Mai 2006:

Ein Angebot zum direkten Dialog

Der Brief des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad hat international für Aufsehen gesorgt, auch wenn er brüsk von der amerikanischen Regierung zurückgewiesen wurde.

Hassan Rohani vom Obersten Sicherheitsrat des Iran
Daß Präsident Bush Ahmadiedschad - und umgekehrt - nicht leiden kann, ist die eine Sache. Um aber über einen Brief urteilen zu können, sollte man ihn gelesen haben.

Im Bild Hassan Rohani vom Obersten Sicherheitsrat des Iran. Er erläuterte in einem Schreiben an das Nachrichtenmagazin Time die Verhandlungsbereitschaft des Iran.

"Das ist eine 'Briefbombe'", kommentierte Lyndon LaRouche den ungewöhnlichen Brief des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad an US-Präsident Bush vom 8. Mai. Das Schreiben wurde durch die Schweizer Botschaft übermittelt, die nach dem Abbruch der offiziellen diplomatischen Beziehungen 1979 als Liaison dient. Allerdings schlug Bush - durchaus erwartungsgemäß - das Dialogangebot aus, ohne es überhaupt gelesen zu haben, womit er sich in den Augen der Weltöffentlichkeit noch weiter diskreditierte.

Gleiches gilt für die US-Außenministerin Condoleezza Rice, die am 10. Mai erklärte: "Wir haben das Schreiben erhalten. Wir hatten noch keine Möglichkeit, eine eigene Übersetzung anzufertigen, was wir sicherlich tun werden, aber nach einem kurzen Überfliegen des Briefes schien es offensichtlich, daß dort nicht die großen Probleme zwischen den USA und dem Rest der Welt einerseits und dem Iran andererseits angesprochen werden. Es ging nicht um konkrete Probleme im Zusammenhang mit der Nuklearfrage oder anderen Problemen, denen wir gegenüberstehen. Meiner Auffassung nach ist er sehr philosophisch gehalten."

Bush erhielt angeblich einen mündlichen Bericht über den Inhalt des Schreibens. Eine Karikatur in der International Herald Tribune vom 10. Mai zeigt Bush im Gespräch mit einem Boten, der den Brief in der Hand hält. Bush haut mit der Faust auf den Tisch und sagt: "Machen Sie dem Iran meine Position deutlich: Ich habe niemals und ich werde niemals einen 18seitigen Brief lesen!"

Während der Brief von neokonservativen Kreisen wie dem Wall Street Journal als "Trick" bezeichnet wurde, legen wohlmeindende Leute der US-Regierung nahe, mit einem Angebot direkter Gespräche auf die iranische Initiative zu reagieren. So argumentierte Simon Jenkins im Guardian, England und die USA seien vor allem bezüglich des Irak auf eine Zusammenarbeit mit dem Iran angewiesen. Wenn der iranische Präsident einen Brief schreibe und zu Gesprächen einlade, sei es sinnvoll zu antworten. "Dann wird sich schon erweisen, ob es ein Bluff war." In den USA forderten die Senatoren Lugar und McCain direkte Gespräche mit dem Iran. Lugar schlug vor, den Iran an einem "Energiedialog" zusammen mit den USA, China, Indien und anderen Ländern zu beteiligen. Selbst Judith Kipper, die Direktorin des Forums Mittlerer Osten des Council on Foreign Relations erklärte: "Der Iran hat vielfach, privat wie öffentlich, und auf seltsame Art, unsere Aufmerksamkeit zu erregen versucht, und dieser Brief war offensichtlich ein wichtiger Versuch."

Ahmadinedschad verweist in seinem Brief auf die gemeinsame Verpflichtung gegenüber den Werten der drei monotheistischen Religionen sowie auf die Widersprüche zwischen dem behaupteten Respekt vor diesen Werten und dem konkreten politischen Handeln. Könne jemand, so fragt er, "sich verpflichtet fühlen, die Menschenrechte zu achten... und auf die Errichtung einer vereinten internationalen Gemeinschaft hinzuarbeiten", während er gleichzeitig über andere Länder herfällt? Und wie vertrügen sich christliche Werte mit den Folterungen in Guantánamo Bay und geheimen Gefängnissen? (Sein Plädoyer für das Recht aller Nationen auf die Nutzung der Ergebnisse von Wissenschaft und Technologie für ihre Entwicklung haben haben wir unten ausführlich zitiert.)

Ahmadinedschad beklagt die anglo-amerikanische Beteiligung am Sturz der Regierung Mossadegh 1953 und die Unterstützung für Saddam Hussein während des Irak-Iran-Krieges. Und die Fragen, die er zum 11. September 2001 vorbringt, hört man wohl erstmals aus dem Munde eines Staatschefs. Am Ende seines Briefes kommt Ahmadinedschad auf die wichtige Frage zu sprechen, wie die Handlungen und Unterlassungen von Präsidenten und politischen Führungspolitikern wohl einst von Gott beurteilt werden, und lädt Bush dazu ein, "zu den Lehren der Propheten, zu Monotheismus und Gerechtigkeit" zurückzukehren, um "die Würde und den Gehorsam der Menschen gegenüber dem Allmächtigen und Seinen Propheten" zu bewahren.

Nur wenige Tage nach Ahmadinedschads Brief an Bush schickte Hassan Rohani, der ehem. Chef des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Iran und jetzige Vertreter von Ayatollah Khamenei in diesem Gremium, einen "persönlichen Vorschlag" zur Beilegung des Konflikts um das iranische Atomprogramm an das amerikanische Nachrichtenmagazin Time. Das Verhandlungsangebot enthält folgende Punkte:

Was US-Außenministerin Rice in Ahmadinedschads Brief vermißte, hat Rohani nun klar und deutlich formuliert. Jetzt ist die amerikanische Regierung am Zug.


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