vom Ausgleichskreis aus dem Fenster werfen? Warum zeigt er in seitenlangen Rechnungen, daß der Mars doch auf eine Kreisbahn paßt?
Doch Geduld! Noch wurden nur die Längenbewegungen in das Korsett des (so gut man damals messen konnte) perfekten Kreises gezwungen. Alle Berechnungen wurden wie in einer flachen Ebene durchgeführt; es wurde völlig außer acht gelassen, daß, wie oben bemerkt, die Marsebene zur Ekliptikebene geneigt ist! In Kapitel 19 und 20 schließlich geht es darum, die Marsbahn so zu berechnen, daß auch die Bewegung in den Breiten auf den gleichen Kreis paßt. An diesem Punkte endlich gerät das alte Weltbild völlig aus den Fugen. Es bleibt ein Fehler von ca. 8 Bogenminuten in der Länge bestehen, der sich nicht beseitigen läßt.
Kepler schlußfolgert: „Wir hatten aber angenommen, daß die Bahn, auf der der Planet seinen Umlauf ausführt, ein vollkommener Kreis ist, ferner daß es auf der Apsidenlinie einen einzigen Punkt gibt, in einem bestimmten, festen Abstand vom Mittelpunkt des Exzenters, an dem Mars in gleichen Zeiten gleiche Winkel bildet. Eine dieser beiden Annahmen ist also falsch oder vielleicht alle beide. Denn die benützten Beobachtungen sind nicht alsch.“7
Weiter unten heißt es: „Für uns, denen die göttliche Güte in Tycho Brahe einen so sorgsamen Beobachter geschenkt hat, aus dessen Beobachtungen der Fehler der ptolemäischen Rechnung im Betrag von 8' sich verrät, geziemt es sich, daß wir dankbaren Sinnes diese Wohltat Gottes anerkennen und ausnützen. Das heißt, wir sollen uns Mühe geben, daß wir [...] endlich die wahre Form der Himmelsbewegungen aufspüren. Diesen Weg will ich im folgenden selber nach meiner Weise anderen vorangehen. Denn wenn ich geglaubt hätte, man dürfe diese 8' in der Länge vernachlässigen, so hätte ich die im 16. Kapitel aufgestellte Hypothese [...] bereits hinreichend verbessert. Da jener Fehler jetzt nicht vernachlässigt werden durfte, so wiesen allein diese 8' den Weg zur Erneuerung der ganzen Astronomie; sie sind der Baustoff für einen großen Teil dieses Werkes geworden.“8
Keplers besondere Liebe zur Wahrheit kommt noch einmal im 21. Kapitel („Begründung, warum eine falsche Hypothese etwas Richtiges ergibt und wieweit dies der Fall ist“) zum Ausdruck: „So geschieht es infolge einer derartigen Ausgleichung der verschiedenen Ursachen, wo ein Fehler den anderen aufwiegt, daß die Rechnung die Grenze der Wahrnehmbarkeit erreicht und die Fehlerhaftigkeit der speziellen Hypothese nicht erkannt werden kann. Daher kann sich diese verschmitzte Metze nicht rühmen, die Wahrheit (das so sittsame Mädchen) in ihr Lusthaus geschleppt zu haben. Eine ehrbare Frau folgt dicht hinter einer Metze wegen der Enge des Weges und dem Gewirr der Menschen; und da haben dumme triefäugige Professoren voll logischer Spitzfindigkeiten, die ein anständiges Gesicht von einem schamlosen nicht unterscheiden können, geglaubt, die sei die Zofe dieser Metze.“9
Kepler zeigte also genau, inwieweit die alten Regeln eine Berechnung der Marsbahn zuließ, führte einen entscheidenden Test durch, den vor ihm niemand so recht wagte, und zeigte schließlich, daß die alten Annahmen nicht stimmig waren. Damit war nun die Tür für eine der grundlegendsten Entdeckungen der Moderne aufgestoßen! Nun folgt die Arbeit an Teil 3, 4 und 5 der Neuen Astronomie.
Noch ein Wort zur Methode: Der Grund für die „Erneuerung der ganzen Astronomie“, die nun folgt, waren nicht etwa die 8 Bogenminuten, die die Beobachtungen von den Berechnungen abwichen; vielmehr wußte Kepler schon von Nikolaus und den alten Griechen, daß das Universum nicht starr und mechanistisch arbeitet, und daß Euklid, Aristoteles und Ptolemäus Schwindler waren. Sein offener, humorvoller, stets den Grund der Dinge aufsuchende Geist ermöglichte es ihm, auf die Dinge zu achten, vor denen die Masse - auch die Wissenschaftler - blind ist. Die Frage der Methode ist entscheidend, Kopernikus setzte zwar die Sonne in die Mitte, konnte aber nicht wissen warum, da ihm das tiefere Verständnis eines Nikolaus und eines Kepler fehlte.
Anmerkungen
1. Johannes Kepler, Astronomia Nova, Neue, ursächlich begründete Astronomie, Marix-Verlag GmbH, Wiesbaden 2005, 1. Kapitel, S.82 ff
2. Ebenda, S.7
3. Axiome sind unbewiesene Lehrsätze. Sie gelten als Prinzipien, die den Sinnen unmittelbar einleuchten und deshalb nicht bewiesen werden bzw. einem Beweis nicht zugänglich sind. Der Begriff des Axioms geht auf Euklid und Aristoteles zurück. Lyndon LaRouche fordert in Anlehnung an Bernhard Riemann eine Wissenschaft, die von Axiomen, Definitionen und Postulaten frei ist. Damit einher geht die Forderung nach einer voreuklidischen bzw. antieuklidischen Geometrie im Schulunterricht. Es wurde noch keine einzige wissenschaftliche Entdeckung mit Hilfe von Axiomen, Definitionen und Postulaten gemacht, da sie nur logische Schlüsse zulassen, aber 1. deren Grundlage nicht hinterfragen und 2. eine wirkliche Entdeckung immer mit einem Bruch alter Logik und altem Verständnis einhergeht.
4. Die sichtbaren Himmelsbewegungen weichen offensichtlich von der einfachen Kreisbahn ab, und die Planeten verändern zu allem Überfluß ihre Geschwindigkeit. Dem versuchte man durch ein paar Erfindungen abzuhelfen. Man verschob Erde bzw. Sonne etwas vom Zentrum (daher der Begriff Exzenter), führte Epizykel und doppelte Epizykel ein (Kreisbewegungen, die sich Huckepack nehmen), und den berühmt-berüchtigten Ausgleichskreis oder Ausgleichspunkt. Man postulierte die Existenz eines Zentrums gleichförmiger Bewegung (gleiche Zeiten, gleiche Winkel), das nicht unbedingt in der Erde, der Sonne oder dem Mittelpunkt der Welt liegen muß. Man arbeitete über viele Jahrhunderte mit diesen Erfindungen, ohne je den Hauch eines Beweises zu haben.
5. Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Werke, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2002, Band 1, Die belehrte Unwissenheit, Buch 2, Kapitel 11, „Ergänzende Bemerkungen über die Bewegung“, S.85 ff.
6. Was die Welt im innersten zusammenhält. Antworten aus Keplers Schriften, Marix-Verlag GmbH, Wiesbaden 2005, 23. Kapitel (Über den astronomischen Anfang und das astronomische Ende der Welt sowie über das Platonische Jahr.), S.107.
7. Astronomia Nova, 19. Kapitel, S. 231 f.
8. Ebenda, 19. Kapitel, S. 234
9. Ebenda, 21. Kapitel, S. 246
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